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Nach Schockanruf bei Stuhrerin Ermittler hält "familiäre Struktur" bei Tätergruppe für möglich

Im Prozess gegen einen 51-jährigen Mann am Landgericht Verden hat nun ein Ermittler ausgesagt. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, dass er eine Stuhrer Seniorin um Bares und Goldbarren erleichtern wollte.
06.11.2023, 10:51 Uhr
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Von Angelika Siepmann

Stuhr/Verden. Der Mann, der laut Anklage als Mitglied einer Bande von Trickbetrügern die Beute abholen sollte, hat sich vor dem Landgericht Verden als ziemlich unbedarft dargestellt. Er habe seine Auftraggeber nicht gekannt und auch nicht gewusst, was er „transportieren“ sollte, hieß es in der Einlassung des Mannes. Er war der Polizei am Nachmittag des 27. April in Stuhr ins Netz gegangen, wo eine Seniorin beinahe Bares und Goldbarren im Wert von 78.000 Euro eingebüßt hätte. Der Zugriff eines Mobilen Einsatzkommandos des Landeskriminalamtes (LKA) Bremen, das den 51-Jährigen bereits im Visier hatte, verhinderte einen Verlust ihrer teuren Schätze.   

Bei allem Ungemach und Stress, dem die alte Dame (88) durch den unheilvollen Anruf und die perfide Gesprächstaktik der Telefontäter ausgesetzt war, konnte sie also quasi noch von Glück sagen. Es ist den meisten Opfern der miesen Masche nicht vergönnt. Geld und Wertgegenstände seien „in der Regel weg“, sagte ein als Zeuge vernommener Polizeioberkommissar aus Weyhe, der auch mit dem Stuhrer Fall beschäftigt war. Von der Vorgehensweise her ein Fall wie so viele mit Schockanruf beziehungsweise dem sogenannten Enkeltrick. „Ein Dauerdelikt mit hoher Dunkelziffer“, weiß der Betrugsermittler.

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Die „Abholer“ der erhofften Beute seien zwar nur ein „kleines Stellrad“ im gesamten Betrugssystem, sie seien aber aus seiner Erfahrung „oft eingeweiht“, sich bewusst, „welch skrupellose Taten sie begehen“ und die Geschädigten „in den Ruin treiben“ könnten. Sie befänden sich „am Ende der Kette“ und liefen auch am ehesten Gefahr, gefasst zu werden – „weil sie als Person in Erscheinung treten“.  Gefahr bestand für den Mann aus der Ostseestadt Szcezecin (Stettin) schon, als er die Stuhrer Adresse ansteuerte, die ihm die Drahtzieher aufs Handy gesendet hatten.

Zuvor soll er bereits für eine weitere Mission eine Anschrift in der Hansestadt erhalten haben. Dort soll sich sein weisungsgemäßes Auftauchen aber erübrigt haben, weil die angerufene Rentnerin die beabsichtigte Irreführung schnell durchschaut und rechtzeitig die Reißleine gezogen hatte. Die Bremer Kripo hatte im Vorfeld wiederum von Kollegen des LKA Baden-Württemberg in Stuttgart einen Hinweis auf den Angeklagten bekommen. Demnach war er in Süddeutschland einschlägig aufgefallen. Eine von der Staatsanwaltschaft Pforzheim angeordnete Telefonüberwachung besagte dann, dass er von seinen Auftraggebern nach Bremen beordert worden war.

Stuhr sollte Endstation sein für den 51-jährigen mutmaßlichen Reisenden in Sachen Betrug. Er befindet sich seither in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde in Untersuchungshaft. Nach der Festnahme durch das MEK, die nach ausgiebiger Observation am letzten Einsatzort stattfand, war der Mann zunächst zum Polizeikommissariat Weyhe gebracht worden. Er habe den Beamten „ausdrücklich gestattet“, sein Fahrzeug zu durchsuchen, berichtete der Zeuge. Der Wagen – französische Marke, polnische Kennzeichen – stand zu diesem Zeitpunkt noch „verkehrsbehindernd“ an einer Straße ein paar Ecken vom Haus der 88-Jährigen entfernt. „Direkte Tatmittel“ seien nicht entdeckt worden, hieß es, es habe aber einiges darauf hingedeutet, dass der Mann einen mehrtägigen Aufenthalt vorhatte und in dem Auto „lebte“.

Nach dem Haftprüfungstermin war dem Beschuldigten die Bitte erfüllt worden, bei seiner Schwester anzurufen. Entgegen der Anweisung habe er mit der Frau über das Geschehene gesprochen. „Ich hatte den Eindruck, dass sie über den Tathergang Bescheid wusste“, erklärte der Beamte. Er hielt eine „familiäre Struktur“ der Gruppe im Hintergrund für nicht ausgeschlossen. "Es gibt auch Tätergruppen, die Familienmitglieder losschicken."

Die 10. Große Strafkammer hatte zum Auftakt des zweiten Verhandlungstages den rechtlichen Hinweis erteilt, wonach im Falle einer Verurteilung diese auch wegen Beihilfe zum Betrug erfolgen könnte. Derzeit sehe man keine ausreichenden Anhaltspunkte, dass der Angeklagte als Mitglied einer Bande agiert habe. Vorerst ist noch ein Fortsetzungstermin (8. November) geplant. 

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