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Gegen Diskriminierung Politisch korrekte "Zauberflöte": Critical Classics ändert Operntexte

Klassische Operntexte neu interpretiert: Das Projekt Critical Classics nimmt sich Mozarts "Zauberflöte" vor. Diskriminierende Passagen wurden überarbeitet, um sie politisch korrekter zu gestalten.
10.08.2024, 05:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Sebastian Loskant

So beliebt viele Opern sind, so gruselig lesen sich mitunter ihre Texte. Die berüchtigte Zeile in Giuseppe Verdis "Maskenball", in der es über die Wahrsagerin Ulrica heißt, in ihren Adern fließe "immondo sangue de’ negri" (unreines Negerblut), hat schon mancher Regisseur wegzensiert. Auch in Wolfgang Amadeus Mozarts scheinbar harmlosem Prinz-rettet-Prinzessin-Märchen "Die Zauberflöte" von 1791 stecken empörend peinliche Verse. Etwa wenn der Priestersprecher zu Prinz Tamino sagt: "Ein Weib tut wenig, plaudert viel."

Ein grundlegendes Problem: "Es waren solche Textzeilen, bei denen sich die Menschen durch ein peinlich berührtes Lachen von uns distanzierten." So hat es Berthold Schneider, von 2016 bis 2023 Intendant der Wuppertaler Bühnen, selbst erlebt. "In dieser Aufführung habe ich verstanden, dass wir das ändern müssen."

Mit der freien Dramaturgin, Produzentin und Librettistin Änne-Marthe Kühn rief er deshalb das Projekt Critical Classics ins Leben. Beide möchten problematische Texte klassischer Meisterwerke für den Aufführungsalltag praktikabler machen, möchten das Libretto von Diskriminierungen befreien und heutigen gesellschaftlichen Standards anpassen. Dafür hat das Duo ein zwölfköpfiges Team versammelt, dem unter anderen ein Sensitivity Reader und eine Diversitätsexpertin angehören; als Bühnenpraktiker gehört auch Regisseur Frank Hilbrich vom Theater Bremen dazu. Als erste Oper wurde in sechs Monaten "Die Zauberflöte" revidiert.

"Wir haben an den Theatern weder das Wissen noch die Expertise, um die Stellen zu identifizieren, bei denen es wirklich schwierig wird", sagt Schneider. Und betont, nicht jede Textpassage lasse sich durch eine kritische Inszenierung auffangen. Wenn Menschen von der Bühne herab Dinge sagten, die frauenfeindlich oder abwertend gegenüber diversen Gruppen seien, reiche es nicht mehr aus, dem Publikum zu signalisieren: Das meinen wir aber nicht. Die Theatergänger, gerade auch die ganz jungen, reagierten bei "krassen" Dialogen seit einem Jahrzehnt sensibler: "Wir wollen nicht, dass sich einzelne Gruppen im Theater beleidigt fühlen."

Änderungen am Text: Das neue Libretto der "Zauberflöte", kostenlos im Internet abrufbar (www.lmr-nrw.de), wandelt vor allem einzelne Stellen ab. Aus Sklave wird Diener, das heute negativ besetzte Wort Weib wird durch Frau ersetzt. Etwa in der Passage, in der Oberpriester Sarastro gegenüber Prinzessin Pamina über deren Mutter, die Königin der Nacht, höchst patriarchalisch urteilt, die sei "...ein stolzes Weib! Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus seinem Wirkungskreis zu schreiten." Hier heißt es nun: "Eine stolze Frau! Es darf die Rache sie nicht leiten, denn nur der Hass verführet sie, aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten."

Die Stelle "Ein Weib hat also dich berückt? Ein Weib tut wenig, plaudert viel" heißt in der Neufassung: "Auch dich hat sie bereits berückt? Sie lügt, sät Zwietracht, schadet viel." Dass Pamina und der Vogelfänger Papageno die Liebe sehr heteronormativ besingen ("Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an"), ist den Critical-Classics-Redakteuren ebenfalls sauer aufgestoßen: Da Mozart die Passage wiederholen lässt, können sie sie erweitern um "Mann und Mann und Frau und Frau".

Inhaltliche Verschiebungen: Doch nicht nur auf sprachlicher Ebene finden sich Varianten. Besonderes Augenmerk der Textrevision gilt der Figur des "Mohren" Monostatos. Statt "Nur ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist", singt er nun "weil ein Bastard hässlich ist". "In unserer Variante wird Monostatos zum illegitimen Sohn Sarastros, der ihn jedoch nicht anerkennt", erläutert Berthold Schneider. "Das tut weh, ist aber eine Diskriminierung unabhängig von der Ethnie." Auch in der Figur der Papagena, die ihrem künftigen Ehemann Papageno zunächst in der Verkleidung als alte Frau gegenübertritt, gibt es eine Verlagerung. Das Redaktionsteam erkannte in Papagenos Abweisung eine Form von Altersdiskriminierung – in der Neufassung stößt er sie nun zurück, weil er mit ihr als selbstbewusster Frau nicht klarkommt.

Noch weiter treiben die Bearbeiter ihre Eingriffe im Falle Paminas. Ihr spendieren sie im ersten Akt eine weitere Solonummer und texten dafür Mozarts deutsche Konzertarie KV 383 ("Nehmt meinen Dank, ihr holden Götter") um. Schneider rechtfertigt diese subjektive Entscheidung damit, dass die Redeanteile der Frauen gegenüber den Männern erheblich geringer seien und Pamina damit weniger passiv erscheine.

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Kritik: Werden damit einem Klassiker die Ecken und Kanten abgeschliffen?Diesen Vorwurf, der schon bei den Änderungen an Kinderbüchern wie "Jim Knopf" oder "Die kleine Hexe" zu hören war, erhebt auch der langjährige Stuttgarter Opernintendant Klaus Zehelein. Er kritisiert es als Irrweg, "das Schmutzige, das Diskriminierende zu eliminieren und das Skandalöse wegzuretuschieren". Schneider verweist darauf, dass "Die Zauberflöte" oft die erste Begegnung vieler Kinder mit der Oper sei. Sein Projekt verstehe sich als Angebot an die Theatermacher. Und tatsächlich: Am Staatstheater Weimar wird Regisseurin Anna Weber die neue Textversion in der kommenden Spielzeit verwenden.

Critical Classics fasst derweil schon die nächsten Projekte ins Auge: Bizets "Carmen" und Bachs "Johannespassion".

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