Herr Heine, was macht ein gutes Rätsel aus?
Stefan Heine: Vor allem soll es denen, die es lösen, Spaß machen.
Muss es auch herausfordern, also es den Rätslern nicht zu leicht machen?
Das kommt darauf an. Man darf die Kundinnen und Kunden weder unter- noch überfordern. Nicht von ungefähr gibt es beispielsweise Sudoku-Hefte mit 13 verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Die Käuferinnen und Käufer wissen sehr genau, welcher Schwierigkeitsgrad ihnen Spaß macht.
Sie gelten als Deutschlands Rätselkönig, sind aber als solcher eine Art „Hidden Champion“. Oder werden Sie auf der Straße angesprochen?
Das passiert tatsächlich relativ selten, obwohl ich auf unseren Rätselheften abgebildet bin. Insofern bin ich schon „hidden“, obwohl ich mit meinem Namen bewusst nach vorne stelle, was viele Rätselmacher und -firmen nicht so gerne tun. Das liegt vielleicht daran, dass Rätselmacher häufig eher introvertierte Menschen sind. In anderen Ländern ist das anders, beispielsweise in den USA und Schweden. Dort haben Rätselmacher einen Namen und werden gerne in Talkshows eingeladen, um sich auch über politische und gesellschaftliche Themen zu äußern. Also: „Hidden“ ja, Champion weiß ich nicht.
Verstecken müssen Sie sich jedenfalls nicht: Die Druckauflage aller von Ihrer Firma in einem Monat hergestellten Rätsel sollen schon zum Jahreswechsel 2018/2019 weltweit mehr als 300 Millionen Exemplare umfasst haben. Sie stellen mehr als 100 Rätselarten her und haben maßgeblich zur Verbreitung von Sudoku und Wordle in Deutschland beigetragen. Letzteres hat Ihnen einen Rechtsstreit mit der „New York Times“ eingebracht.
Das ist richtig. Die „New York Times“ und ich haben uns die deutschen Markenrechte an Wordle am selben Tag gesichert. Die „New York Times“ ist der Ansicht, dass sie die alleinigen Rechte für den deutschen Markt hat, und hat gegen mich geklagt. Das haben erst die Richter des Landgerichts Düsseldorf, dann die des Landgerichts Hamburg im Hauptsacheverfahren anders gesehen und haben die Klage abgewiesen. Die „New York Times“ hat dagegen Berufung eingelegt. Mir geht es darum, dass der Name Wordle quasi freigehalten wird. Es gibt viele schöne Rätsel, die aber nur sehr wenige Rätsler kennen, weil sie überall unter anderem Namen laufen. Das wollte ich vermeiden.
Warum beharrt die „New York Times“ darauf?
Das weiß ich auch nicht so genau. Ich glaube nicht, dass die „New York Times“ sich mit Wordle in Europa etablieren will. Es handelt sich um einen großen Konzern, der kann solche Auseinandersetzungen riskieren. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass er sich angeblich für einen siebenstelligen Betrag die Community gekauft hat, die Wordle auf der Seite des Erfinders gespielt hat. Diese Seite hat der Verlag in seine Rätselwelt integriert und riesige Umsätze damit erzielt, weil man die Rätselseiten abonnieren muss. Ich glaube, er hofft, dass er längeren Atem hat und ich irgendwann aufgebe.
Und?
Ich gebe nicht auf, jetzt erst recht nicht. Ich entwickele sogar ein bisschen Spaß daran, ich habe nicht umsonst Jura studiert. Es geht dabei ja auch um logisches Denken und darum, den kniffligen Fall gewissermaßen zu lösen. Man muss seinen Grips anstrengen, das ist hoch spannend.
Apropos Grips anstrengen: Ist es möglich, ein neues Rätsel zu erfinden und sich daran dumm und dusselig zu verdienen?
Reich werden kann man womöglich mit einem neuen Rätsel. Allerdings kann man nicht das Spielprinzip schützen lassen, sondern nur den Namen. Wordle beispielsweise gibt es von verschiedenen Anbietern unter zig anderen Namen.
Sie schildern in einem Porträt in der „Süddeutschen Zeitung“, dass Sie 2005 erlebten, wie London vom Sudoku-Fieber erfasst wurde. In einem Frühstückscafé, beschreiben Sie, „war es totenstill. Alle spielten Sudoku. Auch die Bedienung.“ Ist das heute, 20 Jahre danach, noch denkbar, wo alle an ihren Smartphones kleben?
Ja, unbedingt. Man kann das nicht erzwingen oder vorhersagen, aber das Beispiel Wordle zeigt, dass es immer wieder solche Hypes gibt. Auch bei Wordle ging es rasend schnell, dass immer mehr Leute gespielt haben, und zwar online, vor allem in den USA. Zu Hochzeiten soll Wordle dort täglich 30 Millionen Mal gespielt worden sein.
Sind Rätsel also etwas für jede Generation?
Es ist ein klassisches Vorurteil, dass vor allem ältere Menschen rätseln. Sudoku und Wordle haben über alle Generationen hinweg enorme Hypes ausgelöst. An den Meisterschaften nehmen beinahe durchweg junge Leute, vor allem auch junge Frauen teil. Das Interesse am Rätseln insgesamt nimmt eher zu als ab.
Älteren Menschen wird Rätseln allerdings ausdrücklich empfohlen, als Gehirnjogging.
Zu Recht: Es gibt eine Studie der Columbia-University, die belegt, dass nicht nur Apps wirken, die darauf abzielen, die Gehirnleistungen zu erhalten, sondern dass das auch für digitale Kreuzworträtsel der Art Um-die-Ecke-gedacht gilt. Mehr noch: Der Fortschritt leichter Demenz, unter der die Probanden litten, konnte mit diesen Kreuzworträtseln sogar besser verlangsamt werden als mit anderen Arten des Gedächtnistrainings.
Wie kam es dazu, dass Sie sich auf Rätsel spezialisiert haben? In die Wiege gelegt wurde Ihnen das doch vermutlich nicht ...
Mein Vater hatte andere Pläne mit mir. Ich sollte in seine Fußstapfen treten. Das hat er mir schon gesagt, als ich 15 Jahre alt war. Er war Zahnarzt und hat nebenbei in Eckernförde einen Delikatessen-Versandhandel betrieben. Dort sollte ich einsteigen. Ich habe deshalb zunächst in Kiel ein BWL-Studium aufgenommen, aber schnell festgestellt, dass das nichts für mich ist. Nach vier Semestern habe ich zu Jura gewechselt und innerhalb kurzer Zeit alle Scheine gemacht, die fürs Examen notwendig waren. Allerdings spielte meine Freundin dabei eine große Rolle, unter der Trennung litt auch das Studium.
Unternehmergeist steckt aber offenbar auch in Ihnen, Sie haben schon als Student Ihre erste Firma gegründet.
Ich habe als Student zunächst als Promoter gejobbt. Ich habe in Supermärkten Probehappen und als Weihnachtsmann Schokoriegel in der Fußgängerzone verteilt. Dann wurde ich mit 20 oder 21 Gebietsleiter für Norddeutschland. Nach zwei Jahren habe ich mit einem Partner ein Institut für Marktforschung gegründet, weil ich sehr viele Promoterinnen und Promoter kannte, meist Studenten, die die Interviews für uns gemacht haben.
Wann kamen die Rätsel dazu?
Die Mutter meines Geschäftspartners war Psychologin und Autorin für einen Kummerkasten. Sie hatte das einige Jahre gemacht und einen entsprechenden Fundus an Texten. Die haben wir mit einer neuen Firma an Verlage verkauft. Später kamen Horoskope hinzu, das Fernsehprogramm, Wetter und Comics, Video- und Musikkritiken, also weitere Produkte, die viele Verlage ihren Leserinnen und Lesern als Service anbieten und meist von Dienstleistern einkaufen. 1995 habe ich mir selbst beigebracht, Rätsel zu erstellen.
Wer macht die Presseservice-Heine-Rätsel?
Einige Rätsel, wie beispielsweise Schwedenrätsel, erstellen wir am Computer. Die Software dazu haben wir in weiten Teilen selbst entwickelt. Grundlage ist unsere Datenbank. Sie umfasst rund 45.000 Begriffe und etwa 120.000 Fragen. Allerdings müssen die Daten fortwährend aktualisiert und gepflegt werden. Neue bekannte Persönlichkeiten oder Begriffe kommen hinzu, andere fallen weg. Aber es gibt auch Rätsel, die mit der Hand gemacht werden – wie die, bei denen man um die Ecke denken muss. Dafür haben wir spezielle Autoren. Das gilt auch für Rätsel, bei denen nach einer bestimmten Person, einem Film oder einem Ort gesucht wird – wie die Rubrik „Wer?“ und „Wo?“ im WESER-KURIER.
Kann man Rätselmachen lernen oder muss einem das im Blut liegen?
Man kann vieles lernen, aber man muss auch Spaß daran haben. Es gibt eine Reihe von Tricks, derer man sich bedienen kann. Übung spielt eine große Rolle.
Wenn ein Rätselmacher auf ein Wort oder eine Buchstaben- oder Zahlenreihe schaut, kann er dann auf Anhieb andere Zusammenhänge als Hinz und Kunz erkennen, weil sein Gehirn darauf getrimmt ist?
Ich halte mich und mein Gehirn nicht für außergewöhnlich. Es ist in einer bestimmten Hinsicht besonders trainiert, weil ich täglich mit Rätseln beschäftigt bin. Ich habe vermutlich einen besonderen Blick darauf, so wie Sie einen besonderen Blick auf Zeitungsartikel haben.
Kommen wir zu Sudoku: Da sind Sie Meister Ihres Fachs. Sie sind als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft zweimal Weltmeister geworden und haben zudem die Rätsel vieler großer Turniere auf der ganzen Welt erstellt. Was macht den Schwierigkeitsgrad eines Sudoku aus?
Es kommt auf die Methoden an, mit denen man das Sudoku löst. Es gibt mehr als 30 Methoden. Sie können einfach, aber auch superkomplex und schwierig sein. Man muss also erkennen, welche Methoden man wann anwenden kann. Je mehr Methoden man beherrscht, desto schwierigere Rätsel kann man lösen.
Sind das die sogenannten Killer-Sudokus?
Nein, Killer-Sudoku ist eine Variante, bei der die Zahlen in bestimmten Gruppen vorgegebene Summen bilden müssen. Das kann, muss aber nicht schwieriger sein als ein klassisches Sudoku.
Sie vertreiben Bücher bis zur Stufe „ultrahardcore“. Sie beschreiben sie als die „schwersten Killer-Sudokus der Welt“. Sind sie es tatsächlich?
Mich hat offenbar noch niemand übertroffen, was den Schwierigkeitsgrad angeht. Die Londoner „Times“ bringt auch solche Bücher heraus, aber die Schwierigkeitsstufe meiner höchsten Stufe soll höher sein als die der dortigen. Manchmal brauche ich selbst einen Tag, um sie zu lösen. Die erste deutsche Meisterin im Sudoku, Kerstin Wöge, braucht allerdings nur 20 Minuten.
Gibt es Rätsel, an denen selbst Sie scheitern?
Sicher. Ich bin echt nicht schlecht und würde mich wohl für die deutsche Meisterschaft qualifizieren können. Aber weil ich die Lösung beim Entwickeln immer mitdenke, bin ich durch meinen Beruf sozusagen versaut. Wenn ich Rätsel mit der Hand erstelle, habe ich daneben immer die Lösung oder eine Zwischenlösung liegen – ohne fühle ich mich sozusagen nackt. Deshalb würde ich mich bei einem Turnier sehr unwohl fühlen.
Es heißt, man erkenne Ihre Sudokus, Sie hätten eine Handschrift. Wie kann man sich das vorstellen?
In meinen handgemachten Sudokus gibt es meistens keine Zahlen, sondern Pfeile oder Punkte oder Vögel oder Fische. Das heißt, die Extrabedingungen bestimmen den Lösungsweg. Ich führe die Rätsler durch das Sudoku und kann die Schwierigkeit des nächsten Schrittes modellieren. Es kommt auf die Methodik, die Reihenfolge und die Abwechselung von leicht und schwierig und umgekehrt an.
Ihre Sudokus haben eine gewisse Dramaturgie oder Melodie?
Ja, das ist die Heine-Melodie.