Die Leher TS war in der vergangenen Fußballsaison nun wahrlich kein Lieblingsgegner des Brinkumer SV. Die Bremerhavener verhagelten dem BSV nicht nur den Einzug ins Pokalfinale, sondern hatten auch maßgeblichen Anteil daran, dass dem Team von Trainer Mike Gabel in der Schlussphase einer starken Spielzeit in der Bremen-Liga die Meisterschaft aus den Händen glitt.
Der Brinkumer SV kam hervorragend aus der Winterpause, bejubelte sechs Siege am Stück, fegte zumeist über seine Gegner hinweg. Das Rennen um die Meisterschaft blieb daher bis in den April hinein komplett offen, der BSV lag neun Spieltage vor Schluss lediglich zwei Zähler hinter dem späteren Meister Bremer SV. Alles lief nach Plan, bis das bittere Auswärtsspiel bei eben jener Leher TS abgepfiffen wurde. Trotz hochkarätiger Möglichkeiten kamen die Brinkumer in der Seestadt nicht über ein 2:2 hinaus. Zwei Wochen später patzte der BSV beim FC Union 60 (1:1) erneut. Es sollten vier entscheidende Punktverluste gewesen sein, weil sich der Bremer SV eben keinen Ausrutscher leistete und somit nach einer erfolgreichen Aufstiegsrunde verdientermaßen den Sprung in die Regionalliga Nord schaffte.
14 Neuzugänge, 13 Abgänge
Trotz dessen erlebte der BSV eine außergewöhnliche Spielzeit mit überragenden 86 Punkten, die normalerweise eigentlich immer zum Titelgewinn reichen würden – nur halt nicht in der Saison 2021/22. „Wir haben in der letzten Saison zwei absolut herausragende Mannschaften gesehen“, betont Gabel und sagt weiter: „So etwas wird es in der kommenden Spielzeit sicherlich nicht noch einmal geben.“
Nach diesem turbulenten Jahr hatte Mike Gabel in den vergangenen Monaten alle Hände voll zu tun. Er vollzog einen radikalen Umbruch. Insgesamt stellte der Verein in der Sommerpause 14 Neuzugänge vor, auf der anderen Seiten verließen 13 Akteure den Klub. Wie erst in dieser Woche bekannt wurde, ist auch Innenverteidiger Claas Bauer nicht mehr an Bord. Wo es ihn hinzieht, ist noch unklar. Außerdem verlor der Brinkumer SV absolute Stammspieler und reagierte dementsprechend. Dabei sind insbesondere die hochveranlagten Offensivspieler Ramien Safi, Bowen Wang und Allah Aid Hamid zu nennen, die nun allesamt ihr Glück in der vierten Liga versuchen und vom BSV nicht mehr gehalten werden konnten. „Das können wir nicht bieten. Das müssen wir akzeptieren, und das ist dann auch in Ordnung“, findet Gabel.
Aber auch Defensivakteure wie Xiancheng Li und Nicolai Gräpler müssen erst einmal gleichwertig ersetzt werden. „Unser dreijähriges Projekt ist in der letzten Saison zu Ende gegangen. Jetzt habe ich 14 Neuzugänge beisammen, die erst einmal alles verstehen müssen. Ich bin also eigentlich wieder da angekommen, wo ich vor drei Jahren stand, als ich in Brinkum angefangen habe“, betont Gabel, dessen aktueller Kader mit einem Durchschnittsalter von 23,27 knapp zwei Jahre älter ist als in der vergangenen Spielzeit.
Schwierige Saisonvorbereitung
Dass ein Umbruch dieser Art kein leichtes Unterfangen ist, war zu erwarten. Doch oben drauf kamen in der Vorbereitung immer wieder neue Baustellen dazu, die die Arbeit des Trainerteams erschwerten. „Wir hatten ja alles: Corona, eine Magen-Darm-Welle, Verletzungen und viele Urlauber. Dadurch sind wir nicht an dem Punkt, an dem wir eigentlich sein sollten“, hadert Gabel mit der durchwachsenen Vorbereitung, in der auch die Ergebnisse größtenteils nicht zufriedenstellten. „Wir hängen einen Monat hinter unserer Planung zurück. Das hat man in den Testspielen auch gesehen“, bemängelt Gabel den aktuellen Stand seiner Mannschaft. „Aber so allmählich wird es besser. Beim letzten Training waren 22 Leute anwesend. Wir kommen langsam in die Strukturen zurück, die wir in der Vorbereitung nicht hatten“, sagt der BSV-Übungsleiter.
Positiv ist zu erwähnen, dass die Verletzungssorgen inzwischen deutlich kleiner geworden sind. Häufig hatte der BSV in den Freundschaftsspielen kaum Optionen, frische Kräfte von der Bank zu bringen, weil diese eben nur spärlich besetzt war. Bis auf Dennis Janssen (leicht angeschlagen), Kevin Artmann (Ende des Monats zurück), Aladji Barrie (leichte Leistenprobleme), Hamudi Taha (noch drei Wochen Pause) und Devlin Barrie (Muskelbündelriss/fällt acht bis zehn Wochen aus) sind derzeit alle BSV-Akteure fit.
Wer steht im Tor?
Aufgrund des neuen Spielermaterials wird Gabel in der kommenden Saison wahrscheinlich mit einem anderen System spielen. Wie das genau aussehen wird, wollte er noch nicht verraten. „Wir werden ein bisschen anders spielen. Das, was wir in der letzten Saison vom Pressing her gespielt haben, werden wir so nicht erneut machen können, weil wir das von den Spielertypen her gar nicht spielen können“, erklärt Gabel, dem insbesondere die Torwartfrage „Kopfzerbrechen“ bereitet. Kurz vor dem Saisonauftakt gegen den FC Oberneuland weiß er nämlich noch nicht, wer zwischen den Pfosten stehen wird – Hannes Frerichs oder Jasin Jashari? „Beide spielen auf einem sehr hohen Niveau. Seit ich hier Trainer bin, sind das die besten Torhüter, die wir je hatten. Bisher hatten wir immer sehr junge und talentierte Torhüter, doch die beiden verfügen auch über viel Erfahrung“, lobt Gabel, der auf eine absolute Nummer eins verzichten wird.

Innenverteidiger Esin Demirkapi ist auch in der kommenden Spielzeit der Kapitän des Brinkumer SV.
Vom großen Personalkarussell verschont geblieben ist die Innenverteidigung. Mit Kapitän Esin Demirkapi, Eugen Uschpol, Hasan Dalkiran und Michael Yeboah setzt Gabel auf vertraute Gesichter. Viele neue Namen werden hingegen im Mittelfeld um die Plätze streiten. Mit Kaan Er, Mohammed Tekin, Jamal Barnes, Enes Tiras, Terry Becker und William Hildebrand hat sich der BSV enorm talentierte Spieler ins Boot geholt. Aber auch erfahrene Akteure, wie Dragan Millé oder Enes Tiras, sind neu dabei. Wie das Mittelfeld schließlich aussieht, kristallisiert sich vermutlich erst in den kommenden Wochen heraus. Lediglich Dragan Millé hat für das FCO-Spiel eine Startelf-Garantie, genauso wie Demirkapi und Uschpol in der Verteidigung.
Taffes Auftaktprogramm
Ein radikaler Umbruch, eine durchwachsene Vorbereitung und gewisse Sorgen um die derzeitige Verfassung der Mannschaft: Ist der Brinkumer SV nach dem Aufstieg des Bremer SV also überhaupt der große Favorit auf die Meisterschaft? Nein, behauptet Gabel. „Wir wollen oben mitspielen, das ist das realistische Ziel. Ich fühle mich ganz oft zurückerinnert an vor drei Jahren. Da hatten wir 15 neue Spieler, und das ist halt einfach ein riesengroßer Umbruch, der Zeit benötigt.“
Obwohl Gabel darauf verzichtet, die Meisterschaft als großes Ziel auszurufen, dürften die Brinkumer durchaus ein Wörtchen um den Titel mitreden. Dafür ist die Qualität im Kader einfach zu hoch. Richtungsweisend für den Saisonverlauf könnten schon die ersten Spiele sein, denn das Startprogramm hat es in sich. Nach dem Auftakthammer gegen Oberneuland folgt eine unangenehme Aufgabe beim ESC Geestemünde, ehe schon am vierten Spieltag das Auswärtsspiel beim hochgehandelten OSC Bremerhaven ansteht. Als Titelanwärter nennt Gabel die SV Hemelingen, den FC Oberneuland und OSC Bremerhaven. „Wir dürften allerdings auch dazugehören. Jetzt freue ich mich aber erst einmal darauf, dass es wieder losgeht“, fiebert Gabel dem Start einer interessanten Saison in der Bremen-Liga entgegen.

Innenverteidiger Esin Demirkapi ist auch in der kommenden Spielzeit der Kapitän des Brinkumer SV.