Zwangsräumen bedeuten für Menschen eine existenzielle Krise. Mehr als 60.000 Fälle gab es bundesweit im Jahr 2016. Viele Betroffene sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Die Bremer Sozialbehörde kann nicht sagen, zu wie vielen Zwangsräumungen es pro Jahr in Bremen kommt. Ein Beispielfall aus der Grohner Düne zeigt auf, wie es dazu kommen kann – auch wenn die Räumung und damit die drohende Obdachlosigkeit in letzter Minute verhindert wurde.
Für Mittwochmorgen drohte einer Bewohnerin der Grohner Düne wegen ausbleibender Mietzahlungen die Zwangsräumung. In einer konzertierten Aktion haben sich alle Beteiligten dann aber noch am Tag zuvor darauf geeinigt, dafür zu sorgen, dass die Mieterin in ihrer Wohnung bleiben kann. Die Akteure um sie herum: zum einen der Eigner der Grohner Düne, Grand City Property (GCP), und zum anderen das Jobcenter Bremen. Dazu: der Bremer Erwerbslosenverband, Mitarbeiter des Sozialen Dienstes in der Düne und Rechtsanwältin Bianca Lönnecker aus Lesum.
Die Rechtsanwältin sagte am Dienstag noch, dass "alle bemüht sind, die Räumung zu verhindern". Das Jobcenter sei im Kontakt mit Grand City, und bei Grand City sei man zur Krisensitzung zusammengekommen. Am Abend noch, sagte Lönnecker, habe GCP eingelenkt, nachdem das Jobcenter zugesagt habe, künftig die Miete und ausstehende frühere Rückstände an GCP zu zahlen. Darüber hinaus versicherten sich GCP und Jobcenter gegenseitig, bei ähnlich gelagerten Fällen künftig direkt Kontakt aufzunehmen.
Die Vorgeschichte, wie sie Herbert Thomsen von der Beratungsstelle des Bremer Erwerbslosenverbands zusammenfasst: Die betroffene Mieterin kommt aus Polen. Nach gut sechs Jahren in Deutschland genießt sie das Recht auf dauernden Aufenthalt. Die Mittfünfzigerin hat sich während der Zeit hier mit Minijobs und kurzfristigen Anstellungen über Wasser gehalten. In der Regel habe sie mehr als sechs Stunden in der Woche gearbeitet und laut Jobcenter einen Anspruch auf "ergänzende Leistungen" gehabt. Allerdings blieb sie vor gut drei Jahren ihrem Vermieter eine erhebliche Mietzahlung schuldig. Der Grund, meint Thomsen, sei gewesen, dass weder Sozialamt noch Jobcenter für eine Wohnung aufkommen wollten, die unter anderem Brandschutzmängel aufgewiesen habe.
Einigung am Abend
Die Mängel sind inzwischen offensichtlich behoben. Jedenfalls hat das Jobcenter inzwischen wieder die Mietzahlungen an GCP aufgenommen und an die betroffene Frau zudem monatlich 50 Euro zum Abtrag ihrer Mietschulden gezahlt. Eine zeitweilig von GCP angestrengte Räumung ist ausgesetzt, hat aber noch Rechtskraft. Ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht ist in der Hauptsache noch nicht entschieden. Alles in allem also eine rechtlich hakelige Situation.
"Dann", schildert Thomsen weiter, "kam am 11. Januar die Botschaft des Jobcenters, die Zahlungen würden zum 1. Februar eingestellt." Begründung: Die Mieterin erfülle die Voraussetzung für einen Aufenthalt in Deutschland nicht mehr. Dabei sei sie doch schon länger als fünf Jahre in Bremen gemeldet und damit auf Dauer aufenthaltsberechtigt. Und dazu habe sie regelmäßig mindestens sechs Stunden pro Woche gearbeitet und das auch gegenüber dem Jobcenter belegt.
Das Sozialgericht Bremen entschied am 22. Februar im Eilverfahren, dass das Jobcenter verpflichtet ist, der Frau weiterhin Leistungen zu gewähren. Das sei, betont Thomsen, dem Jobcenter umgehend mitgeteilt worden, "aber am 19. März gab es immer noch keine Zahlung". Und jetzt trat Vermieter GCP auf den Plan und ließ der Mieterin per Gerichtsvollzieher mitteilen, dass sie bis zum 18. April ihre Wohnung zu räumen habe. Und das, obwohl Miete und Mietrückstandszahlungen für einschließlich April am 21./22. März beglichen worden seien, wie Rechtsanwältin Lönnecker bekräftigt.
Herbert Thomsen sieht die Hauptlast bei GCP: „Als die vor vier Jahren die Grohner Düne gekauft haben, haben die Leute dort Dumping-Mieten gezahlt.“ Damit hätten die vorherigen Eigentümer Leerstand in der Düne verhindern wollen. Inzwischen sehen der Wohnungsmarkt und die Vermietungssituation in der Düne anders aus. „Grand City darf die Miete nur um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren erhöhen. Eine Neuvermietung bringt denen also mehr Geld."
Das sieht GCP naturgemäß anders. Wie Unternehmenssprecherin Katrin Petersen betont, habe GCP die Situation nicht verursacht. Allerdings handele man "immer gemäß interner standardisierter" Prozeduren. In der Tat, bestätigte auch Rechtsanwältin Bianca Lönnecker, sei GPC rechtlich auf sicherer Seite gewesen. Dass das Immobilienunternehmen den rechtlichen Rahmen jetzt nicht ausgeschöpft hat, umschreibt Petersen so: "GCP ist immer an langfristigen Mietverhältnissen mit seinen Mietern interessiert." Weitere Kommentare gibt sie aus Datenschutzgründen nicht ab.
Datenschutz geltend macht auch der Sprecher des Jobcenters, Christian Ludwig. Selbst die Weiterzahlung von Miete und Mietschulden für die Mieterin an GCP mochte er nicht bestätigen. Allein, man sei glücklich, "dass das jetzt vorbei ist und dass für die betroffene Frau keine Gefahr mehr der Obdachlosigkeit besteht". Man werde in Zukunft rechtzeitig intervenieren, damit keine solchen Probleme mehr entstünden. Ludwig: "In ähnlich gelagerten Situationen, bei Mittellosigkeit, bei Mahnungen, bei Räumungsandrohung, bitte sofort Kontakt mit dem Jobcenter aufnehmen. Wir sind stets bemüht, gemeinsam Lösungen zu finden."
Für Rechtsanwältin Lönnecker ist es beileibe nicht der erste Fall dieser Art. Allein im vergangenen halben Jahr, zählt sie auf, seien vier Räumungen über ihren Schreibtisch gegangen. Drei davon angestrengt von der GCP, eine weitere von der Wohnungsbaugesellschaft Gewosie. Drei habe man abwenden können. In einem Fall sei ein Mieter der Grohner Düne schon vorher ausgezogen.