An den Herbst 1998 können sich viele Stuhrer wahrscheinlich noch gut erinnern. Damals traf ein Jahrhunderthochwasser die Gemeinde. Durch starke Regenmassen, die vom Boden nicht mehr aufgenommen werden konnten, trat der Klosterbach über die Ufer, Teile von Moordeich und Alt-Stuhr standen unter Wasser. Kurz danach gründeten Betroffene in Stuhr die Interessengemeinschaft (IG) Hochwasserschutz, um die Ereignisse aufzuarbeiten und Verbesserungen im Hochwasserschutz einzufordern. Eigentlich sollten die Vorhaben bereits abgeschlossen sein, doch es kam immer wieder zu Verzögerungen. Jetzt scheint wieder Schwung in das Verfahren zu kommen. Laut Matthias Stöver, Geschäftsführer des zuständigen Ochtumverbandes, könnte das nötige Planfeststellungsverfahren im kommenden Jahr abgeschlossen werden. 2022 könnte dann mit der Umsetzung der Vorhaben begonnen werden.
„Grundsätzliches Ziel war es immer, den Hochwasserschutz für ein hundertjährliches Hochwasser herzustellen“, berichtet Stöver über den Planungsprozess. Auf rund 6,5 Kilometer Länge sollte der Klosterbach, der in Teilen auch Varreler Bäke heißt, für ein mögliches Hochwasser gewappnet werden. Die Strecke führt entlang des Gewässers von Blocken, südlich der Autobahn 1 bis zur Einmündung des Moordeicher Wasserzuges (Heckhaus). Zum einen ist geplant – da, wo es geht – die Deiche zu ertüchtigen und zurückzuverlegen, gibt Stöver einen Einblick in die Planungen. Dadurch soll dem Gewässer mehr Raum gegeben werden. Zum anderen sollen Spundwände an einigen Stellen für mehr Schutz sorgen. So zum Beispiel im Bereich des Eiscafés an der Varreler Landstraße und auf dem Gelände des Gut Varrel, wo auf den Denkmalschutz Rücksicht genommen werden muss. Ein dritter Teil umfasst zwei neue Schöpfwerke am Zufluss des Moordeicher Wasserzuges und am Wasserzug im Branden. Dort soll verhindert werden, dass das Wasser aus dem Klosterbach in die Zuflüsse gedrückt wird, so Stöver.
Das ganze Verfahren zieht sich schon über viele Jahre hin. „Es war eigentlich ein frustrierender Prozess“, erinnert sich Joachim Döpkens, Vorsitzender der IG Hochwasserschutz, an den Beginn der Diskussionen. Zwei Jahre lang habe der Verein nach seiner Gründung vergeblich versucht, seine Interessen bei den entsprechenden Stellen vorzubringen. „Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen“, sagt er rückblickend. Erst auf Initiative des damaligen niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten Heinfried Schumacher Anfang der 2000er-Jahre habe sich Bewegung eingestellt, so Döpkens.

Im Herbst 1998 standen weite Teile der Gemeinde Stuhr, wie hier an der Blockener Straße, unter Wasser.
Die politischen Gremien in Stuhr befassten sich mit dem Thema laut Ann-Kathrin Dittmer von der Verwaltung ab 1999. Damals beschloss der Verwaltungsausschuss ihren Angaben nach die Vorfinanzierung für „wasserwirtschaftliche Untersuchungen“, die dann im Jahr 2001 im Gemeindeentwicklungsausschuss vorgestellt und befürwortet wurden. 2003 wurden die Planungen konkretisiert, 2014 wurde vom Stuhrer Gemeinderat ein Planfeststellungsverfahren angeschoben und 2015 die nötigen Unterlagen an den Landkreis Diepholz als zuständige Behörde übergeben, berichtet Dittmer. „Das war der erste Anlauf“, erinnert sich Ochtumverband-Geschäftsführer Stöver.
Doch dann wurde das Verfahren von einer geänderten Rechtssprechung überholt, sodass die Unterlagen im Jahr 2019 ergänzt werden mussten und zum 31. Januar 2020 überarbeitet wurden, erläutert Stöver. Eine gewisse Zeit nehmen auch die Gespräche für den nötigen Grunderwerb in Anspruch. Rund 30 Hektar seien für die geplanten Vorhaben notwendig, so Stöver. Dazu müssten Gespräche mit fast 50 Eigentümern geführt werden. Das wiederum übernimmt die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) mit ihrer Geschäftsstelle in Verden für den Ochtumverband. „Eine Vielzahl an notwendigen Grundstücken“ konnte bereits erworben werden, einige Gespräche stehen aber noch aus, gibt Stöver einen Zwischenstand. Die überwiegende Mehrheit der Eigentümer reagiere aber positiv auf die Anfragen.
Für die kommende Woche ist nun ein nächster Gesprächstermin mit dem Landkreis anberaumt. Dort soll das weitere Vorgehen besprochen werden. „Über Videokonferenzen ist das eine Herausforderung“, sagt Stöver und berichtet, dass die Corona-Pandemie in Teilen zu einem verlängerten Verfahren beiträgt. Nach dem Gespräch soll das Vorgehen auch in den politischen Gremien bekanntgemacht werden, ergänzt Dittmer.
Der nächste offizielle Schritt sei dann ein Erörterungstermin, bei dem alle Träger öffentlicher Belange und Eigentümer noch einmal ihre Anmerkungen und Einwände zu den Planungen vorbringen können, sagt Stöver. Gemeinsam sollen dann Lösungen gefunden werden. Ein Termin dafür sei aber ebenfalls von der Corona-Lage abhängig.
Parallel laufen die Gespräche zur Finanzierung. Rund 16 Millionen Euro müssten laut Stöver bereitgestellt werden. 70 Prozent davon könnten durch Fördermittel des Landes und aus Bundes- und EU-Programmen kommen, 30 Prozent müsste die Gemeinde Stuhr tragen, sagt er. Ein Posten dazu finde sich bereits seit Jahren im Haushalt der Gemeinde, berichtet Dittmer. „Den ziehen wir immer mit“, erklärt sie.
Mit den Bauarbeiten kann aber erst begonnen werden, wenn der Planfestellungsbeschluss gefasst wurde und am besten auch der Zuwendungsbescheid für die Fördermittel vorliege, sagt Stöver. Er hofft auf einen Baubeginn im Jahr 2022 – vorbehaltlich möglicher Klagen. Dann könnten die Arbeiten „vier bis fünf Jahre dauern“, schätzt er.
Ein zeitnaher Baubeginn würde natürlich auch die Stuhrer IG Hochwasserschutz freuen. „Wir hoffen, dass das alles schnell umgesetzt wird“, sagt Joachim Döpkens. Der Verein werde das Verfahren auch weiterhin begleiten. Mit der Zusammenarbeit mit dem Wasserverband ist Döpkens ebenfalls zufrieden. Der IG-Vorsitzende hofft aber auch, dass neben dem notwendigen Hochwasserschutz der Umweltaspekt eine Rolle spielt. Ochtumverband-Geschäftsführer Stöver betont, dass der Klosterbach immer auch als Gewässer für Pflanzen und Tiere gesehen werde. Im Frühjahr dieses Jahres wurde zum Beispiel im Bereich von Groß Henstedt der Fluss aufgewertet.
Beim Ochtumverband stehen neben den jetzigen Vorhaben auch andere Projekte zum Hochwasserschutz im Fokus. So wurde vor Kurzem die Hochwasserpartnerschaft Klosterbach/Varreler Bäke gegründet. Erstmalig werden darin alle Anrainerkommunen des Gewässers, also die Gemeinde Neuenkirchen, wo der Klosterbach entspringt, die Stadt Bassum, die Gemeinde Kirchseelte, die Gemeinde Stuhr und die Stadt Delmenhorst sowie der Bremische Deichverband am linken Weserufer und der Ochtumverband, ein gemeinsames Gesamt-Hochwasserschutzkonzept auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages erarbeiten, berichtet Stöver. Bestehende Planungen, wie die für Stuhr, sollen in das Konzept integriert werden. Es gehe aber auch um die Anbindung und Wiederherstellung von Altarmen – zum Beispiel im Mittel- und Oberlauf – zur Dämpfung von Abflussspitzen sowie Vorhaben zur Grundwasseranreicherung und zum Niedrigwassermanagement, sagt Stöver.