Stuhr. Die Gemeinde Stuhr benötigt dringend weitere Unterkünfte für Geflüchtete. Der Rat hat sich daher am Mittwochabend mit großer Mehrheit für den Bau von jeweils drei Gebäuden am Löwenzahnweg in Neukrug und im neuen Baugebiet Auf dem Steinkamp in Brinkum ausgesprochen. Dem Beschluss vorangegangen war eine lange Diskussion, in der viele Bürger ihren Unmut über die Pläne äußerten. Auch Sicherheitsbedenken wurden laut. Während sich der Großteil der Ratsmitglieder schockiert von einigen Äußerungen zeigten, lehnten auch drei CDU-Ratsmitglieder und die AfD (eine Stimme) das Vorhaben ab.
An den beiden Standorten sollen jeweils 50 Menschen untergebracht werden. Die Häuser sollen nach dem Vorbild der Unterkünfte an der Allerstraße in Brinkum gebaut werden und pro Einheit 16 Menschen Platz bieten. Weil die Häuser bis zum Herbst fertig sein sollen, möchte die Gemeinde das Vorhaben von einem Generalunternehmen ausführen lassen. Die Verwaltung geht von Kosten in Höhe von 3,75 Millionen Euro aus. Bei der Auswahl der Grundstücke habe man keine Alternativen, machte die zuständige Fachbereichsleiterin Kerstin Frohburg deutlich. Für die ausgewählten Flächen bestehe Baurecht, ansonsten müsste die Gemeinde erst Grundstücke kaufen oder einen entsprechenden Bebauungsplan auf den Weg bringen. Das betonte auch Bürgermeister Stephan Korte. "Die Situation ist so, dass wir die Pistole auf der Brust haben."
Viele Anwohner hatten kein Verständnis für die Standortwahl. "Wie kommt man darauf, eine Fläche direkt neben einer Kita zu nehmen?", fragte ein Bürger aus Neukrug. Er wisse aus Erfahrung, wie es in solchen Unterkünften ablaufe. "Es ist verdreckt, es geht hoch her", sagte er. Auch befürchtete er einen Preisverfall für die Häuser im Umfeld. "Man hätte die Anwohner im Vorfeld auch mal fragen können", kritisierte er außerdem. Ein weiterer Neukruger bemängelte die Anbindung an den ÖPNV. "Wie wollen sie die Leute versorgen?", fragte er. Frohburg entgegnete: "Auch wenn ein Supermarkt nicht nur 100 Meter entfernt ist, bekommen die Menschen das hin." Ein anderer Bürger sprang ihr bei: "Wie wir anderen auch", sagte er.
Möglichst Familien
Ein Anwohner des Löwenzahnwegs beklagte, er habe Sorgen um seine Kinder. "Das ist für mich nicht der Platz für Integration", so seine Meinung. Ein weiterer Bürger sagte, es gehe auch um die regionale Sicherheit und wollte wissen, welche Rolle die Kita spiele. Eine andere Bürgerin schlug vor, die geflüchteten Menschen zu unterstützen, damit es mit der Integration klappt. "Ich finde es nicht fair, die Menschen unter den Generalverdacht zu stellen, dass hier unsere Kinder gefährdet sind", entgegnete auch Korte. Frohburg erklärte, dass in den neuen Unterkünften möglichst Familien untergebracht werden sollen und "nicht unbedingt allein reisende, männliche Flüchtlinge". Sie verwies auf die Betreuung der Geflüchteten durch ein Team von Sozialarbeitern der Gemeinde. Zudem handele es sich "nicht um Flüchtlingsheime, sondern um Mehrparteienhäuser".
Kritik kam auch von Anwohnern des Gebiets Auf dem Steinkamp. "Seit fünf Jahren wollen Leute dort bauen, wollen sie das überhaupt noch vermarkten?", fragte ein Bürger. Das sei nach wie vor in drei Abschnitten geplant, entgegnete Dominik Kreuzhermes, stellvertretender Fachbereichsleiter für Ortsentwicklung und Bauen. Erste Gemeinderätin Bettina Scharrelmann wies auf die Probleme mit der Entwässerung hin, die zu Verzögerungen geführt hatten (wir berichteten). "Die Vermarktung wird in den kommenden Monaten starten", kündigte sie an. Der Bürger befürchtete aber auch hier einen Wertverlust bei den Grundstücken.
Für Susanne Cohrs, Fraktionsvorsitzende der SPD, war der Vorschlag der Verwaltung die wirtschaftlich beste Lösung. "Wenn eines Tages die Flüchtlingswelle abebbt, kann man die Häuser auch gut nachnutzen", sagte sie. Von den Äußerungen einiger Bürger zeigte sie sich schockiert. "So kann Integration nie und nimmer gelingen", sagte Cohrs. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Finn Kortkamp gab zu, auch nicht glücklich mit der Situation zu sein. "Die Bedenken finde ich legitim", sagte er. Man sollte sich nicht anmaßen, das zu beurteilen. Seine Kritik ging auch in Richtung Bundespolitik. Die Kapazitätsgrenzen seien erreicht und die Ampel(-Koalition) sei einfach ausgefallen. In Stuhr müsse man das nun alleine lösen. "Wir sind uns in der Fraktion nicht einig geworden, aber die Mehrheit wird der Vorlage zustimmen", sagte Kortkamp.
Plädoyer für Randlagen
CDU-Ratsherr Lutz Hollmann fragte, warum Unterkünfte in guten Lagen und mit hohen Standards geschaffen werden müssen. "Die Leute suchen Schutz, nicht Apartments. Wenn sie Apartments suchen würden, dann würde ich die Fluchtursache noch mal hinterfragen wollen", sagte er, um dann zu fragen, warum nicht Behelfsbauten in Randlagen gebaut werden können. Auf Gemeindeebene müssten Probleme gelöst werden, die nur vom Bund oder der EU bekämpft werden müssten. "Von dort kommt aber keine Hilfe", so Hollmann. Auch sei es eine Utopie zu glauben, dass "diese Flüchtlingswellen irgendwann mal abebben. Er appellierte, ein Signal zu senden, dass es so nicht weitergeht. "Wenn junge Familien keine Bauplätze mehr bekommen können, wenn Unterricht nichts mehr bringt, weil die Schüler kein Deutsch verstehen, wenn wie in Lörrach 40 Mietern gekündigt wird, weil ihre Wohnungen für 100 Zuwanderer gebraucht werden, dann ist das nicht mehr mein Land", sagte Hollmann und erklärte, das Vorhaben abzulehnen.
"Ich muss mich erst mal schütteln, um den Grusel aus den Kleidern zu bekommen", entgegnete Grünen-Fraktionschef Kristine Helmerichs. Dass es vielen nur nach dem Motto "Bitte nicht vor meiner Haustür" gehe, finde sie "zum Kotzen". "Ich möchte Sie bitten, den geflüchteten Menschen mit etwas mehr Zutrauen zu begegnen", so ihr Appell. Die meisten geflüchteten Menschen würden sich ganz wunderbar integrieren. "Sonst hätten Sie sie längst in Stuhr bemerkt, es sind nämlich viele Hundert", fügte Helmerichs hinzu. Die Problembeschreibung von Hollmann bezeichnete sie als top, versehen mit dem Hinweis, wer eigentlich auch in den letzten Jahren mit in der Landes- und Bundesregierung war. "Außerdem war für unsere Gemeinde keine einzige Lösung dabei", so Helmerichs. Vor Ort habe man sich immer darum bemüht, keine Flüchtlingsheime zu schaffen, sondern Unterkünfte mit Wohncharakter. Deshalb sei sie froh, dass wieder ein solcher Weg gefunden wurde.
Ähnlich äußerte sich auch FDP-Fraktionschef Alexander Carapinha Hesse: "Was wir hier bauen, sind Gebäude, die auch zum Wohnen einladen und nachgenutzt werden können." Die Idee, in Randlagen zu gehen, da vielleicht noch eine Ghettoisierung stattfinden zu lassen, das ist doch Irrsinn. Wir wollen doch Integration vorantreiben und die findet in der Mitte der Gesellschaft statt", sagte er. Auch Sebastian Koch (SPD) zeigte sich schockiert. "Jeder hat das Recht auf menschenwürdige Unterbringung", sagte er und appellierte, der Gemeindeverwaltung den Rücken zu stärken.
Mehrere Änderungsanträge wollte Michael Schnieder (AfD) einbringen. Unter anderem forderte er, bei anderen Kommunen um freie Kapazitäten zu bitten. Man habe auch eine Verantwortung gegenüber den Bürgern. Er sprach auch von "moralischer Erpressung" und der "Behauptung von Schutzgründen". "Je mehr Unterkünfte die Kommunen schaffen, desto mehr Zuweisungen wird es geben", hatte er zuvor ausgeführt. Bürgermeister Korte erklärte, dass es sich um einen eigenen Antrag handelt, der später gesondert behandelt werden soll. Zustimmung für die Unterkünfte kam zum Schluss von der Besser-Fraktion. "Es ist viel Geld, aber es sind keine Luxusvillen", sagte Joachim Döpkens. Er sprach von einer sehr guten und wirtschaftlichen Lösung.