Eindeutige Aussagen gibt es derzeit nicht, fragt man bei Airbus nach der konkreten Zukunft der Flügelfertigung am Standort Bremen. „Bereits seit Längerem sehen wir die Notwendigkeit, nachhaltige Konzepte für den Standort zu entwickeln“, heißt es dann seitens des Konzerns. In den vergangenen fünf Jahren seien Wartungszentren aus ganz Europa in der Hansestadt zusammengeführt und damit Arbeitsplätze vor Ort abgesichert worden. „Diese Zentralisierung ist eine Chance für den Standort.“
Ganz anders sehen das die Betriebsräte und Vertreter der Gewerkschaft IG Metall, die sich um die Produktion und damit um den gesamten Standort sorgen. Für sie steht fest: Der Konzern will die Flügelausrüstung aus Bremen abziehen, hier stattdessen perspektivisch ein Reparatur- und Wartungsgeschäft ansiedeln. Für die Arbeitnehmervertreter käme das nicht nur einem Bedeutungsverlust des Standorts innerhalb des Konzerns gleich, sondern es könne über kurz oder lang auch zu dessen Ende führen, so deren Befürchtung.
Die Betriebsräte der Luft- und Raumfahrtsparten – das sind fünf Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern in Bremen – haben sich vor einiger Zeit zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen. 2020 formulierten sie eine Resolution mit der Forderung nach einem Zukunftskonzept für den Standort. Im September wurde das Konzept Teil der Verhandlungsmasse für einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, um den von der Konzernspitze eingeforderten Stellenabbau abzufedern.
Mit am Tisch sitzen in diesem Prozess unter anderem Michael Schöllhorn, Vorstand (Chief Operating Officer) der kommerziellen Flugzeugbausparte Airbus Commercial Aircraft, und der Konzernbetriebsratsvorsitzende Holger Junge. In den kommenden Wochen wollen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ihre jeweiligen Zukunftsbilder für Bremen vorstellen. Zum zentralen Konfliktpunkt kristallisiert sich dabei aber schon jetzt die Flügelausrüstung heraus.
Nicht einfach nur eine verlängerte Werkbank
Warum ist der Geschäftszweig so wichtig? Die Prozesskette der Bremer Flügelausrüstung ist in Deutschland einzigartig. Nach der Vormontage der Rohlinge im britischen Broughton werden die Flügel für die Flugzeugtypen A330 und A350 in die Hansestadt gebracht, wo sie unter anderem mit Elektrik, Hochauftrieb oder Landeklappen ausgestattet werden. Danach geht es nach Toulouse in die Endmontage. Jens Brüggemann, Betriebsratschef von Airbus Bremen, sagt: „Der überwiegende Teil der Wertschöpfung findet in Bremen statt, wir sind nicht einfach nur eine verlängerte Werkbank.“
Auch, weil am Standort ein Großteil der End-to-End-Prozessorganisation, also von der technischen Entwicklung (Engineering) über eine eigene Teststation bis hin zur Konstruktion und Wartung, stattfindet. „Wenn diese Kernkompetenz erst einmal weg ist, dann werden wir sie auch nicht mehr zurückbekommen“, sagt er. Ein Verlust, so Brüggemanns Befürchtung, der auch auf die anderen Unternehmen ausstrahlen könne. Das sehen auch Betriebsratsvertreter der Sparten, die mit dem kommerziellen Flugzeugbau auf den ersten Blick wenig zu tun haben, so. Frank Rogalski etwa, Betriebsratschef von Premium Aerotec Bremen, sagt: „Wir Unternehmen sind alle über Dienstleistungsverträge miteinander verbunden – trifft es einen, trifft es alle.“ Oder Andreas Juhls, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Ariane Group, der auf die Verzahnung von Produktion und Engineering hinweist: „Wird eine dieser beiden Fachkompetenzen am Standort abgezogen, droht die andere, ebenfalls verlagert zu werden.“
Ute Buggeln, Geschäftsführerin der IG Metall Bremen, und die Betriebsratsvorsitzenden von Airbus Commercial zitieren aus unterschiedlichen Gesprächen, in denen ihnen das Ende der Flügelausrüstung deutlich gemacht worden sei – sowohl von Schöllhorn als auch von Airbus-Standortleiterin Imke Langhorst und Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke).
Damit gehen sie nun an die Öffentlichkeit, weil sie politischen Druck vor allem in Richtung Berlin ausüben wollen. Denn in der Vergangenheit ist viel Geld von Bund und Ländern in den Standort geflossen. Und bis heute ist neben Frankreich und Spanien auch Deutschland an dem Konzern beteiligt. Eine wichtige Verabredung lautete, dass jeder Standort ein systemrelevantes Arbeitspaket zur Absicherung der Kernkompetenz an der Fertigungskette hat.
Repair-Geschäft kein Ersatz
„Die Entwicklung in Bremen sollte in ganz Deutschland und insbesondere im Bundeswirtschaftsministerium die Alarmglocken klingeln lassen“, sagt die Bremerin Sarah Ryglewski (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium. Sie teilt die Sorge der Arbeitnehmervertretungen, dass die Flügelausrüstung aus der Hansestadt abgezogen werden könnte, ein Repair-Geschäft sei kein Ersatz. Das sei nicht das Kerngeschäft von Airbus, finde an vielen anderen Standorten ebenso statt – und sei damit austauschbar, sagt sie.
Thomas Röwekamp, der im Herbst für die CDU in den Bundestag einziehen will, verweist auf das Airbus-Sanierungsprogramm „Dolores“, mit dem Mitte der 90er-Jahre die Vereinbarung getroffen worden sei, dass jeder Standort eine systemrelevante Kompetenz er- beziehungsweise behalten soll. Die Bundesregierung müsse daher gegenüber dem Konzern und den an Airbus beteiligten europäischen Partnerländern mit Nachdruck dafür eintreten, dass diese Abmachung weiterhin Bestand habe.
Wirtschaftssenatorin Vogt macht aufmerksam auf Initiativen wie das bremische Luft- und Raumfahrtförderprogramm oder das Virtual Product House des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, an dem auch Airbus beteiligt ist, und in das genauso europäische wie bremische Mittel geflossen sind. „Der Senat hat die positive Entwicklung des Airbus-Standorts seit vielen Jahren begleitet und gefördert“, sagt Vogt. Vor diesem Hintergrund würde die Verlagerung der Flügelausrüstung ohne einen adäquaten industriellen Ausgleich einen herben Schlag für den Industriestandort bedeuten.
Die Airbus-Betriebsratsvertreter erinnern in diesem Zusammenhang an die ehemalige Produktionsstätte in Lemwerder. Mehrere Hundert Mitarbeiter waren am Bau und an der Reparatur von Teilen für das Kampfflugzeug Tornado, die C160 Transall, den Eurofighter und die A400M beteiligt. Nachdem die Fertigung vor elf Jahren an Premium Aerotec überging, war das Aus für das Werk besiegelt: Am 31. Dezember 2010 stellte der Konzern den Flugzeugbau am Standort ein.