Mr. Hewlett, Ihr neuer Kunstband beginnt mit Ihrem Anarcho-Comic „Tank Girl“, dessen Heldin schon vorab die spätere Girl-Power-Bewegung verkörperte. Hatten Sie reale Vorlagen für die Figur?
Jamie Hewlett: Tank Girl stellt die Art Frau dar, die ich selbst immer faszinierend fand: Frauen, vor denen andere Männer Angst hatten. Ich bin schon mit vielen starken Frauen aufgewachsen, und dann, in der Schule, so mit zehn, elf Jahren, war ich hingerissen von einem Skinhead-Mädchen ein paar Klassen über mir. Ihr Kopf war geschoren, sie trug Doc-Marten’s-Stiefel, war knallhart. Sie war aufregend, und keiner hat sich mit ihr angelegt. Auf der Kunsthochschule traf ich die verschiedensten Frauen: ausgeflippte, feierwütige, intellektuelle; sie redeten Klartext, ließen sich nichts gefallen. Ich genoss ihre Gesellschaft, sie inspirierten mich.
Mehr als die Stil-Ikonen aus Film und Pop?
Ich glaube schon. Natürlich bin ich in einer Zeit mit starken Frauenfiguren in der Popkultur aufgewachsen wie Debbie Harry und Siouxsie Sioux. Aber auf Ideen für meine Kunst brachten mich eher die Menschen aus Fleisch und Blut. Bei Stars musst du dem Bild auf der Leinwand oder dem Poster glauben. Heute ist es noch schlimmer: Wer in den Medien ist, spielt eine Rolle. Mit der wahren Persönlichkeit hat das oft nichts zu tun – so kamen wir ja auf die Gorillaz: Wenn Popstars schon fake sind, wollten wir gleich eine ganze Band frei erfinden.
„Tank Girl“ galt als feministisch und kämpferisch. Aber wenn man die Comics heute liest, wirkt vieles wie im Pin-up-Stil: nackte Haut, sexy Posen, anzügliche Sprüche. Ist das kein Widerspruch?

Jamie Hewlett
Nein, das sollte ja ein Seitenhieb auf einige meiner männlichen Zeichnerkollegen sein, die in ihren Superhelden-Comics sehr sexy Frauen in sehr engen Kostümen zeigten – ohne im wahren Leben je ernsthaft mit einer Frau gesprochen zu haben. Tank Girl sah auf den ersten Blick auch so aus – nur ist ihr Schädel rasiert, sie ist vulgär, hat mal einen abgebrochenen Zahn, mal ein blaues Auge. Klar ist sie sexy, sie ist eine Frau. Aber sie schert sich um nichts und will keinem gefallen: Sie hat Sex mit einem mutierten Känguru. Das fanden wir damals witzig.
Auch in Ihrer Plakatserie „Honey“ zeigen Sie Ihre Ehefrau in der Rolle eines fiktiven 70er-Jahre-Softporno-Stars, halbnackt, in aufreizenden Posen ...
Damit wollte ich vor allem die Entwicklung der Pornografie kommentieren: Heute lässt sich im Internet alles ansehen, nichts ist mehr versteckt oder geheimnisvoll. In den 70ern, als es diese Plakate, die ich mit „Honey“ zitiere, wirklich gab, waren die zwar auch sexy, aber sie verrieten nicht zu viel. Die Frauen strahlten dadurch Macht über die Männer aus, die sie begehrten. Sie waren kein Objekt, sondern setzten ihre Sexualität selbstbewusst ein.
Ob das heutige Feministinnen so sehen?
Keine Ahnung, jeder hat ja das Recht auf eine eigene Meinung. Der Sinn meiner „Honey“-Bilder war es nicht, sexy Bilder meiner Frau zu machen. Ich wollte Stellung beziehen: Dass Pornografie im Grunde jedem gefällt, auch wenn es mancher nicht zugibt; dass aber die heutige Porno-Industrie alles ruiniert – weil sie jede Fantasie tötet.
Die jüngste feministische Bewegung, „MeToo“, hat in Ihrer Wahlheimat Frankreich eine besondere Reaktion ausgelöst: In einem Text, den mehr als 100 prominente Französinnen um die Schauspielerin Catherine Deneuve unterschrieben, hieß es, es gebe ein Recht auch auf „hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten“.

Cartoon
Ich war ganz nah dran bei der Genese der Enthüllungsgeschichte des „New Yorker“ über Harvey Weinstein: Meine Ehefrau Emma de Caunes war unter den ersten, die ihre eigenen unangenehmen Erlebnisse mit Weinstein öffentlich machten. Viele seiner Opfer hatten Angst, ihre Klarnamen zu nennen, weil Weinstein so einflussreich war. Auch ich habe mit meiner Frau lange gesprochen. Am Ende sagte sie: Er muss entlarvt werden, und ich werde mit meinem Namen dazu stehen – wenn es nach hinten losgeht, sei’s drum. Seitdem ist das Ganze regelrecht explodiert. Natürlich könnten unter den Unmengen wahrer Geschichten misshandelter Frauen auch einige ausgedachte Beschuldigungen sein. Und natürlich ist es ein großer Unterschied, ob ein Schauspieler etwas Unhöfliches zu einer Frau sagt oder ob jemand eine Frau vergewaltigt hat. Wenn man diese Grenzen verwischt, droht eine Hexenjagd ...
Also geben Sie Deneuve & Co. in dem Punkt recht, wo sie „MeToo“ Hysterie und Prüderie vorwerfen?
Kein bisschen. Stellen Sie sich vor: Einige Unterzeichnerinnen behaupten, dass eine Frau aus einer Vergewaltigung Gefallen ziehen könnte. Unfassbar. Aber das ist die alte Riege. So wie diese – mit Verlaub – älteren Frauen zu ihrer Zeit behandelt wurden, geht man heute nicht mehr miteinander um. Ich verstehe auch nicht, wie eine Frau sagen kann, es sei okay, wenn ein Mann dich anfasst oder sich in der Metro an dir reibt. Diese Frauen schreiben darüber, ihre Töchter zu selbstbewussten Frauen zu erziehen, denen das nichts ausmacht. Wie sie ihre Söhne erziehen wollen, dazu gibt es kein Wort.
Sie stellen inzwischen in Galerien aus und legen nun einen Kunstband vor.
Klassische Kunst hat mich immer beeinflusst. Als ich jung war, wollte ich unbedingt Comiczeichner werden. Aber darauf brachten mich eben nicht allein die Comics.
Sondern klassische Kunst?
Meine Mutter war Künstlerin, also hatten wir eine Menge Kunstbücher. Ich war schon immer ein sehr visueller Mensch: Als Kind habe ich alles aufgesogen, was mir unterkam. Mir war egal, wer es gemalt hatte. Was mich visuell ansprach, versuchte ich nachzuahmen.
Und warum zeichneten Sie zuerst Comics?
Ich hatte das Gefühl, dass ich das auch könnte, ich sah, wie die Linien aufgetragen waren, ahmte den Strich nach, die Drucktechniken. Deshalb kann ich von einem Stil zum nächsten springen. Alles andere würde mich zu Tode langweilen.