Horst E. Glacer zieht es auch noch mit 81 Jahren täglich an seinen Zeichentisch. Computer hat der renommierte Jachtkonstrukteur Zeit seines Lebens nicht für die Arbeit gebraucht. Trotzdem kamen aus seiner Feder immer wieder bahnbrechende Jachtentwürfe: Von Hans-Joachim Kulenkampffs legendärem Dreimaster „Marius IV“ bis zu Serienjachten, die über 1000 Mal gebaut worden sind. Heute zeichnet er edle Weltumseglerjachten und Frachtsegler, tüftelt aber nebenher auch immer noch an einem revolutionären Yachtrigg. Die Ideen wollen ihm nicht ausgehen.
Glacers Frau Gerda zieht ein wenig hilflos entschuldigend die Achseln hoch: 2002 hatte das Ehepaar das große Haus mit dem Büro im Garlstedter Wald zu Gunsten einer schicken Appartementwohnung direkt neben der Seefahrtsschule in Elsfleth aufgegeben. Das Büro des Konstrukteurs holte sich komplett das Deutsche Schiffahrtsmuseum inklusive der Bleistifte und der Straklatten: „Es hieß, ich sei wohl der letzte Konstrukteur in Europa, der Schiffe noch ohne Computer auf die alte Weise konstruiert hat. Das wollten sie erhalten,“ lacht Glacer rückblickend. Doch mit dem Ruhestand will es nicht so recht etwas werden. Gerda Glacer: „Was solls: Ich lasse ihn gewähren. Schiffe zeichnen ist nun einmal seine große Leidenschaft.“
Das erkannte 1949 schon Glacers damaliger Lehrer Waldemar Kallies, dem der gebürtige Delmenhorster seinen Ausbildungsplatz bei der Werft Abeking & Rasmussen in Lemwerder verdankt: „Er war Segler und sah da wohl etwas in mir. Der ist mit mir nach meiner mittleren Reife mit dem Fahrrad von Delmenhorst bis Lemwerder gefahren. Von 120 Bootsbau-Bewerbern wurden von dem alten Henry Rasmussen 20 als Lehrjungs eingestellt – und ich war dabei.“ Glacer landete schnell im Zeichenbüro der Werft, die sich damals gerade einen Weltruf im Bau vergleichsweise günstiger hölzerner Jachten in enormer Bauqualität erwarb.
1958 ersten Wettbewerb gewonnen
1950 schwamm Horst Glacers erste „Hobby-Konstruktion“. Die Jolle gewann auf dem Fluss schnell das „Blaue Band der Weser“. Nach der Lehre arbeitete Glacer bis 1970 in verschiedenen deutschen Schiffbaubüros, zeichnete dabei aber auch schon auf eigene Rechnung: Mit seinem „Junior“-Seekreuzer aus Sperrholz für den Selbstbau gewann Glacer 1958 seinen ersten Wettbewerb, ausgeschrieben vom schwedischen Kreuzerklubverband. Es gab zum ersten Mal Geld: 600 Kronen. Glacer: „Ich durfte mir den ersten Preis mit zwei anderen Konstrukteuren teilen – darunter war auch van de Stadt aus den Niederlanden, der damals schon einen sehr guten Ruf hatte.“
Selbst ein bisschen bekannter wird Glacer erst sechs Jahre später mit seinem Entwurf der 6,66 Meter messenden „Champion“, die dem Starboot Konkurrenz machen soll. Das Boot hat eine achtförmige Mittelpinne, die das direkt an den Kiel gehängte Ruder bewegt. Glacer: „Ich gewann den Internationalen Konstruktionswettbewerb für ein olympisches Zwei-Mann-Kielboot. Das Boot fuhr super, aber es gab noch einen schnelleren Entwurf. Meiner war zu schwer.“
Aber Glacer hat sich damit einen Namen gemacht: Von 1970 bis 1972 wird er zum Leiter Technik beim Deutschen Seglerverband. Er überwacht die nationale und internationale Jachtvermessung und achtet darauf, dass die Klassenvorschriften – sprich auch die Bauvorschriften der Boote – bei den Olympischen Spielen in Kiel eingehalten werden: „Ich hatte das Büro in Hamburg, bin aber ständig hin und zurück nach Kiel.“
Ab 1972 nennt er sich „Schiffszeichner zu Hause“. Wer etwas von ihm will, kommt in sein Büro in den Wald nach Garlstedt. 1973 baut die Fassmer-Werft in Berne für den Showmaster Hans-Joachim-Kulenkampff den Aluminium-Dreimaster „Marius IV“, mit dem Heimathafen Bremen beim Segel-Club Niedersachsen-Burg. Glacer hatte den Auftrag, auf 18,70 Meter Länge das Feeling eines legendären Großseglers mit einem modernen Segelplan abzubilden. „Verkehrtherumsegler“ wird das Schiff auf Lesum und Weser bis heute genannt.
250 Einzelkonstruktionen sind auf Glacers Zeichentischen bis heute entstanden. Bei weitem nicht alle wurden gebaut. Andere gleich hundertfach: Die kleine „Leisure 20“ von 1975 ist laut Glacer über 1000 Mal gebaut worden. Seine „Neptun 26“ von 1973 ist seinerzeit wie eigentlich alle seine Entwürfe ein Raumwunder und findet sich auch heute noch fast in jedem größeren Jachthafen. Auch die „Rethana 27“ ist eine viel gebaute Glacer-Konstruktion. Glacer konstruiert nach den Vorgaben von Leserwettbewerben der großen Jachtmagazine Kleinkreuzer, trailerbare Motorsegler – und doch werden seine Auftragskonstruktionen immer größer. Trotz seiner breiten Palette an Entwürfen behält Glacer seine eigene Handschrift: Die meisten haben eine ganz eigene Stevenform und ein recht steiles Spiegelheck: „Meine Tochter Annette meldet sich immer aus irgendwelchen Häfen, wenn sie wieder ein Boot von mir entdeckt hat. Sie kann meine Entwürfe wirklich erkennen.“
Glacer zeichnet auch Motorboote, wovon lange kaum jemand etwas mitbekommt, weil seine Segler für mehr Furore sorgen: 1978 belebt er die Debatte über eine deutsche Teilnahme am legendären „Americas Cup“ mit dem Entwurf eines schnittigen 12ers. Sein Geld verdient er mit Motorjachten, die auch richtig gut segeln können. Der Konstrukteur von der Weser schafft es, einen Zwölf-Meter-Segler mit nur 90 Zentimetern Tiefgang zu zeichnen. Das für das Wattenmeer perfekte Schiff kann ein Kielschwert ausfahren wie ein viel kleinerer Jollenkreuzer und wird dann zur Hochseejacht. 45 Mal wird diese Jacht gebaut.
Es kommen Aufträge für Blauwasserjachten: Mal sollen sie ihre Eigner bequem um die Welt segeln, mal auch in den extremsten Seegebieten der Welt sicheres Fahren unter Segeln ermöglichen. Auf den Extremsegler Bernt Lüchtenberg ist Glacer nicht so gut zu sprechen: „Der hat ein Schiff von mir im Beagle-Kanal vor Feuerland versenkt.“ Jeder seiner Entwürfe bleibt immer auch ein bisschen sein Boot. Wer Schiffeversenken betreibt, gerät in Ungnade.
Sein Lieblingsschiff ist eine Glacer 545 namens „Pia“: „ Lütje-Yachtbau baute den Rumpf aus und ich bin es dann auch gesegelt. Da haben wir richtig einen auf den Sack gekriegt und trotzdem lief das Schiff toll. Bei dem Projekt hat wirklich einmal alles gestimmt,“ erinnert sich Glacer. Mit einigen „seiner“ Eigner hält er bis heute Kontakt: „Der Reiz an meinem Beruf ist bis heute, dass man mit wirklich interessanten Menschen zu tun hat. Da will ja jeder seinen besonderen Traum verwirklichen.“
Glacers hatten lange auch selbst eine Segeljacht, doch nie die Zeit für die Weltumsegelung oder ein Aussteigerleben. Sie verfolgen aus Deutschland, wie Klaus Gierzigs Aluminiumjacht „Alparena II“ vom Typ Glacer 50 bei der legendären Millennium Odyseey zur Jahrtausendwende um den Globus mitsegelt.
Auch ein Faible für Großsegelschiffe
Glacer hat aber durchaus auch ein Faible für die ganz großen Segelschiffe: 1991 – direkt nach der Wende – kümmert er sich um die Sanierung des ehemaligen DDR-Segelschulschiffs „Wilhelm Piek“. Als Schonerbrigg „Greif“ lässt Glacer sie erst fahren, nachdem eine lange Liste von Baumängeln behoben worden ist: „Die Rostocker wollten in der Zeit aber Sail machen und das Schiff war absolut noch nicht fertig. Da haben wir die Fahrt einfach als Werftprobefahrt deklariert.“
1994 geraten zwei Großsegler-Aufträge aus Glacers Büro voll in die Auflösung des Vulkan-Werftverbundes hinein. Aus den Kreuzfahrtseglern mit Schonerbrigg-Takelung werden nach Jahren des Umbaus zwei Briggs der britischen Jugendsegelorganisation mit den Namen „Stavros S. Niarchos“ und „Prince William“. Zwischendurch bekommt Glacer auch noch einen Innovationspreis für ein neues Trapezrigg, das er entwickelt hat: Auch die Suche nach dem perfekten Segelplan begleitet ihn sein ganzes Leben.
Und eine Megajacht hätte er auch noch ganz gerne umgesetzt: „Ich habe
2004 auch zwei erste Preise für den Entwurf einer 104 Meter langen Schonerjacht und einer 55-Meter-Tourenjacht bekommen. Es gab auch ein Essen beim Prinzen im Club, aber sonst nichts.“
Zu seinem 81. Geburtstag hat Glacer sich praktisch selbst den Entwurf eines 60 Meter langen Frachtseglers geschenkt. „Green Shipping“ ist für ihn schon seit seiner Solarboot-Konstruktionen 2008 ein Thema. Diesmal sollen nur zwei Passagiere, aber bis zu zwölf Container Fracht transportiert werden können. Dabei soll das „Coast-Cargo-Sailing-Ship“ mit bis zu 1350 Quadratmetern Segelfläche bis zum 14 Knoten schnell segeln können. Eine minimale Besatzung von elf Mann ist dabei auf die Unterstützung riesiger Elektrowinschen angewiesen, die durch Solarstrom von Deckskollektoren gespeist werden.
Glacer: „Wir haben schon einige Reeder angefragt und immer ,dolle Sache’ als Reaktion gehört.“ Nur sei der Transport momentan angesichts niedriger Spritkosten so günstig, dass sich niemand für die 30 Prozent Spritersparnis einer solchen Konstruktion interessiere. Glacer: „Aber das macht nichts: Ich habe in meinem Leben schon oft mit Zitronen gehandelt.“ Und dann hat er da auch noch die Idee für ein neues Dschunkenrigg, an der er arbeiten will und ein Zwei-Mast-Frachtsegler ist eigentlich auch schon fast fertig.