Plattdeutsch oder auch Niederdeutsch ist eine eigene Sprache. Sie wurde früher von allen Menschen in Norddeutschland gesprochen. „Nieder“ bedeutet dabei, dass das Land flach ist, also kaum Berge hat. Die Sprache, die wir heute sprechen und schreiben, nennt sich Hochdeutsch. Sie kommt aus der Mitte und dem Süden Deutschlands. Schon im Mittelalter kam es dazu, dass die Leute im Süden anders redeten als die Leute im Norden. Im Süden sagte man etwa „machen“, im Norden „maken“.
Plattdeutsch war die Sprache der Hanse. Das war ein Bündnis von Kaufleuten und Städten im Mittelalter, hauptsächlich um Handel zu betreiben. Die Städte, die in dem Bündnis waren, nannten sich Hansestädte. Damals waren es etwa 200 Städte, heute tragen nur noch wenige den Beinamen. Bremen ist eine von ihnen. Das Wort „Hanse“ bedeutet so viel wie Schar oder Gefolgschaft.
Viele Leute aus den älteren Generationen sprechen heute noch Platt oder können es verstehen. Diejenigen, die auf dem Land aufgewachsen sind, häufiger, als die aus der Stadt. Plattdeutsch klingt etwa wie eine Mischung aus (Hoch)deutsch, Englisch und Niederländisch.

Das Institut für niederdeutsche Sprache liegt im Bremer Schnoor.
Mission: Erhalt der Sprache
Leider verschwindet Plattdeutsch immer mehr, weil es eben größtenteils nur noch von Alten gesprochen wird und junge Menschen damit kaum in Berührung kommen. Das will das Institut für niederdeutsche Sprache (INS) ändern. Das ist ein Verein, der sich für den Erhalt der plattdeutschen Sprache und Kultur einsetzt. Dort werden zum Beispiel alle plattdeutschen Bücher, CDs und Filme gesammelt, die es gibt. Leiter des INS ist Reinhard Goltz. Er ergänzt: „Und wir sehen uns aktuelle Entwicklungen an: Wie viele Menschen verstehen und sprechen Platt? Was denken sie über die plattdeutsche Sprache?“ Seit fast 50 Jahren gibt es das INS, das im Schnoor zu finden ist. Dort steht auch die größte Kinderbuchsammlung auf Platt. „Hier ist jeder zum Stöbern eingeladen – in Corona-Zeiten leider unter Auflagen“, sagt Goltz. Denn viele Kinderbücher gibt es nicht nur auf Deutsch oder Englisch, sondern auch auf Platt. Hier findet man zum Beispiel die Bremer Stadtmusikanten auf Niederdeutsch, aber auch Asterix und Obelix, den kleinen Prinzen oder auch den Grüffelo und die kleine Raupe Nimmersatt.

Tom (acht Jahre alt) beim Schmökern im plattdeutschen Asterix-Band.
„Dat gifft en Reeg Billerböker för de Lütten. Ik mag vun Ekhard Ninnemann „Kuno Muulwarp un Penelope“. Un junge Lüüd von 10 bet 12, de al en beten mehr Platt köönt, schullen sik vun Birgit Lemmermann „Ebbe un Hehn“ vörnehmen“, berichtet Goltz auf Platt. (Wer es nicht ganz verstanden hat, hier die Übersetzung: „Es gibt ein Regal mit Bilderbüchern für die Kleinen. Ich mag Ekhard Ninnemanns (Buch) „Kuno Maulwurf und Penelope“. Und junge Leute von zehn bis 12 Jahren, die schon ein bisschen mehr Platt können, die sollten sich Birgit Lemmermanns (Buch) „Ebbe und Huhn“ vornehmen.“)
„Gerade führen wir den Plattdüütschen Filmpries durch“, erzählt Reinhard Goltz weiter. Alle Schülerinnen und Schüler, kreativen Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren sind dazu aufgerufen, einen Kurzfilm auf Plattdeutsch zu drehen. Der Film soll dabei nicht länger als fünf Minuten dauern. Der Preis wird von der Plattdüütsch Stiftung Neddersassen ausgerufen. Gewinnen kann man bis zu 1800 Euro. Weitere Informationen und Teilnahmebedingungen gibt es auf der Homepage des INS unter www.ins-bremen.de. Der Einsendeschluss ist der 4. Mai.

Maximilian (sieben Jahre alt) liest in der Schulbibliothek der Schule Schönebeck.
Unterricht auf Platt
Damit die niederdeutsche Sprache nicht irgendwann ausgestorben ist, gibt es mittlerweile auch einige Schulen in Norddeutschland, die Plattdeutsch im Lehrplan haben. In Bremen ist die Grundschule in Schönebeck die einzige Profilschule für Niederdeutsch. Dort ist die Sprache fest im Schulalltag verankert. Schon morgens werden die Schüler „op Platt“ begrüßt – vom Schulradio. Die Schulrektorin Britta Riethmöller erklärt das Konzept dahinter: „Das Schulradio gibt es bei uns täglich. Die Viertklässler leiten es. Da werden morgens alle Kinder begrüßt. Es gibt ein Quiz der Woche, die Wettervorhersage und den aktuellen Geburtstagskindern wird über’s Radio gratuliert. Und der Großteil davon auf Platt!“ Auch Musik läuft über’s Schulradio, zum Beispiel Lieder der plattdeutschen Hip-Hop-Band aus Bremen-Nord „De fofftig Penns“. Die drei Band-Mitglieder hatten in ihrer Schulzeit am Gymnasium Vegesack in einer Arbeitsgemeinschaft Plattdeutsch gelernt und 2003 die Musikgruppe gegründet.
Einmal in der Woche haben alle Schülerinnen und Schüler der Schule Schönebeck eine Stunde Plattunterricht, von Klasse eins bis vier. Dann werden die Zahlen gelernt, Begrüßungen geübt und gelesen. Die Kinder gehen mit der niederdeutschen Sprache ganz selbstverständlich um. Sie finden sie toll. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, als man gehänselt wurde, weil man Plattdeutsch sprach. Platt-Lehrerin Myriam Kolbe erinnert sich: „Das war ein richtiger Kulturschock für mich. Als ich damals als Schülerin in die Schule kam und nur Plattdeutsch konnte, wurde ich ordentlich geärgert. Plattdeutsch galt damals als Bauernsprache und altbacken. Da hatte ich mir eigentlich geschworen, nie wieder Platt zu sprechen.“ Heute ist das nicht mehr so. „Die Kinder haben diese Vorprägung nicht. Für sie gilt: Platt ist cool!“, sagt Riethmöller. Myriam Kolbe führt zusammen mit Helke Bünning den Platt-Unterricht an der Schule durch. Beide Lehrerinnen sind Muttersprachlerinnen, das heißt, sie haben Plattdeutsch als Kinder als erste Sprache kennen und sprechen gelernt.

Die Beschriftungen in der Schule Schönebeck sind fast alle auf Platt.
Überall in der Grundschule begegnet man der nordischen Sprache: In der Schulbibliothek gibt es viele plattdeutsche Bücher, auf den Toilettentüren stehen „Deerns“ statt „Mädchen“, der Morgenkreis wird auf Platt abgehalten und in den Klassenzimmern liegen Zettel mit plattdeutschen Sprüchen von Lehrern wie „Maak de Döör to!“ (Mach die Tür zu!) oder „Kiek na vörn!“ (Guck nach vorn!).
Und weil man eine Sprache am besten lernt, wenn man sie hört, hat sich die Schule Schönebeck noch etwas anderes ausgedacht: „Wir haben mit dem Mildenberger Verlag fünf kleine Heftchen mit ganz einfachen Geschichten auf Plattdeutsch herausgebracht. Und auf der Internetseite www.lesestart-mit-eberhart.de/platt kann man sich die Texte auch vorlesen lassen“, erzählt Myriam Kolbe.

Kevin Behrens unterrichtet Plattdeutsch für Erwachsene.
Plattdeutsch als Geheimsprache
Kevin Behrens ist 33 Jahre alt und liebt die plattdeutsche Sprache: „Sie ist voll mit wundervollen Wörtern, viele kommen auch aus dem Französischen, wie ‚Trottwa‘ für Fußweg oder ‚Paraplü‘ für Regenschirm. Viele sind auch mit dem Englischen verwandt wie ‚Heven‘ für Himmel oder ‚jumpen‘ für springen.“
Kevin Behrens hat in Bremen Sprachwissenschaften studiert. Dabei beschäftigt man sich damit, woher die Sprachen kommen und was ihre Besonderheiten sind. Seine Abschlussarbeit hat er an der Uni Bremen auf Plattdeutsch geschrieben! Das hat vor ihm noch keiner gemacht. Nebenbei arbeitet er als Lehrer: „Ich bringe Plattdeutsch Erwachsenen an der Volkshochschule bei. Und ich schreibe über meine Seite ‚De Plattfoorm‘ Nachrichten und Social-Media-Beiträge über Plattdeutsch und versuche, die Sprache damit weiter am Leben zu halten.“
Plattdeutsch gelernt hat Kevin Behrens von seinen Großeltern. „Ich komme vom Dorf und da haben noch viele Leute Plattdeutsch gesprochen. Meine Großeltern haben auf Plattdeutsch geredet und auch meine Uroma, sie konnte sogar gar nicht wirklich Deutsch sprechen. Auch die Nachbarn und Nachbarinnen haben meistens Plattdeutsch geredet.“ Während der Schulzeit hat er Platt dann vernachlässigt, aber später wieder damit angefangen: „Als ich dann mit meinem Studium begonnen habe, habe ich mir Plattdeutsch wieder selbst beigebracht, mit Wörterbüchern, Grammatiken, Geschichten, Büchern und Texten. Im Internet findet man da mittlerweile auch viel zu.“
Heute kann er fließend Platt sprechen: „Plattdeutsch ist vor allem eine Sprache, die spricht man nur mit Leuten, von denen man weiß, dass sie es auch sprechen können. Aber wenn man solche Freunde gefunden hat, dann benutzt man es gerne und viel.“ Und manchmal kann Plattdeutsch auch zur Geheimsprache werden: „Vor allem, wenn die Leute drumherum nicht hören sollen, worüber man redet, ist Plattdeutsch sehr praktisch“, sagt Kevin Behrens und grinst.