Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Neues Album "Please" Die Beatsteaks sprechen über Politik und die Bedeutung von Rock'n'Roll

Die Beatsteaks sind zurück mit einem neuen Album und frischen Gedanken über die Welt der Musik. Im Interview sprechen sie über die Rolle von Rock 'n' Roll, das Altern und ihre politischen Ansichten.
15.06.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Olaf Neumann

Das neue Album setzt auf jugendlichen Elan. Lebt Ihre Musik davon, sich die Leichtigkeit der Jugend zu bewahren?

Arnim Teutoburg-Weiß: Also, ich führe ein ganz normales Leben, aber in dem Moment, wo ich in unser Headquarter komme, fühle ich mich jünger. Beatstuff ist ein inselartiger Ort, an dem wir rumspinnen können, und wo der Ernst des Lebens nicht ganz so hart zuschlägt wie im Alltag.

Thomas Götz: Ich hoffe nicht, dass wir klingen wie eine Band, die versucht, jünger zu tun als sie ist. Ich sehe uns auch nicht als eine Gruppe mit gelifteten Gesichtern in zu engen Lederjacken und gefärbten Haaren für das nächste Bandfoto.

Herr Teutoburg-Weiß, Sie werden am 29. Juni 50. Ist das eine Zahl, die Ihnen ein bisschen Angst macht?

Teutoburg-Weiß: Nein, gar nicht. Wir müssen große Konzerte sehr lange im Vorfeld planen. Ich habe mir von unserem Booker gewünscht, dass wir an dem Tag ein Konzert spielen und einfach das tun, was wir mein Leben lang gemacht haben. Das ist für mich das größte Geschenk.

Bands wie die Rolling Stones galten in den Sixties als rebellisch, der Rock'n'Roll in den Fifties vielleicht sogar als aufrührerisch. Klingt Rockmusik heute nicht oft sehr brav?

Teutoburg-Weiß: Es kommt drauf an, wo man Rockmusik hört. In der Spotify-Playlist „All Rock" wird sie sehr brav klingen, schleppt Thomas mich aber mit in den Berliner Musikclub SO36 und ich sehe dort Bands wie die Verlierer oder Tropical Fuck Storm, dann ist nichts brav. Die Rockmusik ist heute wieder jenseits des Mainstreams, und da braucht es Querschießer. Sie ist momentan einfach keine Jugendmusik. Die Attitüde des Gefährlichen überträgt sich auch auf andere Genres wie Afrobeat.

Götz: Vielleicht ist es ganz gut, dass die Rockmusik gerade nicht im Scheinwerferlicht steht, weil es auf diese Weise viele neue Impulse gibt. Zum Beispiel von einer Punk-Performance von Pink Siifu, wo ich dachte, ich sehe nicht richtig. Krass!

Lesen Sie auch

Sie interessieren sich für die Bands, die nach Ihnen entstanden sind?

Teutoburg-Weiß: Immer. Ich gehe gerne auf große Konzerte, aber auch sehr gerne zu den Dingern, wo vielleicht 30 Leute hinkommen. Zwar seltener als früher, aber ich liebe es bis heute, mir von einer Band etwas Vorspielen zu lassen. Das Feuer, das uns damals angesteckt hat, poppt immer noch überall auf. Es gibt die Unterhaltungsmusik, und dann die Musik, die man unbedingt machen muss.

Ihr neuer Produzent Olaf Opal hat Punkbands wie die Spermbirds und Boxhamsters produziert, aber auch Mainstream-Acts wie Ich + Ich und Michael Schulte. Wollten Sie mit Opal mit oder gegen den Mainstream segeln?

Götz: Wir haben Olaf nicht gebrieft, sondern ihm einfach Demos vorgespielt und geguckt, was er dazu sagt. Wir waren sehr neugierig auf ihn.

Teutoburg-Weiß: Sein geilster Satz war: „Ich will mit euch Krach aufnehmen, den ich mir merken kann!" Und genau das ist passiert. Er kam hier rein und wollte Feuer. „Ist das noch Rock?", hat er oft gefragt. Olaf Opal war unglaublich wichtig, damit wir ins Spielen kommen und nicht über das große Ganze nachdenken.

Herr Götz, haben Sie diesmal besondere Felle auf der Trommel aufgezogen?

Götz: Nein, aber mit Socken habe ich mich beschäftigt. Die wirken sich nicht auf den Sound, aber aufs Grundgefühl aus. Olaf hatte einen bestimmten Vibe im Auge, und der ist schnell auf uns übergesprungen. Es war sehr interessant zu beobachten, wie sein Engineer Willi und er es technisch gemacht haben.

Lesen Sie auch

In der Zeit, in der „Please“ entstanden ist, sind in der Welt viele schreckliche Dinge passiert. Hat sich das auf die Songs niedergeschlagen?

Teutoburg-Weiß: Natürlich. Wir haben da nicht "Please" draufgeschrieben, weil das Cover so schön ist. Für uns heißt das: "Beatsteaks, please!“ Die Platte sollte für mein Gefühl so bandmäßig klingen, wie es geht. Das Debütalbum der Pet Shop Boys von 1982 heißt auch so, und das ist eine Top-Referenz.

Ein Song heißt „Detractors" (Verleumder). Wer soll sich davon angesprochen fühlen?

Teutoburg-Weiß: Die Kritiker, die Spalter. Als ich sehr jung war, sagte mein Vater den schönen Satz: "Arnim, du musst spielen, um zu gewinnen und nicht auf die hören, die immer nur reden!" Ich bin in einer Zirkusfamilie groß geworden. Die Künstler im Osten wurden vom Staat eingestuft, das war immer eine ganz schlimme Zeit. Man hat sich vorher genau überlegt, ob man etwas machen soll, weil man sich fragte, wie wohl die Meinungen dazu aussehen. Nick Cave schrieb in einem Buch: "Old songs follow us like a dozy old dog" ("Alte Lieder folgen uns wie ein schläfriger alter Hund") Und dann "Fuck the detractors!" (Scheiß auf die Kritiker). Dieser Satz blieb in meinem Notizbuch hängen, und daraus ist dann ein Songtext entstanden.

Hätten Sie theoretisch auch beim Zirkus landen können?

Teutoburg-Weiß: Klar. Meine Eltern waren in der Manege, sie haben immer trainiert. Ich fand die Bühne faszinierend, weil ich alles kannte, was da dazugehört. Selbst am Abendbrottisch sprachen meine Eltern noch über das Zirkusfestival, während ich vorsichtig sagte: „Ich habe da noch eine Frage wegen Mathe..."

Wieso ist aus Ihnen am Ende kein Akrobat geworden?

Teutoburg-Weiß: Das war so strange, als mein Vater nach der Grenzöffnung meinte: „Du lernst jetzt erstmal was Vernünftiges!" Dann habe ich drei Jahre lang Einzelhandelskaufmann gelernt. Das war aber auch gut, weil ich am Ende wusste, das kann ich nicht. Da waren wirklich viele nette Leute, aber es war für mich die schlimmste Zeit. Danach bin ich ins Berliner Nachtleben eingetaucht und in einem Proberaum wieder aufgewacht. Für einen Artisten in der Manege fehlte mir wohl der Fleiß, Akrobat zu sein bedeutet ja harte körperliche Arbeit. Ich fand die Clowns gut, die mussten nicht so hart trainieren.

Sie haben den Fun Boy Three-Klassiker „The Lunatics are taking over the Asylum" neu interpretiert. Wer sind die „Verrückten“ der Gegenwart?

Götz: Die stehen praktisch an jeder Ecke und sabbeln dich zu.

Teutoburg-Weiß: Dieses Lied kommt mit einem geilen englischen Humor daher. Terry Hall von Fun Boy Three ist ja leider letztes Jahr verstorben.

Sind Künstler im positiven Sinne Verrückte bzw. Außenseiter?

Götz: Das Sozialistische Patientenkollektiv sagte, die wahren Irren sind eigentlich die, die draußen rumlaufen. Natürlich sind auch die Künstler Freaks.

Haben Künstler in der heutigen Zeit eine besondere Aufgabe?

Teutoburg-Weiß: Was hat denn am meisten gefehlt in der Zeit, als man nicht rauskonnte? Wir Künstler sind dafür zuständig, die Leute aus dem Alltag herauszuführen. Let’s dance!

Lesen Sie auch

In „Traumschiff" fordern Sie, nicht aufzugeben, wenn es Ärger gibt. Verstehen Sie sich als Motivatoren, die Menschen für etwas begeistern möchten?

Teutoburg-Weiß: Na klar. Dieses „Don't give up” entstand tatsächlich schon vor zwei Jahren. Wir mussten aber erst einen Weg finden, wie man diesen Refrain singt. Das ist dann hier passiert, zusammen mit Olaf Opal. Er meinte, dazu sollten wir einen schönen Kurt Cobain-Text schreiben. „Traumschiff" ist unsere Version von Soulmusik, die wir so lieben.

Die Beatsteaks scheinen für Sie zu einer Lebensform geworden zu sein. Was macht diese Mini-Gesellschaft aus?

Teutoburg-Weiß: Diese Mini-Gesellschaft ist eine gelebte Demokratie. Extremismus, Sexismus und Egoismus sind bei uns nicht erlaubt. Vielleicht sollten die Menschen sich einmal fragen, was am meisten Spaß macht, anstatt was ihnen am meisten Geld einbringt.

Normalerweise treten Sie ja in großen Hallen auf, aber jetzt auch wieder in selbstverwalteten Jugendzentren, die vorwiegend im Osten des Landes liegen. Zurück zu den Wurzeln?

Götz: In Brandenburg, Thüringen und Sachsen wird im September ein neuer Landtag gewählt, und ich glaube, wenn die Rechtsextremen an die Macht kommen, wird die AfD Linken und alternativen Kulturprojekten den Hahn zudrehen. Deswegen gilt es jetzt, diese zu unterstützen und zu zeigen, wo wir selbst groß geworden sind. In diesen kleinen Clubs steht man noch nicht im Scheinwerferlicht von ProSieben und kann noch Fehler machen. Es ist wichtig für die Kultur, dass es auch eine Bühne gibt, wo man sich ausprobieren kann.

Wieso fühlen viele junge Leute sich von den menschenfeindlichen Positionen der AfD nicht abgeschreckt?

Teutoburg-Weiß: Weil diese Partei ins Netz schreit und ganz simple Parolen raushaut. Das gab es ja alles schon einmal. Wer sich für die Demokratie interessiert und jetzt nicht aus dem Quark kommt, darf sich nicht wundern. Die Menschen sind nicht verloren, aber man muss ran an die Buletten und sie aufklären und den Dialog suchen. Was wir als Band jetzt machen, ist mehr als auf Instagram zu schreiben, dass wir Nazis scheiße finden. So passiert nichts. Man muss jetzt etwas machen!

Das Gespräch führte Olaf Neumann.

Info

Das neue Album "Please" erscheint am 28. Juni bei BeatRec/Warner Music. Am 28. September treten die Beatsteaks im Bremer Pier 2 auf.

Zur Person

Arnim Teutoburg-Weiß und Thomas Götz

sind der Sänger und der Drummer der Berliner Indie-Punk-Rock-Band Beatsteaks. Die Band gibt es seit 1995. Mit "Please" erscheint im Juni das neunte Studioalbum der Band, mit dem sie auf ihrer Tour im Herbst auch in Bremen Halt machen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)