Manches in diesem Buch ist nahezu unerträglich, und trotzdem sollte man es lesen. "Gestapelte Frauen" - ein Roman über Femizide in Brasilien, über männliche Gewalt gegen Ehefrauen, Ex-Freundinnen, Liebhaberinnen, Bekannte, Unbekannte. Eine Gewalt, die in Brasilien allgegenwärtig ist.
Alle sieben Stunden, vielleicht sogar in noch kürzeren Abständen, stirbt dort eine Frau, weil sie eine Frau ist. Erstochen, erschossen, erwürgt oder Schlimmeres. Auf solchen realen Fällen fußt Patrícia Melos neues Werk. In einer Mischung aus lakonischer Zustandsbeschreibung und verzweifeltem Aufschrei führt die namenlose Ich-Erzählerin Leserinnen und Leser ein in eine machistisch geprägt Gesellschaft, in der Frauen sich zunehmend emanzipieren, oft mit tödlichen Folgen: „Wir schlagen über die Stränge. Arbeiten den ganzen Tag. Sind unabhängig. Haben Liebhaber. Lachen laut. Sorgen zu Hause für den Unterhalt. Schicken alles zum Teufel. Merkwürdig ist nur, dass wir nicht töten. Unglaublich, wie wenig wir töten. [...] Und so enden wir irgendwo abgelegt auf einem unbebauten Grundstück, wie Chirley. Aus mangelnder Unterwerfung.“
Melos Stil ist eigenwillig, mal drehbuchhaft, nüchtern, poetisch oder derb. Das spiegelt sich in den zwei Handlungssträngen wider, die kontrastreicher kaum ausgestaltet sein könnten. Einerseits der kriminalistische, in dem die Erzählerin, eine Anwältin, in einem entlegenen Gebiet Brasiliens Prozesse gegen Männer dokumentiert, die Frauen getötet haben. Sie und ihr Umfeld geraten dabei zunehmend selbst in Gefahr. Und dann gibt es die spirituelle Ebene, in der die Protagonistin in Kultur und Geschichte der indigenen Bevölkerung eingeführt wird. Unter dem Einfluss psychedelisch wirkender Tees versinkt sie in Traumwelten, in denen Frauen nicht mehr Opfer, sondern Rächerinnen sind.
Tatsächlich haben die Täter regelmäßig aber wenig zu befürchten, sie werden freigesprochen oder zu lächerlichen Haftstrafen verurteilt. Und so liest sich das Buch selbst wie eine wasserdichte, aber aussichtslose Klageschrift gegen gesellschaftliche Zustände, in denen Männer nicht geboren werden, Frauen zu töten, aber dazu erzogen. Denn: „Nichts ist einfacher zu erlernen als Frauenhass. An Lehrern herrscht kein Mangel. Der Vater macht es vor. Der Staat macht es vor. Das Rechtssystem macht es vor. Der Markt. Die Kultur. Die Werbung.“ Aber der Aufschrei, das zeigt „Gestapelte Frauen“ eindrücklich, wird lauter, wenn er auch noch viel zu oft verhallt.
Weitere Informationen
Patrícia Melo: Gestapelte Frauen. A. d. Portug. v. Barbara Mesquita. Unionsverlag, Zürich. 256 Seiten, 22 €.