Herr Habeck, der Norden hofft auf einen industriellen Aufschwung durch die Energiewende: Offshore-Windenergie und die Produktion von grünem Wasserstoff sollen mehr Industrie an die Küste holen. Ist das eine berechtigte Hoffnung?
Wenn man es richtig macht, ja. Natürlich bedeutet der Ausbau der erneuerbaren Energien viel Arbeit, aber es lohnt sich. Die Offshore-Windindustrie bietet großes Potenzial für die Nutzung von grünem Strom in Industriebetrieben oder für die Produktion von Wasserstoff. Für küstennahe Städte wie Bremen und Bremerhaven kann das einen echten Mehrwert bringen.
Die Offshore-Windenergie soll in den kommenden sieben, acht Jahren mehr als verdreifacht werden. Die Industrie sagt: Dafür fehlen die Fachkräfte und die Produktionskapazitäten. Wie wollen Sie die Ziele trotzdem erreichen?
Ein wichtiger Punkt ist Planungs- und Investitionssicherheit. Die Hersteller sollen jetzt schon wissen, was sie in zwei, drei Jahren produzieren, und dann entsprechend ausbauen. Der letzte Abbruch beim Aufbau der Offshore-Windindustrie war sehr brutal.
In Bremerhaven mussten vier große Werke wieder schließen.
Genau, kaum ein anderer Standort weiß das so gut wie Bremerhaven: Erst große Hoffnungen, dann diese große Enttäuschung. Das müssen wir dieses Mal verhindern. Die geplanten Ausbauziele für die gesamte Nordsee sind enorm, nicht nur in Deutschland – damit gibt es ein klares europäisches Bekenntnis mit klaren Zielen. Genau das ist notwendig, damit Unternehmen planen und investieren.
Das Land Bremen plant einen „Energy Port“ in Bremerhaven, unter anderem für den Import von Wasserstoff und die Montage und das Recycling von Offshore-Windrädern. Sehen Sie einen Bedarf an zusätzlichen Häfen für die Energiewende?
Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Hafenpolitik ist am Ende Ländersache, aber der Bund hat natürlich ein Interesse, dass solche Häfen gebaut werden.
Würde sich der Bund an deren Finanzierung beteiligen?
Wir stehen in Berlin vor den Haushaltsverhandlungen. Und es gelten die grundgesetzlichen Regeln zur Schuldenbremse. Daher werden wir Geld sparen müssen. Trotzdem wäre es falsch, solche Infrastrukturprojekte an Deutschland vorbeigehen zu lassen, so dass nur ausländische Häfen etwas davon hätten.
Beim Bau der LNG-Terminals rechnen Kritiker Ihnen Überkapazitäten vor; zur Debatte steht vor allem der Terminal vor Rügen. Sind da noch Anpassungen möglich oder bleiben Sie bei Ihrer Planung?
Wir brauchen einen Sicherheitspuffer, ja, und ich wäre froh, wenn wir den schon hätten. Durch die russische Pipeline "Nord Stream 1" sind uns rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas an jährlicher Importkapazität weggefallen; neu aufgebaut haben wir bislang rund 13,5 durch die drei mittlerweile in Betrieb gegangenen neuen Terminals. Ja, wir konnten zum Glück auch viel des wegfallenden Gases dank der Lieferungen unserer europäischen Partner ersetzen, so dass wir gut durch diesen Winter gekommen sind. Aber erstens gilt, dass wir aus europäischer Solidarität heraus auch in der Lage sein müssen, europäische Partner zu beliefern. Und zweitens können wir doch nicht einfach davon ausgehen, dass immer alles glatt läuft und der nächste Winter möglichst mild wird. Wir müssen uns gegen Risiken absichern. Das ist eine der Lektionen aus dem vergangenen Jahr. Wenn man das nach wenigen Wochen schon wieder vergessen hat, finde ich das verwunderlich – das ist für mich, der zurzeit die Verantwortung für die Versorgungssicherheit in Deutschland trägt, keine akzeptable Position.
Viele Hoffnungen ruhen auf Wasserstoff als CO2-freier Alternative zu Gas, Öl und Kohle. In Bremen etwa soll das Stahlwerk von Arcelor-Mittal in den nächsten Jahren umgerüstet werden. Der Bund und das Land sind bereit, den Großteil der Investitionskosten zu tragen. Ist es Ihnen das wert, weil Sie sonst die Abwanderung dieser Industrie aus Deutschland befürchten?
Deutschland ist ein starker Standort, und ich will, dass das so bleibt. Insofern hat die Unterstützung bei der Transformation der energieintensiven Industrien zwei Begründungen. Erstens: Wir wollen davon möglichst große Teile in Deutschland behalten, um widerstandsfähig gegen Krisen zu sein. Und zweitens sollten wir uns das Wissen bewahren, wie man solche Anlagen baut und weiterentwickelt. Es geht also nicht um Einzelinteressen von Unternehmen, sondern um die strategische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik.
Die IG Metall fordert einen günstigeren Industriestrompreis, damit die energieintensive Industrie in Deutschland konkurrenzfähig bleibt, der Finanzminister ist dagegen. Und Sie?
Der beste Preis ist immer einer, der sich am Markt bildet. Dazu werden Offshore-Windparks und große Solaranlagen, zum Beispiel auf den Dächern von Industriehallen, in Zukunft beitragen. Günstige Erneuerbare bedeuten günstige Strompreise. Damit die Industrie davon profitiert, kümmern wir uns jetzt um die Voraussetzungen dafür. Aber man muss ehrlich sein: Diese Anlagen werden erst in ein paar Jahren in größerer Zahl verfügbar sein. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir in der Übergangsphase – also bis ungefähr 2030 – die energieintensiven Unternehmen gezielt unterstützen sollten. Sie sind durch die Energiekrise schwer getroffen. Es ist uns gelungen, die Lage zu stabilisieren, aber das Erreichte dürfen wir jetzt nicht gefährden. Wir müssen der Industrie helfen, die Transformation zu stemmen.
Auch Wasserstoff ist sehr teuer. Worauf gründet sich Ihre Hoffnung, dass der mal rentabel werden könnte?
Die Prognosen zur künftigen Preisentwicklung sind sehr breit gestreut. Aber abgesehen vom Preis wird Wasserstoff auch nicht in unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen. Deshalb ist es ja so wichtig, ihn gezielt einzusetzen – vor allem in der Industrie und um Gaskraftwerke abzulösen. Und genauso wichtig ist, dass wir ihn auch hier produzieren. Aber wenn wir einfach darauf warten, dass Wasserstoff günstiger wird, wird das jedenfalls nicht in Deutschland geschehen.
Auch beim Wasserstoff wird Deutschland immer auf Importe angewiesen sein. Wie groß schätzen Sie den Anteil, den Deutschland selbst produzieren könnte?
Den Anteil schätzen wir aktuell auf rund 15 Prozent – das wäre ungefähr dreimal so viel wie bei Erdgas. Aber ja, wir werden einen großen Teil des Wasserstoffs importieren müssen. Und da werden wir dann drauf achten müssen, dass wir das nicht nur aus einem Land tun. Ein Großteil meiner Reisetätigkeit ist zurzeit darauf ausgerichtet, möglichst viele Partnerländer zu finden.
Ihr Ministerium will per Gesetz die Öl- und Gasheizungen in Wohnhäusern nach und nach ersetzen. Der Aufschrei der Hausbesitzer war groß. Haben Sie damit gerechnet?
Ja, ich habe mit dieser Reaktion gerechnet, weil das, was wir planen, natürlich sehr konkret in die Lebenswirklichkeit der Menschen eingreift. Vieles, was wir vorher abstrakt besprochen und beschlossen hatten - Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein – wurde nicht konkret durchdekliniert. Öl- und Gasheizungen laufen oftmals 25 Jahre, manche sogar länger. Bis 2045 sind es aber nur noch 22 Jahre – da wartet also eine Aufgabe auf uns, die nicht kleiner wird, wenn wir sie jetzt nicht angehen.
Auf Hausbesitzer können Kosten von mehreren zehntausend Euro zukommen für Wärmepumpe und energetische Sanierung. Ist das allen zumutbar?
Eine energetische Sanierung ist natürlich immer sinnvoll, aber in der Regel keine Voraussetzung mehr für den Einbau einer Wärmepumpe. Und vielfach gibt es andere Lösungen, etwa den Anschluss an ein Fernwärmenetz.
Aber ohne staatliche Unterstützung wird es auch in diesem Fall nicht gehen, oder?
Die Förderung für den Umstieg wird kommen. Sie wird gerade zusammen mit dem Gesetz beraten. Und hier sind sich alle in der Bundesregierung einig, dass es eine finanzielle Unterstützung beim Tausch der Heizungen geben muss. Aber auch hier werden mit dem Entstehen eines großen Marktes die Preise für die Geräte zurückgehen.
Mit der Firma Viessmann hat jetzt der erste deutsche Hersteller von Wärmepumpen sein Geschäft an ein US-Unternehmen verkauft. Befürchten Sie einen Ausverkauf wie einst in der Solarindustrie?
Die Solarindustrie war damals nicht wettbewerbsfähig und die Produktion ist nach China abgewandert. Bei Viessmann ist es das Gegenteil: Das Unternehmen ist sehr attraktiv und zieht einen Investor mit viel Kapital an. Wichtig ist, dass es dem Standort dient. Und den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ein Ziel der Investition ist ja gerade, mehr Wärmepumpen für weniger Geld in kürzerer Zeit zu produzieren.
Marktführer bei Wärmepumpen sind aber asiatische Unternehmen. Subventioniert ein deutsches Förderprogramm die Wärmepumpen-Industrie in Japan, Korea und China?
Richtig ist, dass wir in den Förderrichtlinien keine "local content rules" haben, also deutsches Steuergeld nur für deutsche Wärmepumpen. Da wäre ich auch sehr skeptisch, weil das für eine Exportnation wie Deutschland nicht gut ist. Wir können kein Interesse an abgeschotteten Märkten haben. Denn dann könnten deutsche Unternehmen nicht mehr exportieren, sondern müssen mit ihrer Produktion auch in die USA, nach Indien oder in den asiatischen Raum gehen, statt hier zu produzieren.