Der Tusch bleibt aus. Eher rauscht eine wuchtige Pyro-Flamme in den ausklingenden Akkord einer verzerrten Gitarre, um das Ende einer Nummer im Zirkus Flic Flac anzukündigen. „Der Chef möchte nicht so sehr einen auf Zirkus machen“, sagt Samuel Beck, der musikalische Leiter der Artistik-Show über den Flic-Flac-Gründer Benno Kastein. Statt auf Clowns, Tiere und Stroh setzt Flic Flac auf Comedy, Turnkunst und Stahl.
In benzingeschwängerter Luft springen Motocross-Artisten durch das Zelt und fliegen direkt unter der zwölf Meter hohen Metallbühne durch. Dort oben stehen in fünf Käfigen die Bandmitglieder und rocken sich dem Ende des Abends entgegen. „Die sollen da ja auch nicht rumstehen wie die Philharmoniker“, sagt Beck. Das Publikum schaut den fliegenden Motorrädern hinterher und wippt gleichzeitig im Takt der Musik mit. Dann der letzte Sprung. Stehende Ovationen. Winkende Artisten. Ende der Vorstellung.
Wenige Stunden vorher. Die Stuhlreihen sind leer, ein heftiger Regenschauer prasselt von oben auf die dicke Zeltplane und verschwimmt zu einem ruhigen Rauschen. Samuel Beck klettert die Metallleitern hoch auf die Bühne der Band. In ihren Käfigen sitzen die vier Musiker der Band und bereiten sich auf die Probe vor, während sie von oben in das leere Rund zu ihren Füßen schauen. Der Song für die Nummer der Rollschuh-Artisten muss geprobt werden. Bislang kommt das Stück in der Show vom Band. Das soll sich ändern. Am Mittag hatte Beck seinen Musikern seine Aufnahme des Stücks gegeben, bis zur Probe um 17 Uhr haben sie ihre Parts herausgehört, nun wird an Details gefeilt.
Die Musik übertönt das Rauschen des Regens. Schlagzeug und Bass bringen das Gerüst zum Wackeln. Durch das Gitterrost sehen die Musiker den Manegenboden in zwölf Metern Tiefe. „Das hält“, sagt Beck. Keine Sorge, schon 250 Shows hätten die Musiker auf der Bühne seit Anfang der Jubiläumstour „Höchststrafe“ im Oktober 2014 gespielt 16 weitere Monate ist der Zirkus in Deutschland unterwegs.
Beck geht von Käfig zu Käfig, von Musiker zu Musiker, klatscht den gewünschten Rhythmus mit den Händen vor, stampft den Takt mit den Füßen und singt die Melodien vor. Eine Stunde haben die Musiker Zeit, danach beginnen die Artisten, sich im Zelt für die Show am Abend aufzuwärmen. Zu Beginn hakt es noch beim Musizieren, Gitarre, Saxofon Bass und Schlagzeug setzen immer wieder neu an. Um 18 Uhr sind die wichtigsten Fragen geklärt, die größten Schwierigkeiten überwunden. Das Stück sitzt einigermaßen. „Morgen noch einmal proben, dann können wir es übermorgen live spielen“, sagt Beck und nimmt sich Zeit für einen Kaffee im Vorzelt, um auf den Beginn der Show zu warten.
Bis die Vorstellung am Abend startet, sind alle Mitwirkenden mit der Vorbereitung beschäftigt. „Freizeit hat man eigentlich erst nach der Show“, sagt Beck. Dann läuten die Artisten, Comedians, Musiker und Organisatoren einen langen Abend ein. „Da bin ich schon immer gern dabei“, sagt Beck, lacht und nickt mit seinem Kopf, dass die zum Zopf gebundenen Haare mitwippen. Der nächste Tag beginnt für ihn in der Regel nicht vor zehn Uhr.
Das Zirkusleben, scheint es, liegt Beck. Zwischen den vielen Wohnwagen hinter dem Zelt steht ein alter, im Inneren umgebauter Paketwagen – er ist Becks Zuhause, wenn er unterwegs ist. Auf den weißen Lack außen sind Musiker gemalt, innen befindet sich zwischen, Schlafkoje, Spüle und Kaffehandfilter sein Aufnahme-Studio. Kabel, Regler, Computer, Gitarren, Midi-Keyboard. Tagsüber sitzt er hier und komponiert. Die Schlagzeug-Beats programmiert er mit einem Drum-Computer, Gitarre und Bass spielt er selbst ein, die Töne des Saxofons mit dem Keyboard. Ein bisschen Rock, ein bisschen Funk. Die eigenen Texte, die durch das Knast-Setting der Show „Höchststrafe“ moderieren, erzeugen beinahe etwas Musical-Atmosphäre. Dann sind da aber auch noch der Rammstein-Song oder den Jazz-Standard „Take Five“, die Beck für die Musiker arrangiert hat.
Seit 1999 ist er für die Musik bei Flic Flac verantwortlich. Dienstältester ist er zwar nicht im Zirkus, aber mehr als eine handvoll Kollegen kann er nach langem Überlegen nicht aufzählen, die länger als er dabei sind. Beck stößt gemeinsam mit seinem Bruder und Bandkollegen, mit denen er elf Jahre lang in der Band Luchten gespielt hatte, zum Zirkus dazu. Aber nicht alle Bandmitglieder mögen das Zirkusleben, springen ab. Beck bleibt.
„Ich sehe das eher als meinen Beruf“, sagt Beck über das Engagement beim Zirkus. Mit Flic Flac finanziert er sich, auch die gemeinsame Wohnung mit seiner Frau in Berlin. Wenn aber im Zirkus keine neuen Nummern komponiert werden müssen, dann greift Samuel Beck zur Ukulele. Allein tritt er unter dem Namen „UkulelenPrediger“ auf – solo oder mit Bandbegleitung will er die Zuschauer auf offenen Bühnen und Festivals aus ihrer etablierten Weltsicht herausreißen, wie er es auf seinem Flyer formuliert. Titel wie „Tot sein ist okay“ und „Was ist Wahrheit?“ deuten es an. Beck hat seine eigene Philosophie und will sie teilen, Sinn stiften. „Vor sich hinleben ohne Sinn“, sagt er und sucht nach den richtigen Worten, „das macht einfach keinen Sinn.“