Das hat Michel Houellebecq wieder gut hinbekommen. Im September vergangenen Jahres sickerte durch, es werde ein neuer, achter Roman von ihm veröffentlicht, gebunden und mit Lesebändchen. Interviews werde er vorab nicht geben, ließ der Meister verkünden. In der Tageszeitung "Le Monde" erschien dann doch ein sehr langes. Und sein französischer Verlag machte zwar zunächst auf Geheimniskrämerei, verschickte dann aber sagenhafte 600 Vorab-Exemplare an Literaturkritiker.
Ein neuer Houellebecq also, in Frankreich am 7. Januar erschienen, in Deutschland, mit vom deutschen Verlag streng verhängter Sperrfrist für Besprechungen, am 11. Januar. Und auch das gehört zum Spiel: "Süddeutsche Zeitung" oder "Frankfurter Allgemeine" haben sich trotzdem schon am Wochenende Gedanken zu "Vernichten" gemacht. So heißt das Werk in genauer Übersetzung des französischen Titels "Anéantir".
Ein kleines bisschen Harmonie
"Vernichten" klingt dabei mindestens so düster wie "Unterwerfung" (2015)– Houellebecqs so wütende wie populär gewordene Vision eines Frankreich, das sich der Islamisierung freiwillig ausliefert und im Jahr 2022 von einem Muslim als Präsidenten regiert wird. Sein neuer Roman ist nicht so nah am Abgrund gebaut wie die Vorgänger; auch das 2019 erschienene "Serotonin" ist ja eine Untergangsfantasie. Verglichen damit, blitzt in "Vernichten" so etwas wie Hoffnung auf, ein kleines bisschen Harmonie sogar. Ansonsten sind die Zutaten die üblichen.
Paul Raison heißt dieses Mal der Anti-Held, er arbeitet im Finanzministerium. Wir schreiben das Jahr 2027, und Frankreich bereitet sich auf die nächste Präsidentschaftswahl vor. Pauls Chef, Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Juge (nach dem Vorbild des aktuellen Finanzministers Bruno Le Maire konstruiert) will an die Spitze des Staates, sein größter Konkurrent ist ein Rechtsextremer vom Rassemblement National. Doch dann tauchen immer wieder Hackervideos auf, in denen Mord- und Zerstörungsfantasien zelebriert werden; es gibt Anschläge, der Geheimdienst ist ratlos. Diese Agententhriller-Konstruktion bleibt für Houellebecq leider nur Fassade, sorgt allerdings für einen Spannungsbogen.
Den weist auch die andere, eigentliche Geschichte auf, die sich um den 50-jährigen Paul dreht. Wie immer bei Houellebecq ist er ein Mann in einer existenziellen Krise. Pauls Ehe mit Prudence ist zerrüttet, sein Sozialleben auch. Er versteht das, was um ihn herum passiert, nicht mehr, diese sich verändernde Gesellschaft mit ihrer Diversität, ihrer Globalisierung, ihren Umbrüchen. Doch obwohl in diese Einsamkeit eingesponnen, nähert sich Paul seiner Familie wieder an. Sein Vater liegt im Sterben, Houellebecq schreibt über das Glück, das Paul widerfährt, als er sich Schwester, Bruder, Schwager wieder öffnet. Er denkt viel über den Tod nach, aber auch über die Liebe. Das wirkt manchmal fast wie eins dieser wohltemperierten französischen Filmdramen; mit Prudence erlebt Paul sogar einen zweiten Frühling. Doch dann erkrankt er an Zungenkrebs, entscheidet sich aber gegen eine rettende Operation – ein Happy End gewährt der Autor seiner Hauptfigur dann doch nicht.
Erbärmliche Gestalten
Wie immer profitiert auch "Vernichten" von der lakonischen Schreibe Houellebecqs, seine wertkonservativ grundierte Fortschrittskritik, die immer wieder aufblitzt, fällt nicht so rabiat aus wie gewohnt, es gibt wenige pornografische Szenen. Sein großes Thema bleibt der Verlust der Deutungshoheit der Männer, und seine Begründung ist dabei nach wie vor eindimensional: Männer sind unfähig, sich aus patriarchalischen Mustern zu lösen. So ist nun mal ihre Natur, auch wenn sie das zu erbärmlichen Gestalten macht. Houellebecq hat angekündigt, dass "Vernichten" sein letzter Roman ist. Vielleicht ist das auch gut so, denn sein Thema ist auserzählt.