Verden/Stuhr. Der schmächtige Angeklagte mit dem ergrauenden Bart blickte zunächst etwas skeptisch drein. Als könnte er noch gar nicht ganz glauben, dass es nun nach über einem halben Jahr Untersuchungshaft mit der Unfreiheit vorbei sein sollte. Aber spätestens am Schluss der Urteilsbegründung dürfte er es begriffen haben. „Sie sind ein freier Mann“, versicherte ihm der Vorsitzende der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts Verden. Wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug hat der 51-Jährige am Mittwoch eine Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten erhalten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Geahndet wurde sein letztlich gescheiterter Einsatz als Abholer der Beute, die sich ein Team von Telefonbetrügern am 27. April von einer 88-jährigen Frau in Stuhr erhofft hatte (wir berichteten). Nach viel Hin und Her und dem Erhalt einer Tasche mit Gold und Geld im Wert von fast 80.000 Euro war der bereits observierte Bote vor Ort festgenommen worden. Es war das dicke Ende einer „Dienstreise“, die der zuvor arbeitslose Mann mit der Aussicht auf recht gute Vergütung für erfolgreiche Tätigkeit angetreten hatte – und angeblich ohne Wissen um die wahren Hintergründe.
Staatsanwaltschaft forderte Haft
Nach dem Plädoyer des Staatsanwalts hatte der Mann am dritten Prozesstag noch etwa eine Stunde Schlimmeres zu befürchten gehabt. Der Antrag des Anklagevertreters lautete auf zweieinhalb Jahre Gefängnis, und damit wäre eine Bewährung nicht mehr möglich gewesen. Doch das Gericht fällte ein milderes Urteil und bahnte dem nicht vorbestraften Mann den Weg nach Hause. Dass er um Strafhaft herumkam, lag vornehmlich an der Feststellung, die die Kammer nach der Beweisaufnahme getroffen hat: Der 51-Jährige war demnach kein Mitglied der Bande. Er sei nicht in die „hochprofessionelle Bandenstruktur“ eingebunden gewesen, wenngleich er zu einer Person, vielleicht auch mehreren „Kontakt“ habe, um Aufträge und Material, etwa Mobiltelefone, entgegenzunehmen.
Die „Abholer“, dies betonte auch das Gericht, bildeten das „unterste Glied“ bei den gesamten Abläufen. Sie sähen sich daher auch oft als Opfer. Als solches habe sich während der Verhandlung auch ein wenig der Angeklagte dargestellt, hieß es. Er sei aber „Teil des Systems“ gewesen. Das Opfer sei im zu betrachtenden Fall allein die Seniorin gewesen. Sie sei von den Hintermännern angerufen und mit der Nachricht konfrontiert worden, ihre Tochter habe einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen sei. Nur eine Kaution von 125.000 Euro könne den Gang hinter Gitter verhindern.
Der Richter erinnerte an die Vernehmung der 88-Jährigen, „eine sehr starke Persönlichkeit“. Die Zeugin habe deutlich gemacht, dass sie zwar informiert gewesen sei, wie bei derlei Schockanrufen reagiert werden sollte. Das habe sie allerdings nicht getan und aus Sicht der Kammer auch geglaubt, dass sie ihre Tochter nur durch die Kaution vor dem Gefängnis bewahren könne. Sie habe sich selbst nicht erklären können, warum sie dann trotz aufkommender Zweifel ihr gesamtes Vermögen zusammengesucht habe. Sie sei wohl „irgendwie im Kopf dem Schockanruf unterlegen“, formulierte es der Vorsitzende.
Dass die Frau ihre Wertsachen nicht auf die Verlustliste setzen musste und der Angeklagte nicht als Bandenmitglied eingestuft wurde, wirkte sich bei der Strafzumessung unterm Strich erheblich zu seinen Gunsten aus: „Sonst würde keine Eins, sondern eine Vier vorwegstehen“.