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Interview mit Karin Beier "Mir wird noch immer schlecht vor Lampenfieber"

Im Interview spricht Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier unter anderem über die Balance zwischen anspruchsvollem Theater und Publikumserfolgen, die Stadt Hamburg und Gerüchte um einen Wechsel nach Wien.
08.12.2017, 16:00 Uhr
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Von Markus Lorenz

Frage: Frau Beier, werden Sie auf der Straße von den Hamburgern erkannt und angesprochen?

Beier: Das passiert immer mal wieder. Aber dass mich Menschen dann auch direkt aufs Schauspielhaus ansprechen, ist sehr selten.

Sie sind vor gut vier Jahren nach Hamburg geholt worden, um das Schauspielhaus zurück an die Spitze der deutschen Bühnen zu führen. Ist das gelungen?

(lacht) Ja, ich denke schon. Nimmt man die gängigen Parameter wie Auslastungszahlen, Pressereaktionen und Auszeichnungen, sind wir sehr gut dabei.

Die Besucherzahlen sind gestiegen, seit Sie da sind?

Ja, aber die Auslastung ist ja nicht das einzige Kriterium. Wenn es nur darum ginge, das Theater zu füllen, würden wir lauter Liederabende machen. Aber das ist ja nicht unser Auftrag …

… sondern?

Es geht um einen künstlerischen Anspruch und darum, politisches Theater zu machen, das eine Relevanz hat und auch mal anecken darf. Dafür sind Theaterpreise oder Einladungen zum Berliner Theatertreffen mitunter wichtige Bestätigungen – für uns fast noch wichtiger als reine Auslastungszahlen. Letztlich bin ich aber fest davon überzeugt, dass anspruchsvolles Theater und ein volles Haus keine Gegensätze sein müssen.

Wie gelingt die Balance zwischen anspruchsvollem Theater und Publikumserfolgen?

Wir sind sehr darauf bedacht, diese Balance im Spielplan herzustellen – nur am Ende kommt es immer ganz anders (lacht). Bestes Beispiel ist unsere letzte Spielzeit. Da habe ich den Monolog „Unterwerfung“ inszeniert, dazu „Schiff der Träume“ und „Geächtet“ von Ayad Akhtar, den hier noch niemand kannte. Wir haben gedacht: Na, kommen da genug Leute, oder spielen wir vor halbleerem Haus? Genau diese eher schwierigen, unbekannten Stoffe sind dann aber wahnsinnig eingeschlagen und waren fast immer ausverkauft.

Haben Sie schlicht einen Riecher für die richtigen Stücke zur richtigen Zeit?

Das weiß ich nicht. Die Flüchtlingsthematik aus „Schiff der Träume“ war und ist immer virulent, aber dass sich die Situation dann so entwickeln würde, hat niemand vorhersehen können. Wir hatten 2015 gerade die Uraufführungsrechte für Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ erworben, als kurz darauf der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ verübt wurde. Dadurch war die Brisanz des Romans über Nacht regelrecht explodiert. Wir verstehen uns als politisches Theater – und es ist schön zu sehen, dass die Zuschauer genauso interessiert sind an diesen Themen wie wir.

Der dreistündige Monolog „Unterwerfung“ mit Edgar Selge ist so erfolgreich, dass das Schauspielhaus erstmals seit langer, langer Zeit Stehplatzkarten verkauft hat. Haben Sie das für möglich gehalten?

Nein, überhaupt nicht. „Unterwerfung“ war schon mehr als 50 Mal ausverkauft, mehr als 60.000 Zuschauer haben das Stück gesehen, das ist unglaublich. Für Edgar Selge ist es übrigens eine Riesen-Anstrengung. Vor jeder Vorstellung sind drei Tage Vorbereitung notwendig. Wir werden sicherlich irgendwann eine Pause machen müssen.

Ist Theater dann erfolgreich, wenn ein TV-bekannter Schauspieler wie Selge auf der Bühne steht?

Nicht unbedingt. Edgar Selges Bekanntheit in Hamburg hat auch damit zu, dass er hier am Schauspielhaus 2004 den „Faust“ gespielt hat. Das ist vielen noch im Gedächtnis – und hat nicht nur mit dem Fernsehen zu tun.

Hat Theater noch Einfluss auf große politische Debatten?

Zumindest nicht unmittelbar. Aber es hat vielleicht einen Einfluss auf das Bewusstsein einer Stadtgesellschaft und damit auch wieder auf die politische Debatte. Wir haben auf der Bühne das große Privileg, nicht politisch korrekt sein zu müssen. Wir können reden, wie ein Politiker nicht reden kann. Wir können uns widersprechen. Wir können die Perspektive verdrehen und damit neue Blicke eröffnen. Im Idealfall ist das an manchen Punkten wie ein Befreiungsschlag für die Zuschauer. So etwas wie ein kathartischer Moment.

Was inspiriert Sie an Hamburg besonders?

(überlegt) Das ist eine schwierige Frage. Hamburg ist nicht so glatt, wie man vielleicht denken könnte. Die Stadt hat unterschiedliche Gesichter: das Bildungsbürgerliche und das alte Geld auf der einen Seite und dann das antibürgerliche Hamburg auf der anderen. Sich dazwischen zu bewegen ist grundsätzlich inspirierend.

Wie ist das Hamburger Theaterpublikum?

Sehr anspruchsvoll, wenn es darum geht, die Katze hinterm Ofen hervor zu locken. Alles muss stimmen: Schauspieler, Sujet, Inszenierung. Aber wenn die Hamburger erst mal im Theater sitzen, sind sie sehr offen und aufmerksam. Zwischen Schauspielern und Zuschauern ist hier schnell eine sehr energetische Verbindung hergestellt.

Hamburger sind der Kölnerin Karin Beier also nicht zu dröge und reserviert?

Im Theater nicht. Im Leben manchmal schon. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mit der Stadt warm zu werden.

Inwiefern?

In Köln war es beispielsweise nie ein Problem, spontan Verabredungen für meine Tochter zu treffen. Hier tut man das zwei Wochen im Vorhinein. Die Hamburger sind in gewisser Weise sehr organisiert und strukturiert.

Nanu. Von Ihnen heißt es doch auch, Sie seien extrem strukturiert …

Ich habe gar keine andere Wahl! Mein Arbeitstag muss gut rhythmisiert sein, weil ich sonst baden gehen würde, worunter meine Familie zu leiden hätte.

Ihre Tochter ist elf. Was sagen Sie ihr, wenn sie mal zum Theater will?

Dann rate ich ihr dringend ab. Zumindest werde ich ihr sehr, sehr genau sagen, was es bedeutet. Nur sehr wenige schaffen es in die erste Liga. Man muss sich auch mit dem Risiko auseinandersetzen, unter Umständen die dritte Magd von links in Castrop-Rauxel zu spielen. Und das ist nicht unbedingt das, wovon junge Mädchen träumen.

Stimmt es, dass Sie keine Kritiken lesen?

Beier: Stimmt.

Warum?

Die meisten Regisseure, mich eingeschlossen, sind nach einer Premiere einfach sehr wund. Und das, was manche Kritiker an einem Nachmittag in wenige, oftmals überspitzte Formulierungen zu Papier bringen, steht – naturgemäß – niemals in einer Relation zu dem, was wir an Anstrengung und Hingabe in eine Inszenierung investiert haben. Aber natürlich frage ich bei meinen Mitarbeitern nach, wie die Pressereaktionen waren – das Stimmungsbild interessiert mich schon. Aber keine Details.

Sie sind Intendantin und führen gleichzeitig Regie. Woher nehmen Sie Ihre Energie?

Ich fühle mich längst nicht mehr so energetisch wie noch vor fünf oder zehn Jahren. Aber ich sorge dafür, dass ich genug schlafe und verzichte weitestgehend auf Alkohol. Vor allem bekomme ich ganz viel Energie aus meinem Umfeld zurück: Da bin ich wie ein Vampir und sauge die Energie von meinen Schauspielern, von meiner Tochter und meinem Mann auf.

Was ist das Schöne an ihrem Job?

Es gibt zwei ungeheure Privilegien in diesem Beruf. Zum einen fühlt es sich an wie eine Berufung, auch wenn Theaterarbeit manchmal wahnsinnig quälend ist. Im Prozess selber kann ich mir aber nicht vorstellen, etwas anderes lieber zu machen. Das andere ist: Der Beruf zwingt mich dazu, mich fortwährend weiterzuentwickeln, mich mit Themen zu beschäftigen, zu lesen, Gespräche zu führen. Es ist ein unglaublich tolles Gefühl, wenn man neue Welten und Themen für sich erschlossen hat. Das gibt mir viel Kraft. Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie haben im Oktober das Bundesverdienstkreuz erhalten. Was bedeutet Ihnen das?

Ich habe mich persönlich sehr gefreut und weiß, dass es eine große Ehre ist. Aber ich denke es ist vor allem für das Schauspielhaus gut, denn in Hamburg wird so eine Auszeichnung durchaus wahrgenommen.

Gibt es etwas typisch Weibliches an Ihrer Art, Theater zu machen?

Ganz schwer zu sagen. Ich kann einer Inszenierung nicht ansehen, ob sie von einem Mann oder einer Frau stammt. Bei mir persönlich gibt es die Tendenz, sehr genau zu arbeiten, das hat viel mit Fleißarbeit zu tun. Möglicherweise ist diese Form der Gründlichkeit in unserer Branche eine eher weibliche Eigenschaft.

Haben Sie noch Lampenfieber?

Ja, natürlich. Ich setze mich in keine Premiere, da müsste ich gleich einen Kardiologen bestellen. Während einer Premiere ziehe ich mich zurück, und wenn ich zum Schlussapplaus auf die Bühne muss, bin ich furchtbar aufgeregt. Da wird mir richtig schlecht.

Es gab Gerüchte, Sie wollten als Intendantin ans Burgtheater nach Wien wechseln. Können Sie ihre Fans in Hamburg beruhigen?

Beier: Ja. Ich erhielt eine Einladung aus Wien zu einem Gespräch. Da gab es durchaus einen kurzen Moment der Verführung, dann habe ich aber abgesagt. Und mit dieser Entscheidung fühle ich mich sehr wohl.

Warum?

Dafür gibt es viele Gründe. Vor allem habe ich das Gefühl, dass ich in Hamburg richtiger bin als in Wien.

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Halbsätze:

Meine größte Stärke ist …

Beier: … mein Optimismus.

Meine größte Schwäche ist …

… manchmal vielleicht ein wenig Ungeduld.

Mein Lieblingsort in Hamburg ist …

… mein Bett.

An den Hamburgern stört mich …

… wie sie Auto fahren. Sie geben sich vornehm, aber im Auto werden sie zu Tieren.

An den Hamburgern mag ich …

… dass sie sehr kulturinteressiert sind.

Die Elbphilharmonie ist für Hamburg …

… ein Segen.

Karin Beier hat Anglistik sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft studiert. 2013 übernahm sie die Leitung des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Karin Beier ist mit dem Schauspieler Michael Wittenborn verheiratet, gemeinsam haben sie die elfjährige Tochter Momina. Die Familie lebt in Hamburg-Hoheluft.

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