Stuhr/Weyhe/Syke. In den Urlaub fahren, Kulturangebote genießen, ein Restaurantbesuch mit der Familie – eigentlich ganz normale Freizeitaktivitäten. Für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sind sie es oft aber nicht. Das will das Demenz-Netzwerk, das sich nun unter der Federführung des Vereins Pro Dem gründet, nachhaltig ändern. Wie berichtet, hat der Senioren- und Pflegestützpunkt, der zugleich regionale Alzheimergesellschaft ist, vor Kurzem eine Förderzusage vom Bund für das dreijährige Programm "Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz" erhalten.
Nun hat Pro-Dem-Mitarbeiterin Lilja Helms beim Auftakttreffen die Ideen und Wünsche der gut ein Dutzend Teilnehmer aufgenommen und an eine Pinnwand geheftet. Wie sich am Ende der Sammlung unschwer erkennen ließ: Das sich nun formierende Netzwerk hat viel vor. "Wir wollen in erster Linie Initiator sein, denn wir sind der Träger. Den Aufbau des Netzwerkes können wir nicht alleine machen, sondern nur gemeinsam mit Ihnen und vielen anderen Partnern", wandte sich Vereinsvorsitzender Frithjof Troue eingangs an die Anwesenden aus den Bereichen Logopädie, Altenpflege, Krankenpflege, Verwaltung und Ehrenamt. Für die Bewerbung um das Förderprogramm hatte Pro Dem bereits im Vorfeld Kooperationspartner benennen müssen. Neben dem Pflegedienst Weser waren das die Gemeinden Stuhr und Weyhe sowie die Stadt Syke, in denen Pro Dem auch tätig ist.
Als Angehöriger brachte sich der Kirchweyher Jürgen Herrmann bei der Auftaktveranstaltung ein. Ihm war es ein besonderes Anliegen, das Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern nachhaltig zu schulen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass mit Betroffenen nicht immer sensibel umgegangen wird. Erkrankte würden ermahnt, sich ruhig hinzusetzen. Längere Zeit im Wartezimmer zu bleiben, sei für die Betroffenen oft mit Strapazen verbunden. Herrmann wünscht sich in vielen Fällen daher mehr Rücksichtnahme bei der Terminvergabe. Er sprach sich dafür aus, den Blick auch mehr auf pflegende Angehörige zu richten. "Es wird gefragt, wie es demjenigen geht. Aber es wird nie gefragt, wie geht es dir mit der Belastung", sagte Herrmann, der die Betreuung und Fürsorge als "24-Stunden-Job" bezeichnete. "Empathie ist das wichtigste Wort überhaupt", sagte eine langjährige Ehrenamtliche von Pro Dem, die an Demenz erkrankte Menschen im Alltag begleitet.
Schulungen schaffen Sensibilisierung
Angebote rund um Tanz und Musik für Demenzkranke und auch Angehörige zu initiieren, Gottesdienste speziell für die Zielgruppe in der Kirche anzubieten, ein gemeinsames Essen zu veranstalten oder Reiseveranstalter mit ins Boot zu holen – all das waren Vorschläge aus dem Plenum. Ansonsten sammelten sich unter dem Punkt "Wer fehlt hier" auf der Pinnwand Anbieter von Hauswirtschaftshilfe, die Bürgerbusvereine, religiöse Institutionen, Polizei, Verantwortliche für den kulturellen Bereich sowie die Ludwig-Fresenius-Schulen, die Berufsbildenden Schulen und die Krankenpflegeschule Sulingen als ausbildende Institutionen im Bereich Pflege. Die Anwesenden verständigten sich darauf, dem Bereich der Schulung ohnehin große Bedeutung zu geben, um so mehr Akzeptanz und Sensibilisierung zu schaffen.
Nicht nur der medizinische Bereich solle dabei bedacht werden, auch eine Verstetigung der Schulung von Polizei, Verwaltungsmitarbeitern in den Bürgerbüros und Fahrern der Bürgerbusvereine solle es geben. Schlussendlich müsse sich aber auch die Allgemeinheit mehr mit der Krankheit auseinandersetzen, sagte Jürgen Herrmann. Nicht selten verschließe sich der einzelne vor der Erkrankung des Partners, der Mutter oder des Vaters. Dann heißt es zunächst, derjenige sei "tüdelig im Kopf". "Man muss die Demenz annehmen wie jede andere Krankheit auch", sagte Herrmann, der einen offeneren gesellschaftlichen Diskurs forderte. Nicht zuletzt will die Demenz-Allianz eine Internetseite mit einer Übersicht der Anlaufstellen aufbauen und Social-Media-Kanäle bedienen. 2023 soll es auch einen Fachtag für die breite Öffentlichkeit geben und 2024 einen für medizinisches Fachpersonal. Zwar können sich auch Arztpraxen dem Netzwerk anschließen, jedoch machte Lilja Helms deutlich, kein medizinisches Forum bilden zu wollen. Ein solches gibt es bereits im Landkreis Diepholz. Sie warb eindringlich für die Bildung des Netzwerkes. Denn fast 90.000 Menschen fallen in den Zuständigkeitsbereich von Pro Dem. Eine Versorgung in der gewünschten Qualität werde der Verein in den kommenden zehn Jahren alleine nicht leisten können. "Wir wollen die pflegerische Versorgung neu überdenken", sagte die studierte Gerontologin.
Dazu gehört auch, mehr bedarfsgerechte Wohnformen zu schaffen und auch Angebote speziell für junge an Demenz erkrankte Menschen vorzuhalten. Obwohl ihre Stadt nicht zum Einzugsgebiet von Pro Dem gehört, waren zwei Logopädinnen und die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes aus Bassum vor Ort, um sich an dem Netzwerk zu beteiligen. Frithjof Troue ging noch weiter und regte an, das Thema grundsätzlich größer zu denken und die Anliegen des Netzwerkes auch landes- und bundesweit an die Entscheidungsträger heranzutragen.
Der Termin für das zweite Treffen, dem sich weitere Interessierte – insbesondere auch Betroffene und Angehörige – anschließen können, ist für Donnerstag, 12. Mai, von 16 bis 18 Uhr beim Pflegedienst Weser, Krefelder Straße 6, in Weyhe geplant. Anmeldungen nimmt Pro Dem telefonisch unter 04 21 / 8 98 33 44 (Bürozeiten: montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr) oder per E-Mail an info@prodem-stuhr-weyhe.de entgegen.