In der Wahlnacht in den USA ging ich um 1.35 Uhr ins Bett. Die Demokratin Kamala Harris hatte mal gerade drei Wahlleute im Bundesstaat Vermont gewonnen, Donald Trump in Indiana, Kentucky und West Virginia schon 23. Nichts war entschieden, aber ich wollte nicht die ganze Nacht durchzittern. Außerdem hatte ich noch einen Bericht gesehen, in dem eine Wählerin von Trump interviewt wurde. Sie erklärte, dass der letzte Hurrikan von den Demokraten beeinflusst worden sei, um Bundesstaaten wie Florida oder Georgia zu schädigen, wo die Mehrheit die Republikaner wähle. Danach hatte ich genug von der amerikanischen Wahlnacht.
Einmal erwachte auf und überlegte, wieder den Fernseher einzuschalten, aber dann entschied ich mich, weiter zu schlafen, im Glauben an den gesunden beziehungsweise amerikanischen Menschenverstand.
Um 7.30 Uhr weckte mich die Tochter. Ich nahm die Fernbedienung in die Hand, legte sie aber gleich wieder weg. Ich nahm das Handy, doch auch das legte ich beiseite. Ach, dachte, wenn mir doch nur meine Tochter auf schonende Weise beibringen könnte, wie es in Amerika ausgegangen ist. Um 7.40 Uhr schalte ich schließlich den Sender Phönix an.
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Ausgerechnet Agnes Strack-Zimmermann von der FDP sagte im Interview: „Ein Wumms für Europa! Die Komfortzone ist futsch!“ Ich schaltete schnell zur ARD ins „Morgenmagazin“ in der Hoffnung, der stets so sanfte Wahlexperte Jörg Schönenborn würde sagen, dass alles ganz anders und noch nichts entschieden sei. Aber Schönenborn sah ernster, abgekämpfter aus als sonst. Er sagte, die Swing States wären für Harris zusammengefallen wie „Dominosteine“.
Als ich mein Handy einschaltete, las ich erst mal kicker.de. Dortmund hatte knapp gegen Sturm Graz gewonnen, die Welt war hier noch halbwegs in Ordnung, aber bei Sturm Graz fiel mir wieder der Hurrikan ein und was wohl mit dem Klima passiert, wenn es nun auch noch vom neuen Präsidenten Trump mit Füßen getreten wird.
Natürlich fiel mir wieder Dürrenmatt ein, seine Dramaturgie der „schlimmstmöglichen Wendung“. Trump ist wegen Finanzbetrugs verurteilt worden, er darf kein Unternehmen mehr im Bundesstaat New York führen, nicht mal eine Frittenbude, aber man wählt ihn ins Weiße Haus in Washington! Und warum? Weil es die Mehrheit der Amerikaner so will. Und was ist mit den anderen Straftaten von Trump? Dem Versuch des Staatsstreichs beim Sturm auf das Kapitol mit Toten am 6. Januar 2021? Der Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin? Der Wahlmanipulation in Georgia? Der Unterschlagung von Geheimdokumenten? Egal, die Mehrheit der Amerikaner wählte die Gesetzlosigkeit, die Brutalität, die Lüge, den Trumpismus.
Hat man nun einen Clown oder einen Diktator gewählt? Und wie wahnsinnig ist eine Gesellschaft, wenn sie sich solch eine Unberechenbarkeit ein zweites Mal ins Weiße Haus bestellt?
Demokratie und Vielfalt vs. Angst und Wut
Bill Clinton hatte es gewusst: „It’s the economy, stupid!“ (Es geht um die Wirtschaft, du Dummer!“), er hängte sich diesen Satz über den Badezimmerspiegel als Präsidentschaftskandidat. Die Kandidatin Kamala Harris setzte auf Demokratie, Vielfalt, Gleichberechtigung, Bildung, Moral. Trump auf Wut, Angst, auf die Hoffnung, dass ihm die Wähler alles glauben, sogar dass die Migranten die Hunde der Amerikaner aufessen würden, also auf krassen Rechtspopulismus. Und eben auf Economy – auf sein Versprechen, dass ein „goldenes Zeitalter“ mit ihm kommen werde.
Wie Trump Wirtschaft auch versteht, konnten wir gleich bei seiner Siegesrede erleben. Er holte Tesla-Chef Elon Musk auf die Bühne, der ihn mit mehr als 100 Millionen Euro unterstützt hatte, und versprach ihm unverhohlen eine wichtige Rolle in der künftigen Regierung. Zuvor hatte Trump seiner „schönen Frau“ gedankt und dabei gesagt, sie habe gerade das erfolgreichste Buch der USA geschrieben. Vermutlich ist es jetzt noch erfolgreicher, so geht Trump-Economy.
Als ich mein Handy anschaltete, las ich die SMS eines Freundes, er hatte mir um 4.12 Uhr in der Nacht geschrieben, als Trump gerade auch Mississippi gewonnen hatte: „Die Welt, mit der wir groß geworden sind, ist heute Nacht untergegangen.“ Am Abend danach zerbrach dann in Berlin auch noch die Ampel-Regierung. Was für Zeiten …