Stuhr. Es waren große Themen und Ziele, die den Teilnehmern bei der Informationsveranstaltung zur geplanten Sanierung des Ortskerns von Alt-Stuhr am Donnerstagabend präsentiert wurden: mehr Platz und Aufenthaltsqualität rund um das Stuhrer Rathaus, ein möglicher Umzug des Feuerwehrhauses, mehr Raum und Sicherheit für die langsamen Verkehrsteilnehmer, Modernisierungen auch von Privathäusern. Die Verwaltung hatte das Einreichen der Antragsunterlagen für das Förderprogramm "Lebendige Zentren" zum Anlass genommen, gemeinsam mit dem beauftragten Planungsbüro BPW aus Bremen, die Bürger über die möglichen Ziele des Vorhabens zu informieren.
Für das Planungsbüro präsentierten Maja Fischer-Benzenberg und Niklas Fluß die ersten Ergebnisse des sogenannten Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (Isek). "Das Isek ist die Grundlage, um in die Förderung aufgenommen zu werden", erklärte Fischer-Benzenberg bei der virtuellen Veranstaltung. Wie berichtet, stand am Anfang des Prozesses im vergangenen Herbst eine Stärken-und-Schwächen-Analyse des Ortskerns. Diese wurden durch Fachgespräche mit den Akteuren vor Ort, in einem Workshop mit der Kommunalpolitik sowie durch eine Bürgerbeteiligung ermittelt. Aus den analysierten Missständen wurden dann Ziele und Leitlinien für eine mögliche Sanierung entwickelt, so die Planerin.
Bei der Bürgerbeteiligung habe es eine gute Resonanz gegeben. So beteiligten sich rund 160 Menschen bei einer Online-Befragung, 125 Fragebögen wurden komplett ausgefüllt. Auf einer digitalen Karte vom Untersuchungsgebiet, das vom Schützenweg im Norden, der Flächen des Reitvereins im Osten, der Bahnstrecke im Süden und der Häuserreihe an der Blockener Straße im Westen reicht, wurden rund 230 Anmerkungen und rund 800 Bewertungen abgeben. Inhaltlich habe es dabei "große Schnittmengen" zwischen den Angaben der Akteure, der Ansichten der Planer und den Vorschlägen der Bürger gegeben, berichtete Niklas Fluß.
Belastung durch Verkehr
Doch wo liegen die Missstände? Zentral sei dabei die hohe Belastung im Ortskern durch den Verkehr auf der Stuhrer Landstraße und der Blockener Straße. So gebe es einen "hohen Anteil an Durchgangsverkehr", der für Lärm und Feinstaubbelastung sorge. Außerdem hätten die Straßen eine "trennende Wirkung", so Fluß. Missstände sieht die Analyse auch bei den Gebäuden: "85 Prozent haben einen mittel bis hohen Modernisierungsbedarf", sagte der Planer mit Blick auf den energetischen Zustand von Dächern oder Fassaden in dem Gebiet. Des Weiteren gebe es aber auch noch ungenutzte Fläche.
Im Fokus steht der "ungeordnete Bereich" rund um das Rathaus. Dort sei die Parkplatzsituation sehr unübersichtlich, das Feuerwehrhaus könnte aufgrund der aktuellen Feuerwehrbedarfsplanung nicht mehr ausreichen und könnte vor einer Verlegung stehen. Dieses würde wiederum viel neue Fläche schaffen. Der Parkplatz rund ums Rathaus verdecke ebenfalls "wertvolle Fläche", die eigentlich "multifunktional nutzbar" wäre, so Fluß.

Vor allem der Verkehr auf der Stuhrer Landstraße und der Blockener Straße steht im Fokus im möglichen Sanierungsgebiet.
Mängel gibt es auch an Straßen und Fußwegen. Zum Beispiel fehle an der Stuhrer Landstraße im Norden ein Fußweg komplett. Andere seien nicht breit genug oder nicht barrierefrei. Auch fehlten oft wichtige verkehrliche Verknüpfungen wie eine direkte Verbindung des Aldi-Marktes mit dem Ortskern. Hinzu komme eine "unattraktive Eingangssituation". "Man bekommt gar nicht mit, dass man in den Ortskern fährt", so Fluß.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Fehlen von Freiräumen, die von allen Altersgruppen genutzt werden könnten. Dabei geht es um die Aufenthaltsqualität. "Wir haben eigentlich ein schönes Potenzial zwischen dem Biotop und den Kladdinger Wiesen", sagte Fluß.
Der Stuhrer Ortskern hat aber auch Stärken. Dazu gehöre die historische Bausubstanz zum Beispiel mit der St.-Pankratius-Kirche und anderen alten Gebäuden. Diese würden allerdings nicht immer richtig präsentiert. "Da ist auf jeden Fall Potenzial", so Fluß. Dieses sieht der Planer auch in der Verbindung zwischen Natur und Ortskern zum Beispiel mit dem Blätterdach rund ums Rathaus. Mit den Banken, dem Rathaus, gastronomischen Angeboten und Dienstleistern gebe es auch Frequenzbringer vor Ort. Diese müssten aber besser sichtbar gemacht werden.
Verkehrlich biete vor allem die geplante Straßenbahnhaltestelle am Bahnhof Stuhr Potenzial. Hinzu komme, dass durch die Wohnbebauung ein gewisses Maß von Engagement der Einwohner mitgebracht werde. Das sei auch an der sehr regen Beteiligung festzumachen, sagte der Planer.
Aus der Analyse hätten sich dann insgesamt fünf Entwicklungsziele herauskristallisiert. Zentral sei dabei das Ziel, den Ortskern zu einem Anlaufpunkt zu machen. Das beinhalte Handel, Freiräume, Gastronomie aber auch das Wohnen, so Fluß. Zweites Ziel ist, den Ortskern zu einem Treffpunkt von Jung und Alt zu machen. Als Drittes sollen die "abwechslungsreichen Freiräume" besser verknüpft werden. Im Bereich Mobilität sei es das Ziel, den Ortskern sicher und gut erreichbar für alle zu machen. Gleichzeitig müsse der Lärm reduziert werden. Nicht zuletzt soll der Ortskern auch klimafreundlich und klimawandelangepasst gestaltet werden.
Zu diesen Zielen präsentierten die Planer auch erste Ideen. Im Zentrum steht auch da der Bereich rund um das Rathaus mit einer "hohen Priorität", sagte Fischer-Benzenberg. Als mögliche Projekte sehen die Planer die Verlagerung der Feuerwehr, die Schaffung einer Verbindung zwischen Rathaus und Kirche durch eine "Sichtachse" und die bessere Nutzung der Flächen rund um den Verwaltungssitz. Durch eine Neuorganisation könnten diese "multifunktional" genutzt werden – zum Beispiel für weitere saisonale Veranstaltungen neben dem Weinfest und dem Weihnachtsmarkt. Aber auch die Aufenthaltsqualität könne so erhört werden. Potenzial gebe es zum Beispiel am Siguldaer Platz, so Fischer-Benzenberg, die auch Räume für Spielgeräte, Bänke oder Sportangebote ins Spiel brachte. Historische Gebäude sollten weiter ins Bewusstsein gerückt werden, zum Beispiel durch eine entsprechende Beleuchtung.
Eine Umgestaltung können sich die Planer auch für den Kirchplatz vorstellen. Im Bereich des östlichen Ortseingangs wäre eine direkte Verbindung zum Aldi-Markt vorstellbar, "um die gefühlte Entfernung" zu verringern. Im nördlichen Gebiet müsse man vor allem im Gespräch mit der Kirche bleiben, so Fischer-Benzenberg. Auch die Ansiedlung von Ärzten und einer Apotheke haben die Planer im Blick. "Wir müssen auf den tollen Standort hinweisen", sagte Fischer-Benzenberg. Im Bereich Mobilität müssten der Haltepunkt sowie Straßen und Wege entsprechend hergerichtet werden. Auch die Wegeverbindung an der Bahnstrecke könnte ertüchtigt werden.
Aber auch die privaten Flächen könnten in die Sanierung mit einbezogen werden. So gebe es Modernisierungszuschüsse auch für private Gebäude. Die Gemeinde könnte auch den Zwischenerwerb für Flächen tätigen, um diese entsprechend zu entwickeln. Dafür habe sie ein Vorkaufsrecht. Rechtlich gebe es auch die Möglichkeit zur Enteignung im Sanierungsgebiet. Allerdings seien "Enteignungen nicht geplant", betonte Fischer-Benzenberg mit Blick auf geäußerte Befürchtungen. Alle Vorhaben sollten möglichst einvernehmlich mit den Anrainern und Eigentümern getroffen werden. Außerdem stehen alle Vorhaben unter dem Vorbehalt der Förderzusage.
In der anschließenden Diskussion ging es dann noch einmal um den Verkehr. So beschwerte sich eine Anwohnerin der Stuhrer Landstraße, dass "sich immer große LKW durch den Ortskern quälen". Der Abschnitt Richtung Stuhrbaum werde regelmäßig als "Rennstrecke genutzt". Fischer-Benzenberg antwortete, dass ein Ziel sei, den Lärm und die Feinstaubbelastung im Ortskern zu senken. Da aber zumeist das Land oder der Kreis die Straßenträger sind, seien Veränderungen schwierig. Mit dem Sanierungskonzept gebe es aber eine neue Argumentationsgrundlage. Vor der Kita im Ortskern könnte aber auch eine Tempo-30-Zone ausgewiesen werden. Dass der LKW-Verkehr ganz aus dem Ortskern verschwinden könnte, glaubt die Planerin nicht.
Fischer-Benzenberg sprach auch den kommenden Zeitplan an. So steht am 7. Juli der Ratsbeschluss für das Projekt an. Dann müsse die Gemeinde auf die Förderzusage warten. "Wir rechnen frühestens im Frühjahr nächsten Jahres mit dem Förderbescheid", so die Planerin. Erst dann könne der Beschluss für das Sanierungsgebiet fallen. Ab 2023 könnte es dann richtig losgehen. Die Planerin schwor die Beteiligten aber auch auf einen langen Prozess ein. Dieser könnte zehn bis 15 Jahre dauern, so Fischer-Benzenberg.