Als das Atlantis-Kino in der Böttcherstraße 2005 im Juli und August Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Fassung von Patrice Chéreau und Pierre Boulez zeigte, waren die Vorstellungen ruckzuck ausverkauft. Im Winter wiederholte die Schauburg die Aufzeichnung von den Bayreuther Festspielen noch einmal. Obwohl die Inszenierung bereits 1976 Premiere gefeiert hatte – damals lehnte das Publikum sie noch lautstark ab – gilt sie bis heute als der „Jahrhundert-Ring“. Am Montag ist der Regisseur Patrice Chéreau mit 68 Jahren dem Lungenkrebs erlegen.
Tatsächlich fesselt Chéreaus Deutung des „Ring“ noch heute
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Den mythologischen Stoff konfrontierte er mit den politischen und industriellen Umwälzungen im 19. Jahrhundert, deren aufmerksamer Zeuge Wagner war. Und so kann man Chéreaus Deutung auch als frühe grüne Kritik an unserem heillosen Umgang mit der Natur begreifen. Gier und Machtwille zerstören alle Lebensgrundlagen, auch die Beziehungen zwischen den Figuren. In den Siebzigerjahren waren Deutungen vor der Folie eines geschlossenen Weltbildes, das definieren konnte, was „links“ politisch bedeutet, was Recht und Unrecht ist, noch möglich. Diese Sicherheit hat sich danach immer mehr in Beliebigkeit aufgelöst.
Patrice Chéreau war ein Ausnahmetalent, ein früh Vollendeter. Bereits mit 19 Jahren war er der jüngste Theaterregisseur des Landes, mit 22 Theaterleiter und als knapp 32-Jähriger inszenierte er dann, auf Vorschlag von Pierre Boulez, den „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth. Chéreau arbeitete bis zuletzt als Regisseur für die Oper und das Theater. Zuletzt hat er noch Richard Strauss’ Oper „Elektra“ für das Festival in Aix-en-Provence inszeniert.
Als Filmregisseur schaffte er seinen Durchbruch 1975 mit dem Krimi „Das Fleisch der Orchidee“, dessen Drehbuch er auch schrieb. Zu seinen größten Leinwanderfolgen gehört „Die Bartholomäusnacht“ mit Isabelle Adjani in der Hauptrolle, ein Historiendrama voller Intrigen und sexueller Exzesse.
Trotzdem zeichnete er sich als Regisseur dadurch aus, menschliche Beziehungen sehr genau und häufig auch eher resigniert darstellen zu lassen. Weitaus weniger opulent, dafür aber sehr viel spannender als „Die Bartholomäusnacht“ gelang ihm der Film „Intimacy“ (2001). Ein Großteil der Presse stürzte sich damals auf die realistische Darstellung körperlicher Liebe, so als hätte Chéreau einen Sexfilm drehen wollen. Es war vielmehr ein beklemmendes Porträt zweier Menschen, die sich einmal die Woche zum Sex treffen und sich nicht näher kommen können. Auch hier erwies sich Chéreau wieder als kühner Regisseur, der nach Möglichkeiten suchte, ein solches Thema ehrlich zu erzählen. Immer spürte man in seinen Werken den Drang, für die jeweiligen Stoffe formal neue Lösungen zu finden, was ihm häufig eindrucksvoll gelang. Mit Patrice Chéreau ist einer der größten europäischen Regisseure, der es zu Weltruhm gebracht hat, gegangen.