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Tipps vom Experten "Wer sich mehr bewegt, wird schlauer"

Bewegungsmangel schadet Körper und Geist. Mit den richtigen Tipps kommt fast jeder Mensch wieder in Schwung, und zwar in jedem Alter. Sportmedizinforscher Klaus-Michael Braumann sagt, wie es geht.
07.01.2023, 00:00 Uhr
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Von Björn Lohmann

Sich mehr bewegen und vielleicht auch wieder Sport treiben: Mit diesem Vorsatz starten viele Menschen ins neue Jahr. Warum das wirklich wichtig ist und wie es gelingt, erklärt Sportmedizinforscher Klaus-Michael Braumann.

Herr Braumann, welche gesundheitlichen Folgen kann zu wenig körperliche Aktivität haben?

Klaus-Michael Braumann: Wenn die mit der Nahrung aufgenommene Energie wegen fehlender körperlicher Aktivität nicht benötigt wird, speichert der Körper übermäßig zugeführte Energie in Form von Fetten. Aus diesem Fett – besonders dem Fett des Bauchraums – werden Botenstoffe freigesetzt und über den Blutkreislauf im gesamten Organismus verteilt. Sie führen zu einer Aktivierung des Immunsystems – man spricht von niedriggradigen entzündlichen Reaktionen. Die durch die Wirkung dieser inflammatorischen, also entzündungsfördernden Botenstoffe ausgelösten Veränderungen betreffen nahezu alle Organsysteme des Körpers: Es kommt zu Entzündungsreaktionen an der Innenseite der Blutgefäße mit folgender Bildung von Ablagerungen, bis zum Verschluss von Blutgefäßen. Es kommt zur Zerstörung der Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse, wodurch die Entstehung eines Diabetes mellitus ausgelöst wird. Der Knochenstoffwechsel wird gestört, wodurch Osteoporose unterstützt wird. Und es kommt zu Ablagerungen von schädlichen Eiweißstoffen im Gehirn, die eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Demenz spielen. Auch bei zahlreichen Tumorerkrankungen findet man eine erhöhte inflammatorische Aktivität.

Und Bewegung kann gegen all das helfen?

Jede Form von muskulärer Tätigkeit produziert Botenstoffe, die aus den Muskeln freigesetzt werden und diese negativen Wirkungen der chronischen Entzündung abschwächen. In einfacher Comicsprache ausgedrückt, werden aus dem Fettgewebe Substanzen ausgeschüttet, die man als die „bad guys“ bezeichnen kann, bei jeder Muskeltätigkeit aus der Muskulatur „good guys“. Es kommt also in erster Linie darauf an, dass man immer genügend „good guys“ produziert. Deshalb ist Bewegung bei so vielen unterschiedlichen Krankheiten so effektiv.

Welche Effekte von Bewegung auf das Gehirn sind erwiesen?

Fast alle von uns kennen die warnenden Hinweise, dass jeder Vollrausch uns eine Million Hirnzellen kostet. Das ist vermutlich richtig, aber diese Zellen wachsen nach, und umso besser, je mehr man sich bewegt. Durch Bewegung werden aus den Muskeln Botenstoffe ausgeschüttet, die das Nervenwachstum stimulieren. Kurz gefasst kann man durchaus sagen: Wer sich mehr bewegt, wird schlauer.

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Ist das abhängig vom Alter?

Jede körperliche Aktivität führt zu deutlichen positiven Auswirkungen auf die kognitive Funktion. Und das ist in jeder Altersstufe möglich, auch bei Altenheimbewohnern noch nachweisbar. Allerdings ist der Prozess reversibel: In einer Gruppe von über 40-Jährigen konnten wir durch ein Training neben einer Verbesserung der Fitness auch eine Verbesserung der kognitiven Funktion finden. Die Probanden, die nach Ende der Studie wegen reduziertem Training in ihrer Fitness nachließen, wurden auch in ihrer kognitiven Leistung schlechter.

Welche Sportarten bieten sich an, um wieder in Bewegung zu finden?

Man sollte sich die Bewegungsform raussuchen, die am meisten Spaß macht. Etwas Niederschwelliges bietet sich an, wofür man sich nicht groß umkleiden muss. Man kann einfach im Treppenhaus dreimal bis in die oberen Etagen laufen, um sich erst mal wieder an das Gefühl der Bewegung zu gewöhnen. Idealerweise kann man sich unter fachlicher Anleitung zeigen lassen, wie ein passendes Training funktioniert. Das geht auch in der Physiopraxis, sogar auf Rezept.

Wie überwinde ich dazu den inneren Schweinehund?

Das ist sehr individuell, aber es gibt viele psychologische und pädagogische Effekte und überraschende Ergebnisse zum Beispiel über Belohnungssysteme. Eine Krankenversicherung in den USA hat mal für 5000 Patienten mit metabolischem Syndrom eine Prämie ausgelobt, wenn diese täglich 5000 Schritte gehen. Tatsächlich haben 97 Prozent das Ziel erreicht. Geld toppt Trägheit. Bewährt haben sich außerdem Fitnesstracker und Schrittzähler, wenn man sich selbst Ziele setzt. Gut ist auch, sich mit Freunden zu verabreden.

Dehne ich vor oder nach dem Sport?

Dehnen führt zur Reduzierung der Muskeltonus, also der Spannung. Wo man einen hohen Tonus braucht wie bei Sprungbelastungen, ist es eher sinnvoll, vorher nicht zu dehnen. Andererseits ist jedes Dehnen damit verbunden, dass weniger Zug auf den Aufhängepunkten der Muskeln ist. Viele chronische Probleme des Bewegungssystems wie Tennisarm, Leistenschmerz oder Schmerzen am Ellenbogen entstehen, wenn Muskeln über längere Zeit mit hoher Spannung an ihren Aufhängungen ziehen. Ich rate dazu, Muskel zu dehnen, wann immer es geht, nicht nur in Beziehung zum Sport. Der Muskel kann sich besser regenerieren und wird besser durchblutet. Beim Sport würde ich sagen: vorher und nachher dehnen.

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Ist Yoga für Anfänger gut geeignet?

Yoga umfasst hoch effiziente gymnastische Übungen, hat aber auch meditative Aspekte. Das kann man auf allen Ebenen machen, in allen Facetten. Dafür ist niemand überhaupt nicht geeignet. Aber man sollte sich mit dem Yogalehrer austauschen, was für einen selbst am besten ist.

Schwimmen gilt als schonender Sport. Auch Brustschwimmen?

Wenn man wie die Leistungsschwimmer wirklich flach auf dem Wasser liegt, kann die Überstreckung der Halswirbelsäule beim Brustschwimmen tatsächlich zum Problem werden. Aber der Gelegenheitsschwimmer schwimmt meist nicht so hydrodynamisch vorteilhaft. Dann ist auch Brustschwimmen schonend. Man sollte nach dem Schwimmen aber das Trocknen der Haare nicht vergessen und berücksichtigen, dass die Haut bis zu einem Liter Wasser aufgesaugt haben kann. Wenn das verdunstet, kann man schnell frieren und Infekte sind programmiert.

Vielerorts wird die Wassertemperatur stark abgesenkt.

Das kann Gelegenheitsschwimmer natürlich abhalten. In der Corona-Zeit haben die  Inaktivitätskrankheiten zugenommen. Wenn jetzt der Zugang zum Schwimmen durch die Temperatur erschwert wird, beobachten wir das vermutlich auch dort.

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Wenn mich der Gedanke an Sport jetzt überfordert – kann ich auch mit Spazieren und Radfahren beginnen?

Absolut. Auch wenn man sich nur vornimmt, zweimal pro Woche einen zügigen Spaziergang zu machen – jede Bewegung ist besser als keine. Empfehlungen, man brauche erst gar nicht zu beginnen, wenn man nicht mindestens dreimal pro Woche trainieren wolle, halte ich für völlig kontraproduktiv, dann fängt man vielleicht gar nicht erst an. Wenn man auf den Geschmack kommt, weil man ein wohliges Gefühl nach der Muskelnutzung hat, führt das von allein dazu, dass man das Ganze schnell wiederholen möchte. Also: Fangt ganz gemütlich an, sodass Ihr Euch wohlfühlt. Lieber erst spazieren als joggen. Treppensteigen statt Fahrstuhl. Eine Station früher aus dem Bus aussteigen und den Rest laufen. Das sind kleine Tricks, die auch das Zeitbudget nicht so belasten.

Das Gespräch führte Björn Lohmann.

Zur Person

Klaus-Michael Braumann

ist emeritierter Professor für Sportmedizin an der Universität Hamburg und Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Er forscht zu den Effekten der Bewegung auf chronische Krankheiten und zuletzt vor allem zu den kognitiven Effekten von Bewegung.

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