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Bericht des Weltklimarats „Der Planet schwebt in Lebensgefahr“

Der Weltklimarat sagt steigende Temperaturen und mehr Wetterextreme voraus. Umweltministerin Schulze warnt: „Der Planet schwebt in Lebensgefahr“. Noch gibt es aber eine Chance.
10.08.2021, 00:44 Uhr
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„Der Planet schwebt in Lebensgefahr“
Von Thomas Spang

Die Großbrände vom Westen der USA über den Süden in Europa bis hin in den Osten nach Sibirien zeugen ebenso sehr von den Konsequenzen der Erderwärmung wie die durch Starkregen verursachte Flutkatastrophe in Deutschland, die beunruhigende Häufigkeit von verheerenden Stürmen, Hitzewellen, Trockenheit und Dürre – die Wetterextreme der vergangenen Monate haben dramatische Folgen. Weltweit. Kann es noch schlimmer kommen? Der UN-Weltklimarat, der IPPC, gibt keine Entwarnung, im Gegenteil. Das Klima verändert sich schneller als befürchtet.

In dem Gremium sitzen 230 führende Forscherinnen und Forscher der Welt. Sie haben den Stand der Wissenschaft zusammentragen, alle paar Jahre werten sie immer wieder die wichtigsten neuen Studien aus. Am Montag haben sie nun den ersten Teil des sechsten Sachstandsberichts veröffentlicht – der so etwas wie der Goldstandard der globalen Klimaforschung ist –, der sich mit den physikalischen Grundlagen der Erderwärmung befasst. Er sei wegen besserer Datenlagen, neuen Messmethoden und Klimamodellen so präzise wie nie zuvor, erklärte Professorin Veronika Eyring vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und der Universität Bremen. Sie hat den Bericht maßgeblich mitgeschrieben. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen zeichnen ein drastisches Bild.

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Es wird nicht bei einzelnen Wetterextremen bleiben. Mit der Erderwärmung werden Hitzewellen überall häufiger, Dürren nehmen zu, Starkniederschläge auch, Permafrostböden tauen auf, Gletscher auf Grönland schmelzen, auch in den Alpen gehen sie zurück, der Meeresspiegel steigt an. Schon in etwa zehn Jahren, in den frühen 2030ern, könnte eine kritische Schwelle überschritten sein – die globale Mitteltemperatur um 1,5 Grad höher liegen als noch in vorindustriellen Zeiten.

„Der Planet schwebt in Lebensgefahr und mit ihm seine Bewohnerinnen und Bewohner“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). „Jedes Gramm CO2 zählt.“ Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Weltgemeinschaft vorgenommen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu mindern. Dazu gehört neben Kohlendioxid, dem CO2, insbesondere Methan. Das Ziel: Die Erderwärmung soll unter zwei Grad gehalten werden, möglichst sogar unter 1,5 Grad. Weltweit gesehen sind heute allerdings schon 1,1 Grad erreicht, mit regionalen Unterschieden. In Deutschland sind es bereits um die 1,6 Grad.

Für den Weltklimarat gibt es für die Misere einen klaren Schuldigen: den Menschen. Natürliche Einflüsse, die die beobachtete Erwärmung verursachen könnten, sind demnach nicht bekannt. Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie, der den Bericht ebenfalls mitgeschrieben hat, sagt: „Was wir sehen an Erwärmung ist menschengemacht – das ist eine Tatsache.“ Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist die höchste seit etwa zwei Millionen Jahren. Der Meeresspiegel steigt so schnell an wie seit rund 3000 Jahren nicht mehr.

Die Gletscher gehen so stark zurück wie seit etwa 2000 Jahren nicht mehr. Das zeigen die Daten. Nur wenn es gelingen würde, den Treibhausgasausstoß jetzt schnell „praktisch noch in diesem Jahrzehnt“, sagt Marotzke, runterzufahren und sie dann Mitte des Jahrhunderts auf Nettonull zu reduzieren, könnte das 1,5 Grad-Ziel noch erreicht werden. Eine Chance auf das 2-Grad-Ziel gäbe es, wenn die Nettonull bis 2070 erreicht sei. Blieben die Emissionen auf dem heutigen Niveau, lägen die Temperaturen Ende diesen Jahrhunderts 2,1 bis 3,5 Grad über dem Niveau Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist auch ein Aufruf an die Politik: Die Treibhausgase müssen runter, drastisch und schnell.

Ohne Folgen wird es aber nicht bleiben. Schon bei einem globalen Temperaturanstieg um 1,5 Grad Celsius werden extreme Dürreperioden 2,4 mal häufiger, bei plus 2 Grad 3,1 mal und bei plus 4 Grad 5,1 mal. Heftige Niederschläge werden ebenso zunehmen – um das 1,5-Fache bis hin zum 2,8-Fachen. Der Anstieg der Meeresspiegel ist laut dem Sachstandsbericht bereits unumkehrbar, er wird noch Hunderte Jahre andauern. An den Küsten stehen dadurch zunehmend schwere Überschwemmungen bevor. Was bisher als Jahrhundertflut galt, könnte sich in etwa 80 Jahren schon jährlich ereignen.

Umweltministerin Schulze sagte: „Wie wir den Treibhausgasausstoß senken können, wissen wir: mit einer raschen Abkehr von Kohle, Öl und Gas, mit dem Ausbau der Sonnen- und Windkraft und der Produktion von grünem Wasserstoff als klimafreundlichem Energieträger.“ Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer allerdings mahnte, dass wenige Wochen vor der Bundestagswahl noch keine der Parteien eine angemessen Antwort auf die Drastik der Lage habe. Sie forderte, alle Wahlprogramme in Deutschland müssten „1,5-Grad-konform“ sein. Die Welt ist bereits im Wandel, es geht darum, Schlimmeres zu verhindern.

Drei Monate vor den Nachfolgeverhandlungen in Glasgow spricht UN-Generalsekretär Antonio Guiterres angesichts der Ergebnisse von „der höchsten Alarmstufe für die Menschheit“. Gesellschaften müssten Wege finden, die Erderwärmung so schnell wie möglich zu stoppen. „Wir schulden das der gesamten menschlichen Familie“, erklärte Guiterres in einer Stellungnahme. „Es gibt keine Zeit mehr für Verzögerungen und keinen Raum für Ausreden.“

Ähnlich besorgt äußert sich der Sonderbeauftragte für das Klima der US-Regierung, John Kerry. „Die Welt braucht zu diesem Zeitpunkt echtes Handeln“, meint Kerry zu den Befunden des Weltklima-Berichts und schlägt einen hoffnungsvollen Ton an. „Wir können die Niedrig-CO2-Wirtschaft erreichen, die wir so dringend brauchen, aber es verbleibt nicht viel Zeit.“ Damit spiegelt er die Warnung des Weltklimarats wider, der für jede der letzten vier Jahrzehnte einen Anstieg der Temperaturen festgestellt hat. Der CO2-Anteil in der Atmosphäre stieg auf ein Niveau wie es sich zuletzt vor zwei Millionen Jahren nachweisen ließ.

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Im günstigsten Fall könnten sich die Regierungen darauf verständigen, im Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Erderwärmung bei 1.5 Grad Celsius zu stabilisieren. Dafür müssten Emissionen aus fossilen Brennstoffen in kurzer Frist eliminiert, die Wirtschaft auf erneuerbare Energien umgestellt und die Treibhausgase massiv begrenzt werden. Allen voran das Gas Methan, das rund 87-mal so stark zur Erderwärmung beiträgt wie CO?.

Methan entsteht durch die Förderung von Erdgas sowie durch den Einsatz bestimmter Düngemittel und der Massentierhaltung. Wobei der Appetit der Weltbevölkerung auf Fleisch laut Klimaforscher massiv zu dem Problem beiträgt. Nichts trägt mehr zu dem Treibhaus-Gaseffekt bei als die wachsenden Rinderherden.

„Der Bericht ist ein Realitätscheck“, erklärt Klimaforscherin Valérie Masson-Delmotte das Ziel des ersten Teils des neuen Weltklimaberichts, an dem sie federführend mitwirkte. Die Wissenschaftler könnten und wollten den Regierungen nicht sagen, was sie mit den Informationen anfangen sollten. Der für den Februar kommenden Jahres erwartete zweite Teil des Reports wird sich vorrangig mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen. Im dritten Teil, der Ende März 2022 erwartet wird, geht es um die Reduktion von Treibhausgasen.

Die Klimaforscherin Corinne Le Quéré meint gegenüber der Washington Post, es sei offenkundig, was mit dem Klimawandel passiere. „Sie brauchen keinen Doktor zu haben. Sie müssen kein Klimaforscher sein. Sie müssen einfach nur eine Person sein, die aus ihrem Fenster schaut.“

Zur Sache

Der Weltklimarat IPCC

Angesichts der Erderwärmung gründeten zwei UN-Organisationen 1988 den Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Zwischenstaatlicher Ausschuss zum Klimawandel), der inzwischen knapp 200 Mitgliedsländer hat. Er soll aufzeigen, wie sich der Klimawandel auf Mensch und Natur auswirkt, wie er gebremst werden kann und welche Anpassungsstrategien es gibt. Das Gremium mit Sitz in Genf forscht nicht selbst. Für die jeweiligen IPCC-Berichte werten Hunderte eigens ausgewählte Experten Tausende Studien aus. Seit 1990 hat der Rat fünf umfassende Berichte veröffentlicht und einige zu Einzelthemen. Der sechste Report kommt in drei Teilen 2020 und 2021 heraus. Der Bericht ist Handlungsgrundlage für Politiker etwa bei der Weltklimakonferenz im November in Glasgow.

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