Bereits im Sommer 2013 gab es erste Hinweise auf massenhaften Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven. Das hat am Mittwoch eine weitere Zeugin vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bestätigt.
Bereits im Sommer 2013 gab es erste Hinweise auf massenhaften Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven. Das hat am Mittwoch eine weitere Zeugin vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bestätigt, der die Vorgänge in der Seestadt durchleuchten soll. Geladen war Pia Abendrot, eine Führungskraft aus dem Bremerhavener Jobcenter, die seit 2012 für sogenannte Erstanträge auf Hartz-IV-Leistungen zuständig ist.
Im Fokus des Ausschusses steht der Zeitraum von 2013 bis 2015. In dieser Zeit verzeichnete die Seestadt einen massiven Zustrom von Armutsmigranten türkischsprachiger Bulgaren, Rumänen und Griechen. Als sogenannte Aufstocker beantragten sie beim Jobcenter ergänzende Sozialleistungen zu ihren Einkünften aus Minijobs oder selbstständiger Tätigkeit.
Das Problem: Diese Berufstätigkeit war in der Regel nur vorgegaukelt. Die Arbeitsverträge waren von mutmaßlich betrügerischen Vereinen ausgestellt, als Gegenleistungen mussten die Migranten einen Teil ihrer Hartz-IV-Einkünfte bei den Vereinen abliefern. Davon geht zumindest die Staatsanwaltschaft aus, bei der ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen führende Repräsentanten der Vereine anhängig ist.

Pia Abendrot, Teamleiterin im Bremerhavener Jobcenter, war am Mittwoch Zeugin im Untersuchungsausschuss.
Arbeitsverhältnisse waren clever erfunden
Die vorgespiegelten Arbeitsverhältnisse waren laut Abendrot durchaus clever erfunden. Als Beispiel nannte sie ein angebliches europäisches Projekt zur Integration von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Als Träger dieser Maßnahme trat der Verein „Gesellschaft für Familie und Gender Mainstreaming“ auf und stellte Arbeitsverträge für Reinigungskräfte aus. Mit der Zeit seien dem Jobcenter „immer kompliziertere Arbeitsnachweise für Tätigkeiten, die nie erbracht wurden, vorgelegt worden“, so Abendrot.
Für den betrügerischen Charakter der Arbeitsverhältnisse habe es jedoch lange Zeit keine handfesten Belege gegeben. Auffällig sei gewesen, dass viele Hartz-IV-Antragsteller bei ihren Besuchen im Jobcenter von einer behördenkundigen Person aus den Reihen der Vereine begleitet wurden. Diese Person hatte offenbar die Aufgabe, den Migranten bei ihren Gesprächen mit den Sachbearbeitern beizustehen und dafür zu sorgen, dass sich niemand verplapperte. Der Vereinsvertreter habe „viele Leute möglichst schnell durchschleusen wollen“, sagte die Teamleiterin aus.
Nächste Befragung am Freitag
Allerdings sei erkennbar gewesen, dass er für die Migranten „keine wirkliche Vertrauensperson war. Der hatte keine hohe Meinung von den Leuten, die er begleitete“. Ihren Kenntnisstand, so unvollkommen er auch war, will Pia Abendrot im Frühjahr 2014 an die Leiterin des Bremerhavener Sozialamtes weitergegeben haben. Eine Rückmeldung habe sie nicht erhalten. Allerdings sei das „hierarchisch in Ordnung“ gewesen. Sie sei davon ausgegangen, sagte Abendrot, dass alles Weitere auf höherer Ebene veranlasst werden würde.
Diese Aussage wird am kommenden Freitag sicher zu Nachfragen führen, denn dann wird die Sozialamtschefin selbst zu den damaligen Vorgängen befragt. Noch für diesen Monat sind auch diejenigen Personen vorgeladen, die im Mittelpunkt der staatsanwaltlichen Ermittlungen stehen: der Vorsitzende der mutmaßlich betrügerischen Vereine „Agentur für Beschäftigung und Integration“ sowie „Gesellschaft für Familie und Gender Mainstreaming“, Selim Öztürk, und sein Sohn und frühere Vereinsvize Patrick Öztürk. Bei beiden wird erwartet, dass sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.