Der Staatsanwalt hatte drei Jahre Haft gefordert, der Verteidiger maximal zweieinhalb Jahre für ausreichend erachtet, die Nebenklagevertreterin kein konkretes Strafmaß genannt. Einigkeit herrschte, dass darüber hinaus unbedingt die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen sei. So sah es ohne Abstriche auch die Vierte Große Strafkammer des Landgerichts Verden. Sie verhängte gegen den 61-Jährigen aus Hepstedt (Landkreis Rotenburg) wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, begangen an einer befreundeten Arbeitskollegin (29) in Brinkum, sogar dreieinhalb Jahre und befand: In einer Fachklinik sei der Mann besser aufgehoben als in der Strafhaft.
Mit Verweis auf die Ausführungen des Sachverständigen, der eine Störung der Sexualpräferenz beziehungsweise eine sadistisch-sexuelle Störung attestiert hatte, ging auch das Gericht davon aus, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung in seiner Steuerfähigkeit erheblich eingeschränkt und vermindert schuldfähig war. Als er die junge Frau am frühen Abend des 16. Februar unter einem Vorwand in die Lagerhalle gelockt hat, sei es sein Ziel gewesen, entsprechende Fantasien „an ihr auszuleben“, hieß es in der Urteilsbegründung. Dazu sei es zwar nicht gekommen, doch das Opfer habe über vier Stunden „extrem große Ängste“ ausgestanden und dabei vor allem eine Vergewaltigung befürchtet.
Opfer kämpft mit enormen psychischen Folgen
Die Nebenklägerin sei dem „nicht einschätzbaren“ Mann, der sich später angeblich das Leben nehmen wollte, „über einen langen Zeitraum ausgeliefert“ gewesen. Die 29-Jährige hatte bei ihrer Befragung am ersten von vier Verhandlungstagen berichtet, dass der Angeklagte ihr zu Beginn plötzlich ihre Strickmütze über das Gesicht gezogen und sie zu Boden geworfen habe. Da habe sie realisiert, „dass ein ganz schlechter Film anfängt“. Der Vorsitzende Richter griff diese Formulierung auf: Sie sei noch untertrieben für das, was die Zeugin ausstehen musste. Ihre äußerlichen Verletzungen seien glücklicherweise gering geblieben, aber die psychischen Folgen seien enorm.
Darauf hatte zuvor auch noch einmal die Anwältin der Bremerin aufmerksam gemacht. Ihre Mandantin werde noch sehr lange an diesem massiven „Eingriff in ihr Leben“ zu tragen haben. Die Frau war den Fängen des Angeklagten erst entkommen, nachdem die von besorgten Freunden alarmierte Polizei sich durch einen Nebeneingang Zutritt zu der Halle verschafft hatte. Das Haupttor hatte der Täter verschlossen. Beim Erscheinen der Beamten hatte er sich mit einem Messer diverse Schnitte am Hals und an den Handgelenken zugefügt. Aufgrund eines amtsgerichtlichen Unterbringungsbefehls kam er wenig später in die Psychiatrie.
Dorthin hätte er vielleicht schon viel früher gehört, hatte der Sachverständige erklärt. Denn der Mann war längst schon kein unbeschriebenes Blatt mehr. Bereits in den 1980er-Jahren hatte er zum Teil sehr ähnlich gelagerte Taten begangen und war mit Bewährungsstrafen davongekommen. Das vermutlich seit der Jugend bestehende Krankheitsbild brach sich nachweisbar wohl erst wieder im Jahre 2020 Bahn. Opfer wurde die eigene (Noch-)Ehefrau. Auch der im Zuschauerbereich sitzenden 59-Jährigen wandte sich der Angeklagte bei seinem „letzten Wort“ noch eine Sekunde leicht zu. Besonders in Richtung der Nebenklägerin bekundete er mit leiser Stimme, dass ihm leidtue, was passiert sei.
„Dankenswerterweise“, so der Vorsitzende, habe der Mann sich zu den Vorwürfen eingelassen. Zögerlich zwar, aber „nicht wegen Vertuschung“, sondern weil ihm das umfassende Geständnis mit Darlegung seiner Problematik sehr schwer gefallen sei – vor der Nebenklägerin, der Familie und einer „unbekannten Öffentlichkeit“. Ohne diese Einlassung hätte es möglicherweise ein Urteil gegeben, „das an der Sache vorbeigegangen wäre“. Bei einer „anderen Motivation“ des 61-Jährigen sei sicherlich auf eine höhere Strafe erkannt worden. Die Krankheit entschuldige aber selbstverständlich „nicht alles“. Der Mann habe eine „erhebliche Straftat“ begangen. Die Unterbringung sei unerlässlich. Unbehandelt stelle der Angeklagte eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.