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Essay Verbote: Geliebt, gehasst, genutzt

Seit Silvester ist sie wieder da: Die Diskussion um das Verbot von Böllern und Feuerwerk. Überhaupt sind Debatten um Verbote immer populär - doch warum eigentlich? Ein Essay.
14.01.2023, 20:16 Uhr
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Verbote: Geliebt, gehasst, genutzt
Von Iris Hetscher

Silvester in Bremens Partnerstadt Izmir. 4,5 Millionen Einwohner, viele davon in Partylaune. Auf der Hafenpromenade hat Bürgermeister Tunc Soyer zum Gratis-Open-Air-Konzert mit Gülsen, der türkischen Lady Gaga, eingeladen. Zehntausende sind gekommen, die Stimmung ist heiter – und der Himmel bleibt auch um Mitternacht schwarz. In Izmir sind Feuerwerk und Böllerei verboten, die Begründung ist simpel: zu viele Verletzte, zu viel Dreck.

In der britischen Hauptstadt London gibt es ein Feuerwerk, seit 2014 wird es zentral organisiert von der Stadt. Wer dabei sein will, muss eine Eintrittskarte kaufen, "damit die Veranstaltung für alle sicher und ein Vergnügen bleibt", so die Tourist-Info. In Deutschland ist man von solchen Lösungen weit entfernt. Alle Jahre wieder, spätestens im Advent, flammt die Debatte auf, wie man es mit dem Jahreswechsel halten will. Entspannte Töne sind dabei selten zu hören – dass jeder und jede eine ganze Stadt mehrere Tage lang mit Krawall und Gestank terrorisieren darf, wird von den einen gleichgesetzt mit Freiheit. Die anderen plädieren für ein Verbot und argumentieren mit Tier- und Umweltschutz sowie der Lärmbelastung. Im Moment haben sie die Nase vorn. Laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale Brandenburg stimmten im Oktober 53 Prozent der Befragten für die Contra-Position. Nach den Krawallen zum Jahreswechsel ist der Anteil laut Meinungsforschungsinstitut YouGov auf 61 Prozent geklettert. Sind Verbote also doch beliebter als gedacht?

Wolle man Menschen in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränken, neigten diese dazu, ihre Freiheit mitunter trotzig zu behaupten, schreibt die Psychologin Corinna Hartmann für das Wissenschaftsmagazin "quarks". Der Fachbegriff lautet Reaktanz. Eine Studie der Universität Salzburg hat gezeigt, dass diejenigen, die mit ihrem Leben zufrieden sind, Einschränkungen eher akzeptieren als Menschen, die überzeugt davon sind, ihren Alltag wenig kontrollieren zu können. Denn der ersten Gruppe falle es leicht, Alternativen zum Verbotenen zu finden. Generell gilt: Verbote müssen nachvollziehbar und maßvoll sein und der Verabredung folgen, auf die eine Gesellschaft sich durch Werte und Normen verständigt. Ändern sich diese, kann auch das Verbot fallen. Diese Formel gilt für Demokratien. Wer dagegen autoritär regiert, bei dem ist das Verbot Bestandteil der Willkürherrschaft.

Der Journalist und Buchautor Timo Rieg wendet sich in einem Beitrag für "Deutschlandfunk Kultur" dagegen, bei Forderungen nach Verboten auf tagesaktuelle Mehrheiten zu schauen. Denn: "Demokratie ist keine Herrschaft der Mehrheit, sondern Volksherrschaft. (...) Alle sollen ihr Leben so frei wie möglich gestalten können. (...) Es geht ganz trivial um Rücksichtnahme. So verstanden beschließen wir demokratisch keine Verbote, wir begrenzen Egoismus".

Betrachtet man es auf diese Weise, erscheinen beispielsweise Straßenverkehrsregeln in einem anderen Licht. Man hält sich an sie, nicht, weil eine Behörde es vorschreibt, sondern, damit alle ohne Blessuren von A nach B kommen. Schwache werden durch Verbote geschützt, wenn Kinderarbeit oder die Beschneidung von Mädchen untersagt sind. Oder aber wenn die gesundheitlichen Gefahren durch Tabak gemindert werden sollen wie beim Nichtraucherschutzgesetz, das Qualmen in geschlossenen Räumen einschränkt. Egoismus zu begrenzen heißt konsequenterweise auch: Hält jemand sich nicht an Vorschriften, wird er sanktioniert. Das kann von Punkten in der Verkehrssünderkartei in Flensburg bis zur Gefängnisstrafe reichen. Passiert das nicht, wirkt der Staat schwach, auch in seiner Schutzfunktion.

Auf genau diesen Punkt machte die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) aufmerksam, als sie sich gegen ein Böllerverbot zu Silvester 2023/24 aussprach: Wie soll die Stadt Berlin das kontrollieren? Seltsam: In weitaus größeren Metropolen wie London oder Izmir, die nicht frei von sozialen Brennpunkten und den entsprechenden Problemen sind, ist dies offenbar kein Problem.

Die Diskussion wird also weitergehen; just hat sich die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) für ein Böllerverbot ausgesprochen. Sowieso ist der Streit um Verbote  in einer in viele Interessengruppen zerfallenden Gesellschaft und durch daueraufgeregte soziale Medien zu einem beliebten Zeitvertreib geworden. Entsprechende Forderungen haben ein hohes Aufregungs- und Polarisierungspotenzial, manchmal wirkt es wie ein Gesellschaftsspiel: wir gegen die. Dabei mutiert der Begriff gerne zur Schlagzeile, auch wenn ursprünglich gar nichts verboten werden sollte.

Als die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 vorschlugen, an einem Tag pro Woche auf Fleisch zu verzichten, titelte die Bild-Zeitung: "Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!" Sowieso kämpfen ausgerechnet die Grünen, deren Gründungsgeneration noch von der Hippie-Haltung der 1970er-Jahre (Schlagwort: Verbieten verboten) geprägt war, seit Langem mit dem Image, eine Bevormundungspartei zu sein. Merke: Wer die Welt verbessern will, sagt anderen gerne: "Du darfst nicht" oder "Du sollst" – das Gebot ist der Bruder des Verbots. So soll Druck erhöht werden, wenn Appelle nicht fruchten. Die Debatte um Verzicht zugunsten des Klimaschutzes, beispielsweise durch ein Tempolimit auf Autobahnen, ist ein weiteres Beispiel dafür. Und auch das wird gerne hochgekocht zu einem seltsamen "Ihr nehmt uns den Spaß am Fahren"-Gemaule.

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Es gibt einen gewissen Kitzel, was das Hin und Her um Verbote angeht - wer meckern oder gar rebellieren will, arbeitet sich gerne an ihnen ab. Teenager sind prototypisch dafür. Denn wenn man beginnt, sich seinen eigenen Platz in der Welt zu suchen, stellt man alles infrage. Mit dieser Zeit der Selbstfindung ist heutzutage kein Bereich der Kultur so eng verknüpft wie alles, was unter Pop zusammengefasst wird. Grenzüberschreitungen vor allem in den Bereichen Film, Musik und Computerspiele gibt es immer wieder, die Liste ist endlos. Sie enthält Lieder wie Falcos Mega-Skandalon "Jeannie", Titel von den Ärzten ("Claudia hat einen Schäferhund") oder Rammstein ("Ich tu dir weh"). Horrorfilme wie "Bloodfeast", "Ein Zombie hing am Glockenseil" oder "Tanz der Teufel" durften zumindest eine Zeit lang nicht gezeigt oder als Videos verkauft werden.

Dabei unterliegen Verbote von kulturellen Erzeugnissen in Deutschland strengen Regeln. Die Freiheit der Kunst ist durch das Grundgesetz garantiert, solange andere Grundrechte nicht betroffen sind. Darf ein Film nicht gezeigt werden oder ein Song nicht gespielt, geht es meistens um  Jugendschutz, seltener um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Und übrigens nie um Geschmack – denn den definiert jeder für sich.

Meistens führen die Indizierungen der Bundesstelle für jugendgefährdende Schriften allerdings dazu, dass das Lied, der Film oder das Spiel postwendend Kultstatus erhält – manchmal hat man sogar den Eindruck, einige Künstler legten es geradezu auf ein Verbot an. Denn mit dem behördlichen "Nein" kann nicht nur die erwähnte Reaktanz einsetzen, sondern sogar etwas, dass Psychologin Corinna Hartmann als "Bumerangeffekt" bezeichnet. Diejenigen, die das Verbot ablehnen, radikalisieren sich, schon ruft jemand: Zensur!, das Verbot selbst gerät ins Zwielicht und die Kasse klingelt.

Doch all diese Debatten sind, auch wenn sie manchmal nerven, ein gutes Zeichen. Denn durch sie bleibt stets aktuell, wie sensibel es ist, Menschen etwas zu untersagen. Wünschen würde man sich oft etwas weniger Schwarz-Weiß-Malerei und ein Mehr an Grautönen. Anders gesagt: So ein schönes, zentral ausgerichtetes Feuerwerk am Osterdeich, das wäre doch was.

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