Einmal im Monat hebt von einem deutschen Flughafen ein Flieger mit dem Ziel Kabul ab, dessen Passagiere nicht freiwillig an Bord sind. Zuletzt startete am Dienstag vor einer Woche von München aus ein Flugzeug mit 69 abgelehnten Asylbewerbern, die nach Afghanistan abgeschoben wurden. Das war die bisher größte Gruppe seit Beginn der Sammelabschiebungen im Dezember 2016.
Bundesinnenminister Horst Seehofer zeigte sich eine Woche später hochzufrieden über die hohe Zahl. „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden“, sagte der CSU-Politiker als er in Berlin seinen „Masterplan Migration“ vorstellte. „Das liegt weit über dem, was bisher üblich war“, so Seehofer sichtlich zufrieden.
Einen Tag später ist bekannt geworden, dass einer der Abgeschobenen sich in Kabul das Leben genommen hat. Wie die Internationale Organisation für Migration (IOM), eine Unterorganisation der UN, am Mittwoch bestätigte, wurde der Mann tot in einer Übergangsunterkunft aufgefunden, die die IOM Rückkehrern zur Verfügung stellt. Die IOM betreut Menschen, die aus Deutschland abgeschoben werden, bei ihrer Ankunft in Kabul und bietet ihnen auch psychosoziale Betreuung an.
Äußerung von Seehofer scharf kritisiert
Nach Angaben der afghanischen Behörden hat sich der Mann erhängt. Ein Sprecher Seehofers bestätigte den Tod des Mannes und bezeichnete ihn als „fürchterlichen Vorfall“. Es handelt sich um einen 23-Jährigen, der die letzten Jahre in Hamburg gelebt hat. Nach Angaben der Hamburger Behörden sei der Mann wegen Diebstahls, versuchter gefährlicher Körperverletzung und einiger anderer Delikte verurteilt worden, auch weitere Strafanzeigen lägen vor.
Der Mann sei 2011 eingereist, sein Asylantrag sei aber abgelehnt worden. Zuletzt hatte er nur noch eine Duldung. Er sei nun abgeschoben worden, weil er vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei. Seehofers Äußerung war schon zuvor scharf kritisiert worden, nach Bekanntwerden des tragischen Vorfalls nahm die Debatte noch einmal an Schärfe zu. „Vor dem Hintergrund dieses Selbstmordes wird die öffentlich geäußerte Freude Seehofers, an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben zu haben, umso widerwärtiger“, kritisierte die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.
Seehofer habe „ganz offenbar ein unheilbares Defizit an Mitmenschlichkeit“. Es sei höchste Zeit, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Mann rausschmeiße. Auch Juso-Chef Kevin Kühnert forderte den Rücktritt des Ministers. Scharfe Kritik an Seehofers Verhalten äußerte auch die frühere SPD-Ministerin Renate Schmidt. Die Organisation Pro Asyl befürchtet, dass der schreckliche Vorfall womöglich kein Einzelfall bleiben wird, weil die Bundesregierung die bisher geltenden Einschränkungen bei Sammelabschiebungen aufgehoben habe.
Schwere psychische Probleme
Der Tod des Mannes werfe ein Schlaglicht auf die brutale Abschiebepraxis, kritisierte Pro Asyl. „Insbesondere aus Bayern, das 51 von 69 Afghanen auf diesen Flug gebucht hatte, werden keineswegs nur Straftäter oder Gefährder nach Kabul abgeschoben.“ Nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrats waren unter den in der vergangenen Woche Abgeschobenen auch Auszubildende und Berufsschüler. Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat zeigte sich gegenüber dem
WESER-KURIER auch entsetzt darüber, dass eine Person direkt aus einer psychiatrischen Klinik in München abgeschoben worden sei. Auch zwei weitere Menschen hätten schwere psychische Probleme gehabt. „Das macht uns fassungslos“, sagte Dünnwald. „Der Respekt vor dem Menschen zählt nichts mehr.“ Tatsächlich hat sich die Bundesregierung Anfang Juni auf eine neue Abschiebepraxis verständigt, was aber eher nebenbei herauskam, als eine CSU-Abgeordnete der Kanzlerin in der Regierungsbefragung eine gut vorbereitete Frage stellte.
„Aus unserer Sicht sind die Einschränkungen entfallen“, antwortete Merkel ihr. Kurz zuvor hatte das Auswärtige Amt seinen neuen Lagebericht zu Afghanistan vorgelegt, der für die zuständigen Behörden eine wichtige Grundlage bei der Entscheidung über Asylanträge ist. Auch er zeichnet das Bild eines Landes, in dem nach wie vor Krieg, Armut und Korruption herrschen. Trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage und den anhaltenden Kämpfen zwischen Islamisten und Regierungstruppen hält die Bundesregierung aber Teile des Landes für sicher genug, um Menschen abzuschieben.