
Manche Politiker, Publizisten und Politikwissenschaftler warnen vor „Weimarer Verhältnissen“. Sie beziehen sich unter anderem auf die Zersplitterung des Parteiensystems und die Stärke der Randparteien von Rechts und Links, zumal im Osten des Landes, obwohl die ökonomische Situation für Unzufriedenheit kaum einen Anlass bietet. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September und in Thüringen am 27. Oktober könnten die Alternative für Deutschland (AfD) und Die Linke zusammen mehr als 40 Prozent der Stimmen erreichen. So kämen nach einer jüngsten Meinungsumfrage in Thüringen Die Linke auf 25 und die AfD auf 24 Prozent, also auf die absolute Mehrheit der Mandate.
Dramatische Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung wären damit programmiert. Zum einen ist die Parteiidentifikation im Osten gering, zum anderen sind die Parteien „beliebiger“ geworden, nicht mehr auf ihre Stammwählerschaft fixiert. Die beiden politischen Kräften hätten nach diesen Umfragen eine „negative Mehrheit“: Sie wären sich nicht einig in dem, was sie wollten. Bei den beiden Reichstagswahlen 1932 konnten NSDAP und KPD mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen und die Demokratie damit lahmlegen.
Eine Parallelisierung zur Weimarer Republik verbietet sich aber. Die Unterschiede überlagern klar die Ähnlichkeiten. Erstens erhielt die erste deutsche Demokratie nur halbherzige Unterstützung in politisch und wirtschaftlich turbulenten Krisenzeiten von den etablierten Parteien, zweitens handelt es sich bei der Partei Die Linke und der AfD um Kräfte, die nicht annähernd über das antidemokratische Potenzial von KPD und NSDAP verfügen. Drittens besitzen sie, anders als KPD und NSDAP, bundesweit nicht annähernd eine absolute Mehrheit. Bei der Bundestagswahl 2017 errangen die AfD und Die Linke zusammen gerade einmal 21,8 Prozent.
Allerdings: Erhielte 30 Jahre nach der friedlichen Revolution Die Linke oder die AfD in einem der drei Länder die meisten Stimmen, wäre dies ein Signal des Protestes, mit einer Resonanz weit über den Osten hinaus. Noch vor einem halben Jahrzehnt hätte dies wohl niemand als realistisch angesehen. In den neuen Bundesländern (weniger Stamm- als Wechselwähler, hohe Quote an Nichtwählern) gibt es viel Frust, der auf zahlreichen Ursachen fußt. Die Migrationspolitik der Regierung Merkel ist nicht die geringste: Die Vorbehalte gegenüber vielen Migranten, wirtschaftlich und kulturell bedingt, führen zur Abwendung von etablierten Kräften.
Unser Gastautor
ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der TU Chemnitz.
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