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Radsport Der Krebs kann ihn nicht bremsen

Mit 21 Jahren wurde bei Jan Erik Penning Krebs diagnostiziert. Doch der Weyher, der für den RSV Bruchhausen-Vilsen im Sattel sitzt, ließ sich nie entmutigen und feierte jetzt sein Comeback.
18.10.2019, 18:16 Uhr
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Von Thorin Mentrup

Er grübelte dann doch. Komplett konnte Jan Erik Penning seine Aufregung nicht ausblenden an diesem 28. September, dem Tag des ersten Laufs der Panther-Cross-Serie für Radsportler im Braunschweiger Stadtteil Lehndorf. Dabei waren dem Weyher die Momente vor dem Rennen doch bekannt: die Vorbereitung, das Gefühl, den Platz in der Startaufstellung einzunehmen, die anderen Sportler mit ihren Rädern um sich herum – das hatte er schon etliche Male mitgemacht. Doch in Lehndorf nahm er alles intensiver wahr. Denn Penning hatte diese Augenblicke lange nicht mehr erlebt. Beim Panther-Cross feierte der 24-Jährige seine Rückkehr in den Rennzirkus, wie er selbst sagt, nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert worden war.

In seinem grünen Trikot hatte sich Penning einen Platz in der zweiten Startreihe gesucht. Er steuerte sein Rad gekonnt durch die Kurven, die Bergauf- und Bergabpassagen. Es war ein technischer Kurs, wie er ihn besonders mag. Nur die Seitenstiche in den ersten fünf der neun Runden störten. „Vielleicht habe ich die Rennvorbereitung etwas verlernt“, sagt Penning rückblickend. Als 15. kam er ins Ziel – sturzfrei und ganz zufrieden. Wichtiger als das Resultat war für ihn aber, wieder ein Rennen gefahren zu sein.

Im Frühjahr 2017 hatte er davon nicht mehr ausgehen können. Er hatte sich gerade einer Darmspiegelung unterzogen. „Der Doktor hatte eine Entzündung vermutet“, erinnert sich Penning. „Aber dann hat sich herausgestellt, dass es Krebs ist.“ Ein Schock. „Man weiß gar nicht, was man sagen soll, auch nicht, wie man es den anderen sagen soll. Das ist einfach nichts, was man erwarten kann.“ 21 Jahre jung war er bei der Diagnose. Gerade hatte er in Braunschweig seinen Studiengang gewechselt, wollte nach drei Semestern im Bereich Wirtschafts- und Bauingenieurwesen nun in der Architektur neu durchstarten. Daran war von einem Moment auf den anderen nicht mehr zu denken. Auch nicht an den Radsport, in dem er für den RSV Bruchhausen-Vilsen im Jahr 2016 noch bei den Deutschen U23-Meisterschaften gestartet war.

Chemo und Bestrahlung

Pennings Leben änderte sich komplett: Er unterbrach sein Studium, zog zurück zu seinen Eltern, stellte sich bei seinem Hausarzt und beim Klinikum Bremen-Mitte vor. Sechs Wochen Bestrahlung und zweimal eine Woche lang Chemotherapie musste er sich unterziehen. „Die Chemo war nicht so schlimm. Mir sind auch keine Haare ausgefallen“, erzählt er. Schmerzhafter war da schon die Strahlenbehandlung. „Es waren Verbrennungen im Beckenbereich. Es ist dann sogar unangenehm, zur Toilette zu gehen.“ Über seine Schmerzen spricht der Weyher ruhig und sachlich – wie überhaupt über seine Erkrankung. Von Beginn an habe er einen Psychologen an seiner Seite gehabt. „Das war keine Pflicht, aber es war die richtige Entscheidung. Es war wichtig, mit jemandem reden zu können, der im Thema war und gleichzeitig Rat geben konnte, wie man mit der Erkrankung umgeht“, erfuhr Penning wertvolle Unterstützung auch abseits von Familie und Freunden. Diese, seine engsten Vertrauten, seien seine größte Hilfe gewesen. Sie kamen auch aus dem Sport: Mit seinem RSV-Kollegen Pit Neitemeier saß Penning während der Chemotherapie im Sattel. Doch es war nicht wie zuvor. „Es war sehr, sehr langsam. Ich glaube, so langsam bin ich noch nie Rennrad gefahren“, hatte die Behandlung ihn körperlich mitgenommen. Doch es habe einfach gutgetan, rauszukommen und frische Luft zu schnappen. Auch zu Kai Heidorn, seinem Trainer aus Jugendzeiten, hatte Penning viel Kontakt. „Er war sofort für mich da, wie ein zweiter Vater schon fast.“

Am 17. Juli 2017 wurde der Tumor erfolgreich entfernt. „Dank eines Roboters sind es vier kleine Schnitte, kein riesiger Bauchschnitt“, erklärt Penning. Zwei Wochen blieb er danach im Krankenhaus, von Juli bis Anfang September schonte er sich daheim, ehe der nächste Schritt folgte: vier Wochen Jugend-Reha in Bad Oexen im Norden von Bad Oeynhausen. Dort waren alle zwischen 18 und 30 Jahre alt. „Es tat gut, mit anderen Leuten in meinem Alter zu sprechen – auch über andere Sachen als Krebs“, schöpfte der Weyher weiteren Mut.

Stück für Stück kehrte Penning in den Alltag zurück. Er nahm sein Studium wieder auf, holte auf, was er verpasst hatte. Mittlerweile ist er im fünften Semester, im kommenden Jahr will er seinen Bachelor machen. Auch der Radsport ist wieder fester Teil seines Lebens. Im April 2018 begann er mit langsamem Training. „Ich war nach 30, 40 Kilometern komplett fertig. Sonst fahre ich 60 bis 80 Kilometer mit einem Schnitt von 30 Kilometern pro Stunde. Damals waren es vielleicht 27. Da habe ich nur gedacht: Wie habe ich das damals geschafft? Aber irgendwann ging es wieder“, schildert er den Weg zurück zu alter Geschwindigkeit, aber auch zu alter Sicherheit. Beim Uni-Sport konnte er wieder mithalten, begleitete einen Freund zudem zum 24-Stunden-Rennen in Oschersleben. Als Betreuer fuhr er alle zwei Stunden auf die Strecke, um ihm neue Trinkflaschen zu reichen. „Da bin ich das erste Mal wieder 100 Kilometer in 24 Stunden gefahren.“ Kein richtiges Rennen, aber eine kleine Etappe auf dem Weg zurück. Im September vergangenen Jahres war das.

Das Comeback in Syke platzt

Das richtige Comeback sollte einen Monat später folgen beim Heimrennen in Syke. „Das wäre perfekt gewesen, aber dann ist mir jemand beim Aufwärmen hinten reingefahren und ich hatte eine Acht im Laufrad und keinen Ersatz dabei“, fiel dieser Plan ins Wasser. Penning musste wieder warten. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die Gewissheit, wieder Rennen zu fahren, war deutlich größer als noch ein Jahr zuvor. Er meldete sich als Uni-Sport-Trainer, „auch als Motivation, um mich selbst fit zu machen. Als Trainer möchte man ja nicht der Langsamste sein. Das sähe blöd aus“. Im Januar dieses Jahres begann er mit dem Training für die aktuelle Saison. „Etwas spät“, meint er, „aber das Studium kostet eben auch Zeit“. Mehr als 4000 Trainingskilometer hat er trotzdem bereits abgespult. Der Krebs ist nicht zurückgekehrt. „Ich fühle mich fit“, sagt Penning. Bei seiner Rückkehr nach Oschersleben im vergangenen September ging es für ihn nicht mehr darum, Trinkflaschen auf die Strecke zu bringen, sondern darum, die schnellste Rennrunde zu fahren. „Es wurde dann die zweitschnellste“, sagt Penning. 1,6 Sekunden fehlten ihm. Ein Wimpernschlag, der zeigte: Der Weyher, der rund um den Barrier Krusenberg trainiert, ist bereit für Crossrennen. Er würde nicht mehr nur als Pressewart über die Erfolge seiner RSV-Kollegen berichten, sondern wieder eigene feiern.

Pennings Wahl auf die Panther-Cross-Serie fiel nicht zufällig und nicht nur, weil er in Braunschweig studiert. „Ich bin die Serie noch nie gefahren, hatte also keinen Vergleich. Wenn man schon mal irgendwo gefahren ist, möchte man mindestens genauso schnell sein wie vorher. Deshalb war Braunschweig eine gute Gelegenheit für mich“, erklärt er. Es sollte ein Wiedereinstieg ohne Druck und ohne Blick in den Rückspiegel werden. Diese Hoffnung erfüllte sich. „Es war einfach schön, wieder dabei zu sein“, sagt Penning.

Letztlich habe ihm auch der Sport geholfen, die schwierige Zeit durchzustehen. Er wisse, was es heiße, auf die Zähne zu beißen. „Manchmal muss man eben einfach durchhalten, so schwer es auch ist“, sagt er. Als geheilt gilt er erst nach fünf Jahren. 2022 also. „Aber ich denke nicht jeden Tag über die Krankheit nach“, betont er. Gedanken macht er sich mehr über sein Architekturstudium. Oder über das zweite Rennen der Panther-Cross-Serie am 16. November in Harxbüttel. „Ich will in die Top Ten“, lautet sein Ziel. Die Abläufe dürften nun noch besser sitzen. Seitenstiche sollten ihn also kaum ausbremsen. Mit der Strecke hat sich der 24-Jährige bereits beschäftigt. „Da gibt es eine große Sandkiste, die man durchfahren muss. Das ist sehr technisch“, blickt er voraus. Also genau das, was Penning mag. Doch auch die anderen Herausforderungen dürften ihn kaum stoppen. Er hat schließlich schon viel Schwierigeres überstanden…

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