Menschen, die sich auf vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Gebieten auskennen, werden auch als Universalgelehrte bezeichnet. Ein auf das Griechische zurückgehendes Fremdwort hierfür lautet Polyhistor. Als solchen hat kein Geringerer als der mit seinen Forschungen über Deutschlands Rolle im Ersten Weltkrieg international berühmt gewordene Historiker Fritz Fischer (1908 bis 1999) den 2002 in Bremen gestorbenen Publizisten Arno Peters bezeichnet. Peters hat über Jahrzehnte vor allem mit seinen Arbeiten zur Geschichtsschreibung und Darstellung der Erde auf Karten Aufsehen erregt – nicht nur hierzulande, sondern weltweit. Am 22. Mai jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.
In seiner Trauerrede zum Tode von Arno Peters hat Horst Werner Franke, der in den 1970er- und 1980er-Jahren Bremer Wissenschafts- und Bildungssenator war, den Gelehrten als einen Mann bezeichnet, der „an das Heraufziehen einer gerechten Weltordnung“ glaubte. Ihm sei es schon früh um ein „friedliches Nebeneinander der Völker und Kulturen“ gegangen. Peters, der 1994 in Bremen mit dem Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon ausgezeichnet wurde, war ein Vorkämpfer der Globalisierung, einer Globalisierung allerdings, die auf einem solidarischen Bewusstsein der Menschen beruht und sich nicht darin erschöpft, Handelsschranken zu beseitigen beziehungsweise wirtschaftliche Handlungsspielräume zu eröffnen. Vor diesem Hintergrund maß er nicht zuletzt dem Bild der Welt, das Menschen in Form von Karten vor Augen haben, eine herausragende Bedeutung bei. 1973 stellte er eine eigene Darstellungsweise der Länder der Erde auf einer Karte vor. Die sogenannte Peters-Karte ist seither in vielen Millionen Exemplaren weltweit verbreitet worden, unter anderem von Organisationen der Vereinten Nationen wie dem Kinderhilfswerk Unicef.
Peters hatte begonnen, sich mit Kartografie zu beschäftigen, nachdem er erkannt hatte, dass Weltkarten die Wirklichkeit grundsätzlich verzerrt wiedergeben und gängige Karten eine falsche Vorstellung von Größenverhältnissen vermitteln. Warum dies so ist, ist leicht nachvollziehbar: Die Erde hat die Form einer Kugel, und die Kugelfläche auf einer Ebene darzustellen ist etwa so, als würde man die Schale einer Orange nehmen und so auf einen Untergrund pressen, dass man die ganze Schale vor sich sähe. Dies ist zwar möglich, aber eben nur um den Preis, dass die ursprüngliche Form verändert wird. Kartografen haben verschiedene Methoden entwickelt, um die gekrümmte Erdoberfläche auf eine flache Karte zu übertragen.
Karten prägen Weltbild
Eine der berühmtesten dieser sogenannten Projektionen ist die Mercator-Projektion, benannt nach Gerard de Kremer (1512 bis 1594), auch Gerhard Mercator genannt. In einem später auch als Buch veröffentlichten Vortrag im englischen Cambridge hat Peters Stärken und Schwächen der Mercator-Karte so beschrieben: „Sie stellt die Erde rechtwinklig und anschaulich dar. Aber sie verzerrt die Größenverhältnisse: Auf ihr ist Skandinavien größer abgebildet als das in Wahrheit dreimal so große Indien, Europa sieht größer aus als das tatsächlich fast doppelt so große Südamerika.“ Die Verzerrung der Größenverhältnisse war der Preis, den Mercator zahlen musste, um Seeleuten ein gutes Hilfsmittel für die Navigation an die Hand zu geben. Die Karte besitzt eine Eigenschaft, die von Fachleuten als Winkeltreue bezeichnet wird. Ist der Kurs einmal abgesteckt, kann ein Schiff geradewegs zum Ziel gelangen – es schneidet alle Meridiane (Längenkreise) im gleichen Winkel.
Peters setzte den Akzent dagegen auf eine andere Eigenschaft: die Flächentreue, das heißt die richtige Darstellung der Größenverhältnisse. Ein Nachteil seiner Projektion besteht darin, dass Afrika und Südamerika stark in die Länge gezogen sind. Kritiker bemängelten diese Formen und wiesen zudem darauf hin, dass die Darstellungsweise nicht völlig neu sei. Schon im 19. Jahrhundert sei ein Schotte namens James Gall ähnlich verfahren.
Dass Peters mit den wahren Größenverhältnissen auf der Erde ein wichtiges Thema ins Blickfeld gerückt hatte, zeigte nicht nur der Erfolg seiner Karte, sondern auch der des „Peters-Atlas“, der seit Ende der 1980er-Jahre von zahlreichen namhaften Verlagen in einer ganzen Reihe von Ländern verbreitet wurde, so zum Beispiel in England, Frankreich, Spanien, Italien und den USA. Dem Ziel, ein Bild von den wahren Verhältnissen zu vermitteln, wird der Atlas unter anderem dadurch gerecht, dass alle Teile der Erde im gleichen Maßstab dargestellt werden. Dies führt zum Beispiel dazu, dass ganz Skandinavien, Großbritannien, Deutschland, Polen, Weißrussland und die baltischen Länder auf einer Doppelseite zu finden sind. Der gleiche Raum, nämlich eine Doppelseite, reicht dagegen nicht einmal aus, um den Norden Russlands oder Afrikas vollständig abzubilden.
So radikal Peters sein Ziel eines angemessenen Weltbilds verfolgte, so sehr wurde er als bekennender Linker von politischen Gegnern angefeindet. Schon in den 1950er-Jahren lernte der gebürtige Berliner, der in seiner Heimatstadt unter anderem Geschichte studiert und einen Doktortitel erworben hatte, damit umzugehen. Lange bevor er sich mit der Verzerrung des Raums auseinandersetzte, hatte er sich mit der Verzerrung der Zeit beziehungsweise der Auswahl in geschichtlichen Darstellungen befasst. Auch hier stieß er auf die Neigung, den eigenen Lebensraum überzubewerten, was sich in weit verbreiteten Weltgeschichten beispielsweise dadurch bemerkbar machte, dass den vergangenen 500 Jahren und Europa sehr viel mehr Raum gewidmet wurde als den Jahrtausenden davor und der außereuropäischen Welt. Für seine 1952 erschienene „Synchronoptische Weltgeschichte“ wählte Peters deshalb eine ungewöhnliche Darstellungsweise. Jede Doppelseite informiert über 100 Jahre; für jedes einzelne Jahr gibt es ein Feld mit kurzen Texten zu wichtigen Ereignissen. Berücksichtigt werden alle Hochkulturen, und außer politischen Vorgängen spielen auch das Geistesleben, die Wissenschaften und Technik eine große Rolle. Konservative sahen in Peters Weltgeschichte gleichwohl ein kommunistisches Werk. Bremer Schulexemplare wurden deshalb mit einem Einlegeblatt versehen, das die Gesamttendenz rechtfertigte.
Erfolgreiche Weltgeschichte
Die Kritik tat dem Erfolg keinen Abbruch. 1962 wurde die „Synchronoptische Weltgeschichte“ ins Französische übersetzt; seit ihrer Veröffentlichung sind wiederholt Neuauflagen erschienen. Zu Peters Unterstützern gehörte eine ganze Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten. So bescheinigte der Schriftsteller Thomas Mann der „Synchronoptischen Weltgeschichte“, ein einprägsames Bild zu vermitteln, „das geeignet ist, die Ideale des Friedens, der Freiheit und der Humanität in die Jugend der Welt zu pflanzen“. 1974 – Peters lebte inzwischen in Bremen – gründeten namhafte Wissenschaftler, darunter Fritz Fischer, der Philosoph Ernst Bloch und der Germanist Benno von Wiese, ein Institut für Universalgeschichte, um seine Arbeit zu fördern.
Peter‘s Ziel, ein neues, aus seiner Sicht angemessenes Weltbild zu entwickeln, entsprangen auch seine Überlegungen zur Einteilung der Geschichte. Um leichter mit schwierigen Themen und großen Mengen an Fakten umgehen zu können, ist es üblich, bildlich gesprochen Schubladen zu verwenden. Personen werden bestimmten Gruppen zugeordnet, Gegenstände bestimmten Klassen. Geschichtswissenschaftler ordnen unterschiedliche Abschnitte der von griechischen Stadtstaaten wie Athen und dem Römischen Reich geprägten Antike, dem Mittelalter und der Neuzeit zu, wobei die genaue Abgrenzung davon abhängt, welchen Ereignissen entscheidendes Gewicht beigemessen wird. Weil zum Beispiel das Mittelalter in Europa stark vom Christentum geprägt war, liegt es nahe, sein Ende anhand von Veränderungen auf diesem Gebiet zu bestimmen. Zu diesen Veränderungen gehörten das Wirken Martin Luthers und die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Andere bedeutende Ereignisse, die den Übergang zur Neuzeit markieren, sind die Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Kolumbus und die Renaissance, das heißt die Wiedergeburt der Ideale der klassischen Antike. Dadurch rückten der einzelne Mensch und seine Freiheit wieder stärker ins Blickfeld. Peters lehnte diese Einteilung oder – so der Fachbegriff – Periodisierung ab, weil ihr die europäische Geschichte zugrunde liegt. Aus Sicht anderer Kulturen ergibt sich ein anderes Bild.
Der Publizist und Wissenschaftler, den die Bremer Landesregierung für seine Arbeiten ehrenhalber zum Professor ernannte, plädierte deshalb dafür, die Geschichte als ein „Miteinander von Prozessen“ zu betrachten. Beispiele für solche Prozesse liefern nach seiner Auffassung die Sesshaftwerdung des Menschen und die Vergrößerung von Siedlungen, die steigende Lebenserwartung, die zunehmende Arbeitsteilung, die Verflechtung von Wirtschaftsräumen, die Bürokratisierung und die Konzentration des Eigentums. Peters meinte, bei der Betrachtung solcher Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen, auch Fehlentwicklungen besser erkennen zu können.
Um Prozesse beurteilen zu können, sprach er sich dafür aus, sie als im positiven Sinne teilend, das heißt den Fortschritt fördernd, oder als im negativen Sinne spaltend zu betrachten. Manches von dem, was er dazu in einem 1978 an der Universität Bremen gehaltenen Vortrag sagte, klingt auch aus heutiger Sicht durchaus aktuell: „Das Menschliche wird durch seine Absolutsetzung von der Ganzheit der Natur abgespalten, ihres Nährbodens beraubt und dem Untergange zugeführt. Der Egoismus verliert durch seine Absolutsetzung die Ausgewogenheit mit dem im ganzheitlichen Menschen gleich starken Altruismus. Die Abspaltung der Konsumtion von der Gütererzeugung zerstört Gemeinschaft und gemeinschaftliches Bewusstsein. Mit der Absolutsetzung des zunächst als Tauschmittel entwickelten Geldes wird es vom Wirtschaftsganzen abgespalten und verwandelt schließlich alles Wirtschaften in ein Mittel des Gelderwerbs.“
Originelles Denken
Peters hoffte auf eine Welt, in der weder Menschen ihresgleichen ausbeuten noch in der Natur etwas sehen, das es zu beherrschen oder auszubeuten gilt. Er entwickelte Pläne, um den Wert von Gütern allein anhand der darin enthaltenen Arbeitszeit zu bemessen, und er sah in der Computertechnologie eine Möglichkeit, eine gerechtere Wirtschaft zu gestalten. Dass jemand, der so entschieden Überzeugungen vertritt und Kritik übt wie er, nicht überall Beifall erntet, versteht sich von selbst. Aber auch an Bewunderern mangelte es nicht. Sehr viel Fleiß, Universalwissen, Erfindergeist, originelles Denken: All das bescheinigte ihm der frühere Senator Franke.