Landkreis Diepholz. Die Schockwellen der umstrittenen Ministerpräsidentenwahl in Thüringen sind immer noch zu spüren. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich hatte sich vergangene Woche mit den Stimmen von FDP, CDU und auch der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen, was für einen öffentlichen Aufschrei sorgte. Schließlich hatten Christdemokraten und Freidemokraten im Vorfeld jegliche Zusammenarbeit mit der „Alternative für Deutschland“ ausgeschlossen.
Kemmerich legte nur drei Tage später sein Amt nieder, am Montag folgte der nächste Paukenschlag: Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte unerwartet ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz und ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bei den Bundestagswahlen 2021 an. Sie hatte sich bei der Thüringer CDU nicht mit ihrer Forderung nach einer raschen Neuwahl durchsetzen können.
Christdemokratische Kommunalpolitiker im Landkreis Diepholz verfolgen die Entwicklung an der Parteispitze mit Sorge. Wilken Hartje, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Syker Stadtrat, bedauert Kramp-Karrenbauers Entscheidung. „Wenn in Führungspositionen Fehler gemacht werden – nicht nur in der Politik, auch in Sport und Wirtschaft –, steht man sofort unter einem riesigen medialen Druck“, kritisiert er. Nichts werde einem verziehen, es bestehe keine Möglichkeit mehr zu wirken. Aus seiner Sicht hat „AKK“ als Parteichefin nicht viel falsch gemacht, einen Rücktritt hält er nicht für notwendig.
Ramelow so links wie Kretschmann
Zur Situation in Thüringen hat der Ratsherr eine eindeutige Meinung: Der abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei sei ungefähr so links wie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen – und bei dem habe die Union ja auch keine Berührungsängste. Beim Umgang mit der AfD empfiehlt er eine differenzierte Betrachtungsweise, da die AfD-Landesverbände sich mitunter stark voneinander unterscheiden würden. Eine Zusammenarbeit mit dem Thüringer Landesverband des rechtsextremen „Flügel“-Vorsitzenden Björn Höcke darf es seiner Meinung nach jedoch niemals geben.
Welchen Nachfolger sich Hartje als Parteivorsitzenden wünscht? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jedenfalls nicht. „Ihn halte ich für zu unerfahren. Er betreibt zu viel Aktionismus“, findet der Lokalpolitiker. Den ehemaligen Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, Jahrgang 1955, hält er hingegen für „zu alt“. Hartjes persönlicher Favorit wird derzeit allerdings nicht als Kandidat für den Parteivorsitz gehandelt: Ralph Brinkhaus, der aktuelle Vorsitzende der Bundestagsfraktion.
Hartjes Parteifreund Hans-Hagen Böhringer, Fraktionschef der CDU im Bassumer Stadtrat, fühlt sich von Kramp-Karrenbauers Rückzugsankündigung nicht beunruhigt. „Frau Kramp-Karrenbauer wusste ja schon vor ihrem Amtsantritt als Parteivorsitzende, worauf sie sich da einlässt“, sagt Böhringer. Da sie ihren Aufgaben als CDU-Parteichefin augenscheinlich nicht gerecht worden sei, findet er ihren Rücktritt nur konsequent. Den Ratsherren ärgert nur, dass seine Partei nach gerade einmal einem Jahr diese Spitzenposition schon wieder neu besetzen muss. Dietrich Struthoff, Böhringers Amtskollege in Weyhe und Kreistagsabgeordneter, beurteilt die Situation hingegen etwas anders: „Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihre Arbeit gut gemacht“, findet er. Als Mitverantwortliche für ihr Scheitern sieht er die Bundeskanzlerin. „Angela Merkel ist ihr ständig reingegrätscht“, schimpft Böhringer. Mit ihrem Machtwort während ihres Auslandsbesuchs in Südafrika, das Wahlergebnis von Thüringen „rückgängig“ zu machen, habe die Kanzlerin sich in unzulässiger Weise in Kramp-Karrenbauers Arbeitsgebiet eingemischt und damit das Amt der Parteivorsitzenden einmal mehr beschädigt.
An Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsidenten hat er wenig auszusetzen. „Das war eine geheime Wahl im Thüringer Landtag, die korrekt und verfassungsmäßig abgelaufen ist. Die anschließende politische Bewertung ist eine subjektive Sache“, betont der CDU-Ratsherr. Er hebt das freie Mandat der Abgeordneten hervor, nach dem sie nur ihrem Gewissen verpflichtet sind und die Partei keinerlei Weisungsbefugnis besitzt. „Auch im Kreistag kann man nicht verhindern, dass AfD und Linke mitstimmen. Sollen wir dann auch ständig jede Wahl wiederholen, wenn das mal passiert?“, gibt der Weyher Lokalpolitiker zu bedenken. Die Abgrenzung zur AfD findet er nicht in Stein gemeißelt. „Diese Partei besteht schließlich nicht nur aus Björn Höcke“, sagt Struthoff.
Hochachtung vor der Rücktrittsentscheidung von Kramp-Karrenbauer hat Frank Schröder, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Stuhrer Gemeinderat. Sie habe erkannt, dass sie einige Führungsschwächen gezeigt hat; ihr Rückzug sei daher der „richtige Schritt“. In der Partei sei zu wenig Bewegung gewesen; jetzt gelte es, die „Aufbruchsstimmung“ zu nutzen, um gestärkt aus der schwierigen Situation hervorzugehen, sagt Schröder. Zum Stimmverhalten der Thüringer CDU-Abgeordneten äußert er sich knapp: „Das ging gar nicht.“ Die Unionsfraktion hätte sich enthalten sollen, und Kemmerich hätte die Wahl auf keinen Fall annehmen dürfen.
Der CDU-Fraktionschef im Rat der Samtgemeinde Bruchhausen-Vilsen, Heinrich Klimisch, hält Kramp-Karrenbauers anstehenden Rücktritt für folgerichtig. „Sie hat ein schweres Erbe angetreten und von Anfang an wenig Rückhalt gehabt“, resümiert er. Zuletzt habe sie zunehmend unglücklich agiert und sei daher auch als Kanzlerkandidatin nicht mehr erste Wahl gewesen. Zudem bezweifelt Klimisch, dass die Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft richtig gewesen ist.
Klimisch persönlich würde gerne den Vizepräsidenten des CDU-Wirtschaftsrats Friedrich Merz an der Parteispitze sehen. Bei der letzten Wahl zum Parteivorsitzenden habe sich auch der Kreisverband für Merz ausgesprochen. Richtig findet er die Abgrenzung zur Linkspartei und zur AfD. Mit den Rechtspopulisten um Alexander Gauland und Björn Höcke hält er eine Zusammenarbeit grundsätzlich nicht für möglich. Und bei der Linken sieht er inhaltlich „null Schnittmenge“ mit der Union. Er erinnert daran, dass der abgewählte Linken-Ministerpräsident Ramelow keine Mehrheit im Thüringer Landtag gehabt habe. „Und jetzt inszeniert er sich als Opfer“, moniert Klimisch. Daher hält er Neuwahlen im Freistaat für die sauberste Lösung.
Auch ein Bundestagsabgeordneter meldet sich zu Wort: Der CDU-Parlamentarier Axel Knoerig aus dem Wahlkreis Diepholz – Nienburg I respektiert den Entschluss der Parteivorsitzenden. Und er unterstreicht: „Für uns wird es auch in Zukunft keine Zusammenarbeit mit der Linken oder AfD geben.“ Laut Knoerig wäre es besser gewesen, wenn die CDU-Landtagsabgeordneten sich bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen enthalten hätten, da von vornherein die Möglichkeit einer Unterstützung durch die AfD bestand. „Und FDP-Kandidat Kemmerich hätte bei einem Stimmanteil von lediglich fünf Prozent bei der Landtagswahl gar nicht erst kandidieren dürfen“, ergänzt er.