Claudia Neumann spricht über Bolzen gegen Jungs, ihre nicht vorhandene Karriereplanung und die Besonderheiten des Frauenfußballs.
Auf dem Bolzplatz Stürmerin, im Fernsehen eher defensives Mittelfeld: Claudia Neumann macht ihre Arbeit aus reinem Spaß am Sport. Sich in den Vordergrund zu drängen, liegt ihr fern. Deshalb tritt die ZDF-Sportreporterin häufig eher am Rande des Geschehens als Berichterstatterin auf. Doch das ändert sich jetzt: Für das ZDF wird Neumann mehrere Spiele der Frauenfußball-WM vom 26. Juni bis zum 17. Juli kommentieren; das erste am Dienstag, 28.06, um 14.40 Uhr: Kolumbien gegen Schweden. Den Karrieresprung nimmt Neumann eher gelassen hin, aber angesichts der WM ist sie trotzdem ein wenig aufgeregt ...
teleschau: Sie sind die erste Frau, die ein Fußballgroßereignis für das ZDF kommentieren darf. Fühlen Sie sich geehrt?
Claudia Neumann: Es ist ein Zwiespalt. Auf einer Seite bin ich natürlich stolz, dass ich es machen darf.
Und auf der anderen Seite?
Neumann: ... ist es für mich kein allzu großes Thema, weil ich die Entwicklung sehr logisch finde. Es gibt eben kaum andere Frauen in meiner Position. Dass meine Generation sich mit Fußball auseinandersetzt, ist eher selten. Das wird bei den jungen Mädels, die jetzt Fußball spielen, ganz anders sein.
teleschau: Haben Sie auch gespielt?
Ja, ich spielte als Kind, ähnlich wie meine männlichen Kollegen, Fußball mit den Jungs auf dem Bolzplatz, hab das ganze Programm mitgemacht: "Kicker" kaufen, Panini-Bildchen sammeln ... Ich bin als leidenschaftlicher Fußballanhänger aufgewachsen. Das zieht sich durch mein ganzes Leben - auch, dass ich meine Leidenschaft mit in den Beruf retten konnte und heute darüber berichten darf.
Als einziges Mädchen unter Jungs - da sind Sie das Exotendasein also schon lange gewohnt.
Ich fühlte mich eigentlich nie als Exot. Klar habe ich gelegentlich auch mal Skeptiker angetroffen, aber das hat sich auch immer sehr schnell gelegt. Die meisten akzeptierten, dass sich diese Frau, die genau so aufgewachsen ist wie sie, auch für Fußball interessiert.
Auch im Beruf?
Der Einstieg in den Beruf wurde sogar leichter, weil ich mich dadurch von der Masse abgesetzt habe. Das war noch bei SAT.1, da hat es dem Sportchef imponiert, und plötzlich war ich mit im Boot. Die Kollegen haben auch schnell mitbekommen, dass ich Ahnung hatte - auch, weil ich spaßeshalber einmal die Woche beim Redaktionskick mitgespielt habe.
Welche Position?
Im Sturm, immer im Sturm. Da muss man nicht ganz so viel laufen (lacht) - und außerdem hatte ich immer so etwas wie einen Torriecher. Da waren alle Fronten ganz schnell geklärt.
Rechnen Sie damit, in Zukunft auch mal Männerfußball kommentieren zu dürfen?
Das ist definitiv nicht mein Ziel, ich möchte jetzt erst einmal das, was ich vor mir habe, gut machen. Das Handwerk des Live-Kommentars ist ja zum großen Teil unabhängig vom Fachwissen, da kommt es darauf an, dass man den richtigen Rhythmus findet. Davor habe ich großen Respekt. Das möchte ich vernünftig hinkriegen auf einem Niveau, mit dem ich zufrieden sein kann. Danach kann man weitersehen. Aber erst mal würde ich mich weiterhin auf Frauenfußball konzentrieren wollen. Wenn ich mich damit dann ganz wohlfühlen würde, und das Angebot käme, würde ich wahrscheinlich nicht nein sagen, aber es ist kein Ziel von mir. Grundsätzlich bin ich im Männerfußball aber noch mehr zu Hause als im Frauenfußball.
Ist der Unterschied tatsächlich so groß?
Das sind zwei verschiedene Sportarten. Es ist zwar unter dem Deckmäntelchen gleicher Regeln und der gleichen Spielidee, aber die Frauen sind auf dem Spielfeld einfach biologisch und anatomisch komplett benachteiligt. Eine Frau kann aus dem Fußgelenk keinen 40-, 50-Meter-Pass schlagen, das ist fast unmöglich. Die Sehgewohnheiten des normalen Zuschauers kann der Frauenfußball also nie erfüllen. Wer sich auf den Sport einlassen und ein bisschen Spaß daran haben möchte, der darf das nicht vergleichen.
Was macht den Frauenfußball aus?
Der Sport ist sehr taktisch, sehr technisch orientiert - und viel weniger robust. Aber der größte Unterschied zum Männerfußball ist das langsamere Tempo.
Trotz aller Unterschiede - das WM-Fieber macht sich allmählich breit. Wie langfristig kann der Popularitätsschub wirken?
Für die Nationalmannschaft hat er jetzt schon permanente Gültigkeit. Aber auf den Bundesliga-Alltag wird die Aufregung langfristig keine Auswirkungen haben.
Wieso das?
Der Bundesligafußball der Frauen ist drei Klassen schlechter als die Nationalmannschaft. Das liegt natürlich auch am Aufwand, die Mädels müssen vor dem Training alle noch zur Schule oder zur Arbeit. Das ist auch der Grund, warum die Nationalmannschaft so eine lange Vorbereitungszeit hat: Die holen nochmal 30, 40 Prozent raus. Wer aber einmal ein WM-Finale gesehen hat und dann zu einem Bundesligaspiel geht, der erlebt einen Schock. Deshalb gehen da wirklich nur die ganz treuen Fans hin.
Glauben Sie daran, dass sich das in Zukunft noch ändert?
Nein. Ich finde es auch gar nicht nötig. Vielleicht gibt es noch mal einen kleinen Zuwachs, sodass man von einem Stammpublikum von 1.500 bis 2.000 Zuschauern reden kann statt von 800 bis 1.200. Aber in große Dimensionen wird der Sport nie vordringen. Es reicht den Leuten, die Nationalmannschaft zu unterstützen, und das ist schon mal gar nicht schlecht. Sie müssen das mit anderen Sportarten vergleichen, gerade mit anderen Ballsportarten. Dafür ist der Frauenfußball sensationell gut positioniert, auch medial. Vielleicht gibt's noch einmal ein paar kleine Fortschritte, aber der Hype muss richtig eingeschätzt werden, man sollte die Kirche im Dorf lassen. Das sehen übrigens auch viele Spielerinnen so ...
Die auch noch ein anderes Leben neben dem Fußballerdasein führen möchten.
Klar. Bei so einem Riesenereignis wie der WM ruhen viele Dinge, aber die schauen alle über den Tellerrand hinaus, denken an die Zukunft und ihre berufliche Ausbildung. Es gibt da eben kein Geld zu verdienen wie bei den Männern, sodass man sich nach der Karriere in Ruhe zurücklehnen könnte.
Insgesamt hat der Frauenfußball in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Ist das Ihrer Einschätzung nach echte Anerkennung für die sportliche Leistung, oder sind die Fußballerinnen immer noch putzige Kuriositäten?
Nein, ich glaube, die ist echt. Das mag auch daran liegen, dass sich über die Jahre das optische Erscheinungsbild geändert hat - hin zu dem von den Männern erwarteten oder erhofften Bild (lacht). Diese Dinge spielen immer eine Rolle. Inzwischen sind das ja sehr feminine Wesen, die da Fußball spielen. Die könnte man sich auch auf dem Turnbarren vorstellen. Die USA oder Norwegen hatten schon vor acht Jahren taillierte Trikots, weil Marketingstrategen dort viel stärker involviert sind. Und wenn sich die Mädels darin wohlfühlen, warum nicht?
Nutzt der Verband den Faktor Sex bewusst?
Nun, der Verband versucht ja, den Sport zu fördern. Und da sind eben diese Marketingstrategen, die solche Tipps geben. Der Verband ist solchen Ideen gegenüber weder verschlossen, noch wird irgendwer zu irgendetwas gezwungen. Am Ende entscheidet der Trainerstab mit der Mannschaft, was sie machen und wie sie es machen wollen.
Was wird die Zuschauer bei dieser WM am meisten überraschen?
Die Stadionbesucher werden unheimlich viel Spaß haben an der Atmosphäre. Dass sie auch beim Spiel Spaß haben, ist hoffentlich klar. Aber die Atmosphäre ist doch noch einmal ganz anders, ich nenne das Kreisch- und Kicherkulisse. Die Zuschauer sind immer sehr schnell hocherfreut, feuern kräftig an, und da wird auch kein Gegner ausgepfiffen - na ja, zumindest nur in den seltensten Fällen.
Worauf freuen Sie sich ganz persönlich?
Ich freue mich wie Bolle auf die Herausforderung des Live-Kommentars. Ich freue mich auch darüber, dass wir beim ZDF so ein tolles Team zusammenbekommen haben. Ich glaube, es haben noch nie so viele Menschen an einem Frauenfußball-Ereignis gearbeitet wie in diesem Jahr. Der personelle und technische Aufwand ist der Männer-WM sehr nahe. Und das sind lauter Leute, die guten Journalismus machen wollen.
Glauben Sie, Sie werden über den Siegeszug der deutschen Mannschaft berichten?
Ich halte Deutschland für die beste Mannschaft der Welt. Aber es gibt drei, vier Mannschaften, gegen die man auch mal verlieren kann, wenn man nicht ans Leistungslimit kommt, das ist mittlerweile locker möglich.
Aus welchen Ländern kommt die härteste Konkurrenz?
Aus Brasilien und den USA. Japan haben wir auch alle auf der Rechnung, die sind technisch unheimlich gut - es kommt nur drauf an, ob sie das im entscheidenden Moment auch abrufen können. Mit Norwegen und Schweden muss man immer rechnen. Das sind Hochburgen des Frauenfußballs, die schon heftige Krisen durchzustehen hatten, und von denen wir nicht wissen, ob sie zurück zu alter Form gefunden haben. Wenn ja, sind sie kreuzgefährlich.