Bruchhausen-Vilsen/Syke-Barrien. Ein kleiner Raum, der nach Schuhcreme und Leder riecht, ist sein Wohlfühlort. Wer Gerd Jurries finden will, muss nur um die Ecke schauen und wird ihn an den meisten Tagen der Woche an seiner Ausputzmaschine arbeiten sehen. Dort schleift und reinigt der 62-Jährige Reitstiefel, Damenschuhe oder Sneaker und haucht alten Lieblingskleidungsstücken neues Leben ein. Vor 23 Jahren hat der Barrier einen neuen Weg eingeschlagen und führt seither als Schuhmacher sein Geschäft "De Flickschoster" in Bruchhausen-Vilsen.
Heute weiß Gerd Jurries: "Diesen Job hätte ich schon vor 40 Jahren machen soll." Bis er seine Leidenschaft zum Beruf machen konnte, war es allerdings eine lange Reise. Jurries ist gelernter Verkäufer, arbeitete mehrere Jahre im Außendienst und in der Spedition. Seine Affinität zum Schuhemachen entdeckte er schließlich bei einem halbjährigen Praktikum. Als Quereinsteiger startete er dann in seine neue Tätigkeit und bezog Ende der 1990er-Jahre mit einem Kleinstunternehmen sein erstes Geschäft in Bruchhausen-Vilsen. Zehn Jahre lang hatte er daneben noch einen Halbzeitjob, nun übt er seine Tätigkeit als Schuster hauptberuflich aus.
An Gerd Jurries kann sich jeder wenden, der seine Treter ausbessern, reparieren oder weiten lassen möchte. Er nimmt sich außerdem auch der Taschen sowie Jacken der Kunden an und verkauft Gürtel. Dabei seien Kunden bis 20 Jahre eher selten, es sei denn, Eltern ließen die Schuhe ihrer Kinder reparieren. Ansonsten kämen vor allem Menschen im Alter von 30 bis 70 zu dem Schuster. "Die Älteren haben noch vernünftige Schuhe, an denen sie hängen, und die sie nicht einfach wegwerfen wollen", sagt Jurries. Die Preise für seine Dienstleistungen variieren: Den kleinen Absatz eines Damenschuhs zu reparieren kostet zum Beispiel etwa sieben Euro, aufwändige Reparaturen mit neuer Sohle und Innenfutter bis zu 50 Euro. Die meisten Kunden würden allerdings günstig wegkommen.
Etwa 20 Stunden in der Woche arbeitet der 62-Jährige in seiner Werkstatt, die weniger als 20 Quadratmeter groß ist. Nachdem der Schuhmacher eine Sohle repariert hat, hält diese ihm zufolge mindestens genauso lange wie das Original. "Viele Leute denken, man kann Sneaker nicht reparieren, dabei muss es sich nur lohnen", betont er außerdem. Besonders wichtig ist Gerd Jurries die Beratung: "Ich bespreche die Reparatur vorher, zeige und empfehle verschiedene Materialien." Das ist laut dem Schuhmacher wichtig, um dem Kunden ein Produkt zurückzugeben, das auch zu ihm passt.
Nachdem es während der Pandemie schlechter gelaufen ist, empfängt Jurries derzeit wieder mehr Menschen. "Ich kann ehrlich sagen, dass 99,9 Prozent meiner Kunden begeistert sind und über das Ergebnis staunen", sagt er. "Sie haben außerdem Vertrauen in mich, da ich auch ehrlich sage, wenn ein Kleidungsstück nicht mehr zu retten ist." Wie lange dauert hat es eigentlich gedauert, einen Kundenstamm aufzubauen? "Tatsächlich darf man nie damit aufhören, neue Kunden zu sammeln und Visitenkarten zu verteilen", klärt Jurries auf. "Der Kundenstamm muss immer wachsen."
Dass sein beruflicher Umschwung die richtige Entscheidung war, misst der 62-Jährige vor allem an einer Sache: "In den 23 Jahren, die ich nun als Schuhmacher tätig bin, hatte ich noch keinen Albtraum oder eine unruhige Nacht wegen meiner Arbeit." Einen stressigen Job nehme man dagegen häufig mit ins Bett. Seine Tätigkeit sei für ihn außerdem stets eine neue Herausforderung und biete ihm Raum zur Weiterentwicklung.
Nachdem sein alter Vermieter das Gebäude hat abreißen müssen, befindet sich "De Flickschoster" heute in der Feldstraße 4 in Bruchhausen-Vilsen. Doch wieso entscheidet sich Gerd Jurries immer wieder für den Luftkurort, obwohl er selbst in Barrien wohnt? "Hier habe ich mir viel Kundschaft erhofft, denn es gibt in Bruchhausen-Vilsen keinen anderen Schuhmacher", sagt er. "Und wenn ich aufhöre, wird wohl auch kein anderer kommen." Genau dieser Umstand bereitet Gerd Jurries Sorgen. Er hat Bedenken, dass das Handwerk in der Zukunft aussterben könnte. "Ich möchte noch fünf Jahre weiter machen, würde aber gerne jemanden finden und einarbeiten, der dann mein Geschäft übernimmt." Um Schuhmacher zu sein, brauche es ohnehin nicht immer einen Meisterbrief. Man merke einfach, wenn einem dieser Beruf liege. "Allerdings sollte man ein Gefühl für das Material haben und nicht pingelig sein", rät Jurries. Schließlich würden sich leidenschaftliche Schuhmacher auch mal dreckig machen.