Verden/Stuhr. Der Schockanruf ereilte die alte Dame am Nachmittag des 27. April dieses Jahres in ihrem Haus in Stuhr. Ihre Tochter habe einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen sei. Um den Gang ins Gefängnis zu verhindern, sei eine Kaution von 125.000 Euro fällig. Nach einem zermürbenden, über anderthalbstündigen Telefonat packte das Opfer einer Bande von Trickbetrügern Geld und Gold im Wert von 78.000 Euro in eine Tasche und trug es dem damaligen „Abholer“ sogar noch hinterher. Der Mann muss sich seit Freitag vor dem Landgericht Verden verantworten.
Dem 52-jährigen Polen, der noch am selben Tag festgenommen worden war und seither in Untersuchungshaft sitzt, wird eine Betrugstat zur Last gelegt – gemeinschaftlich und gewerbsmäßig begangen als Mitglied einer Bande. Als „Geldabholer“ habe er in der untersten Ebene einer streng hierarchisch organisierten, gesondert verfolgten Tätergruppe gehandelt, hieß es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Der Mann hat zum Prozessauftakt eingeräumt, auf telefonische Anweisung der ihm persönlich unbekannten Auftraggeber nach Stuhr gefahren zu sein. Er erzählte über einen Dolmetscher auch ausgiebig, wie er angeblich gutgläubig an den „Job“ geraten war, der ihn schon bei einem der ersten Einsätze hinter Gitter gebracht hat.
88-Jährige schildert Vorfälle
Von großem Interesse war aber vor allem, was die Frau an jenem Nachmittag im April so alles erlebt und erlitten hat. Die 88-Jährige berichtete bereitwillig und nicht frei von Selbstkritik, zog im Verlaufe ihrer Vernehmung auch schon mal ein Fazit: „Man ist um eine Erfahrung schlauer und hat keinen Schaden genommen“. Insgesamt betrachtet, sei sie ja auch „eher sauer auf sich selbst“. Sie habe doch zuvor so viel von derlei Betrügereien gehört und gelesen. Darüber sei auch in ihrer Frauengruppe gesprochen worden. „Ich hätte nicht gedacht, dass mir das passiert.“
Laut Anklage, und von ihr auch weitgehend bestätigt, wurde beim Anruf auf dem Festnetz zunächst von einer vermeintlichen Polizistin aus Bremen-Vahr mitgeteilt, ihre Tochter habe den Unfall mit Todesopfer gehabt. Eine andere Frau habe sich sogar als ihre Tochter ausgegeben und die Angaben bestätigt. Auch ein „Staatsanwalt“ habe sich zu Gehör gebracht. „In Panik verfallen“ sei sie zwar nicht, so die Zeugin, aber nach dem langen Hin und Her und „Diskutieren“ doch genervt gewesen. Schließlich sei sie an ihren Safe gegangen und habe Goldmünzen, Goldbarren und Bargeld „einfach eingepackt“, in eine Tasche: „alles rein, Reißverschluss zu“. Wie angekündigt sei dann auch der „Abholer“ an der Haustür erschienen. Die verlangte Quittung sei wortlos abgelehnt worden, der Mann habe weggehen wollen. Sie habe noch schnell ihre Digitalkamera geholt und eine Aufnahme gemacht, dann sei sie dem Mann hinterhergegangen und habe ihm die Tasche in die Hand gedrückt: „Aber da wusste ich schon, dass es falsch ist.“
Den Antrag der Verdener Verteidigerin, den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufzuheben, hat das Landgericht mit Hinweis auf Fluchtgefahr zurückgewiesen.