Es gibt weiterhin Corona-Einschränkungen, aber der Alltag fühlt sich fast wieder normal an, was die Diskussionsthemen angeht. Woran das abzulesen ist? Seit gut zwei Wochen vergeht kein Tag, an dem nicht noch jemand fordert, bei den geplanten Konjunkturprogrammen auch an das Klima zu denken. Das ist grundsätzlich löblich. Aber bei manchem erscheint es eher schick und inflationär, sich so in die Öffentlichkeit einzubringen.
Es ist mehr als zwei Wochen her, dass der Bremer BUND wesentlicher früher als viele andere in einem Positionspapier beschrieb, wie ein Konjunkturprogramm für die Hansestadt im Sinne des Klimaschutzes auszusehen habe. Diese Forderungen kamen den Grünen damals wie gerufen. Für sie war das, das Thema wurde schließlich von außen in die Politik hineingetragen, der beste Anlass, um es wieder zu besetzen. Schließlich traut man den Grünen hier Kompetenz zu, aber so recht wollte keiner von sich aus vorpreschen, wenn die Bevölkerung Angst vor einer Covid-19-Infektion hat. Gleichzeitig fühlten sich die Bremer Grünen etwas an den Rand gedrängt aufgrund der Corona-Omnipräsenz von Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD).
Aber genauso schnell war damals auch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke): Sie forderte für Bremen ein Konjunkturprogramm inklusive Klimaschutz ein. Damit sprach diejenige das Thema an, deren Ressort auch die Soforthilfen vergibt. Das war noch zu einem Zeitpunkt mit wesentlich stärkeren Corona-Restriktionen als jetzt. Irgendwie mochte da keiner so recht, weder im Bund noch bei der EU, den Klimaschutz zurück auf die Agenda rücken. Zu groß erschien wohl die Gefahr, dass man sich damit die Finger verbrennen könnte. Denn wegen Corona hatten die Menschen gerade mit größeren Sorgen zu tun als denen ums Klima.
Wann die Menschen für welches Thema empfänglich sind
Die Politikwissenschaft beschäftige sich bereits in den 1970er-Jahren mit der Frage, wann die Menschen für welches Thema empfänglich sind. Der US-Politikwissenschaftler Ronald Inglehart hat dazu seine Wertewandeltheorie entwickelt. Er unterscheidet zwischen Themen des Materialismus und des Postmaterialismus und stützt seine Theorie auf die Bedürfnispyramide des US-Psychologen Abraham Maslow. Die Pyramide beschreibt, wonach die Menschen als Erstes streben. Auf der untersten Stufe stehen als physiologische Bedürfnisse die Absicherung des täglichen Lebens mit Nahrung und Getränken beispielsweise. Wenn diese Primärbedürfnisse befriedigt sind, ist der Mensch laut Inglehart für Sekundärbedürfnisse empfänglich, wozu er auch den Umweltschutz zählt.
Grundsätzlich vertritt der Wissenschaftler die Ansicht, dass in einer Gesellschaft mit steigendem Wohlstand das Bestreben nach materialistischen Werten abnimmt. Wenn die Grundversorgung und die Finanzen abgesichert sind, ist mit steigendem Wohlstand Platz für mehr postmaterialistische Werte – also auch dem Umweltschutz. Diese Theorie fällt in die Zeit, als in Europa und den USA die Umweltschutzbewegungen stärker wurden und in Deutschland die Partei „Die Grünen“ entstand.
Dieser Effekt lässt sich übertragen: Wie stand es von März bis April um die Grundbedürfnisse der Deutschen? In den Supermärkten waren Toilettenpapier, Nudeln und Reis Mangelware. Mit dieser Ausnahmesituation mussten die Menschen klarkommen, weshalb bei vielen von ihnen das Thema Klimaschutz zunächst das Nachsehen hatte.
Inzwischen sind Toilettenpapier und Nudeln wieder zuverlässig in den Märkten zu bekommen. Außerdem haben die Menschen gelernt, sich mit der besonderen Situation zu arrangieren. Je stärker sie wahrnehmen, dass alles weniger schlimm ist als anfangs befürchtet, desto empfänglicher sind sie auch wieder für postmaterialistische Themen wie den Klimaschutz. Das gilt aber längst nicht für alle. Selbstständige fürchten weiterhin um ihre Existenz. Auch bei vielen Menschen in Kurzarbeit ist es fraglich, ob sie den Kopf bereits wieder so für Umwelt und Klima frei haben, wie vor der Pandemie. Noch ist es also etwas zu früh, um an „Bleiben Sie gesund“ anzufügen: „und vergessen Sie den Klimaschutz nicht“.