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Das Interview "Die absolute Sicherheit gibt es nicht"

Im Prozess um den Polizistenmord in Rheinland-Pfalz ist kürzlich das Urteil gefallen. Im Interview spricht Weyhes Polizeichef Domenico Corbo über die Reaktionen und Auswirkungen der Tat auf den Polizeiberuf.
14.12.2022, 16:00 Uhr
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Von Wolfgang Sembritzki

Herr Corbo, kürzlich ist das Urteil im Prozess um die Tötung zweier Polizisten in Rheinland-Pfalz gefallen. Der Hauptangeklagte wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein gerechtes Urteil?

Domenico Corbo: Ich möchte mir nicht anmaßen, das Urteil rechtlich zu bewerten. Ich kann nur sagen, dass ich die lebenslange Haft wegen Mordes als gerecht empfinde. Und ich kann nur hoffen, dass es den Hinterbliebenen ähnlich ergeht. Ich finde den Weg gut, den das Gericht eingeschlagen hat, nämlich beim Mitangeklagten von der Strafe abzusehen, da dieser maßgeblich zur Tataufklärung beigetragen hat.

Hätte das Gericht das nicht getan, hätten Sie dann Bedenken gehabt, dass das Verfahren anders ausgeht?

Das kann ich schwer beurteilen. Aber so ein Urteil hat auch immer einen präventiven Charakter, um weitere Täter von ähnlichen Taten abzuschrecken. Wäre es hier zu einem anderen Urteil gekommen, wäre dieser Effekt möglicherweise nicht in dem Maße ausgeprägt.

Wie und wann haben Sie von der Tat erfahren?

Ich habe es morgens über die Medien zu Hause erfahren. Ich bin sofort zur Dienststelle gefahren. Die Täter waren bis dahin noch nicht dingfest gemacht. Es war auch nicht bekannt, wie viele Täter überhaupt involviert waren, sodass wir erst einmal von flüchtigen Tätern ausgegangen sind, die sich im gesamten Bundesgebiet aufhalten können. Somit bestand die Gefahr, dass auch meine Kolleginnen und Kollegen auf die Flüchtigen treffen könnten. Ich habe dann möglichst viele Informationen an die Kollegen gestreut und sensibilisiert, damit sie wussten, dass es eine konkrete Gefahrensituation gibt und bei Verkehrskontrollen oder Einsatzlagen entsprechend an Fahrzeugführer herantreten.

Was ging Ihnen als erstes durch den Kopf, als Sie von der Tat erfahren haben?

Erst einmal konnte ich es gar nicht glauben und war schockiert. Jeder Polizeibeamte hat schon Verkehrskontrollen an einer Bundesstraße oder einer verlassenen Örtlichkeit erlebt, wo man dann an ein Fahrzeug herantritt und nicht weiß, wer darin sitzt. Das hat mir noch mal vor Augen geführt, wie schnell eine alltägliche Situation in so einen dramatischen Vorfall umschlagen kann. Ich habe mit meinen Kollegen gesprochen, die sich gerade im Streifendienst befunden haben, die mit dieser Ungewissheit umgehen mussten, ob sich die Täter vielleicht bei uns in den Gemeinden befinden. Die Täter schienen offensichtlich zu allem bereit.

Wie war die Stimmung im Kommissariat?

Es war eine sehr bedrückte Stimmung. Normalerweise herrscht auf der Dienststelle eine gute Stimmung, wir sind ein tolles, funktionierendes Team. Aber an dem Tag war die Stimmung tatsächlich anders. Viele von uns haben Freunde, Bekannte oder Verwandte, die auch bei der Polizei sind. Ich selbst habe befreundete Kollegen, die in Rheinland-Pfalz im Dienst sind und sehr nah dran waren.

Gab es Kollegen, die nicht mehr in den Streifendienst oder gar als Polizeibeamte arbeiten wollten?

Solche Reaktionen sind nicht gekommen. Ganz im Gegenteil: Es herrschte eine hohe Solidarität zu den Kollegen aus Rheinland-Pfalz. Man möchte seinen bescheidenen Teil dazu beitragen, die Situation aufzuklären. Die Kollegen im Einsatz- und Streifendienst haben nach dem entsprechenden Fahrzeug die Augen offengehalten, als es die ersten Hinweise gab. Natürlich haben wir die Situation auch ganz genau beobachtet, als es zu den Festnahmen in Süddeutschland gekommen ist und haben uns erst dann der Trauerarbeit gewidmet.

Trauerarbeit bei der Polizei – wie darf man sich das vorstellen?

Neben den obligatorischen Fahnen auf Halbmast und Trauerflor an unseren Funkstreifenwagen haben wir auf dem Hof der Dienststelle eine Schweigeminute abgehalten. Wir haben auch eine Trauerecke mit den Fotos der beiden verstorbenen Kollegen Jasmin und Alexander eingerichtet. Wir haben uns an Spendenaktionen beteiligt, die bundesweit gelaufen sind.

Was macht es mit einem, wenn man so vor Augen geführt bekommt, dass man möglicherweise abends nicht mehr vom Dienst nach Hause kommt?

Wir haben einen gefährlichen Beruf, das ist jedem bei der Polizei bewusst. Letztendlich geht das Leben und der dienstliche Alltag weiter. Solche Ereignisse schärfen die Sinne noch einmal in besonderem Maße. Das wird irgendwann vom Alltag wieder ein Stück weit eingeholt. Das ist auch gut und richtig so. Wir können nicht bei jeder Verkehrskontrolle davon ausgehen, dass jemand im Fahrzeug sitzt, der uns das Leben nehmen möchte. Ansonsten wären wir nicht mehr arbeitsfähig und würden von solchen Ängsten getrieben werden. Gott sei Dank sind Mordanschläge auf Polizisten ja sehr, sehr selten in Deutschland. Ein Großteil der Bürger zeigt bei Verkehrskontrollen großes Verständnis. Das ist das, was unseren Alltag bestimmt. Nichtsdestotrotz führen solche Ereignisse dazu, dass uns unsere beruflichen Gefahren nochmal ins Gedächtnis gerufen werden.

Wie oft kommen Übergriffe auf Polizeibeamte vor?

In diesem Jahr hatten wir bislang 15 Widerstandshandlungen zum Nachteil meiner Kollegen allein in den Gemeinden Stuhr und Weyhe. Das sind allerdings nur die Widerstandsdelikte, also die tätlichen Angriffe auf Kollegen. Nicht darin umfasst sind zum Beispiel Beleidigungs-, Bedrohungs- und Körperverletzungsdelikte, Hasskommentare im Internet sowie Delikte, bei denen kein Straftatbestand erfüllt wird, man aber von psychischer Gewalt sprechen kann. Bei solchen werden Kollegen provoziert oder auf herablassende Art und Weise drangsaliert, die der Situation einfach nicht angemessen ist. Es gibt auch Sachbeschädigungen, unser Dienstgebäude ist im Sommer mit Eiern beworfen worden. Das Trafo-Häuschen vor unserer Dienststelle ist mit unflätigen, polizeifeindlichen Sprüchen besprüht worden. Auch solche "Gewaltakte" machen etwas mit den Kolleginnen und Kollegen.

Wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, fehlt Ihnen auch die Handhabe gegen die Täter. Wie lässt sich mit so etwas umgehen?

Wir werden immer versuchen, erst einmal mit dem polizeilichen Gegenüber zu sprechen und unsere Rolle als Polizei zu vermitteln. Wir bewegen uns da oft in einem Spannungsverhältnis. Allerdings gibt es auch Situationen, bei denen die Polizei agiert und eben kein Raum mehr für Diskussionen bleibt. Dort werden wir auch konsequent einschreiten.

Können Sie sich erklären, weshalb manch einer die Polizei als Feind betrachtet?

Das ist eine Frage, die ich mir auch stelle und sicher ist jeder Einzelfall separat zu betrachten. Ich denke aber, dass sich die Gewalt nicht in jedem Fall gezielt gegen die einschreitenden Polizeibeamte richtet, sondern wir als Vertreter des Staates für den Unmut gegen staatliche Maßnahmen, erlassenen Verboten, Beschränkungen oder gesamtgesellschaftliche Krisen auch als Blitzableiter herhalten.

Wie gehen Sie mit Gefahrensituationen um?

Alle im Polizeiberuf wissen: Die absolute Sicherheit gibt es nicht. Häufig sind es die alltäglichen Situationen, die die größte Gefahr in sich bergen. Das kann eine allgemeine Verkehrskontrolle sein, das können Unfallgeschehen sein, bei denen die Unfallstelle abgesichert wird und Kollegen dabei ums Leben kommen. Es sind nicht zwingend die großen Amok-Lagen oder Geiselnahmen. Wir versuchen, unsere Kollegen vorzubereiten. Sie gehen regelmäßig zum Schießtraining, werden an der Waffe geschult, belegen Seminare zur Selbstverteidigung oder Fahrsicherheitstrainings. Dann haben sie auch Vorbereitung zum Beispiel auf Amok-Lagen und das taktische Vorgehen in geschlossenen Räumlichkeiten. Der andere Part ist die Ausrüstung: Die Kolleginnen und Kollegen sind mit schusssicheren Westen ausgestattet und arbeiten mit Bodycams. Auf den Fahrzeugen haben wir ballistische Westen und Schutzhelme, die auch großkalibrige Waffen abhalten können. Wir versuchen, den Kollegen die Möglichkeit zu geben, sich psychisch und physisch fit zu halten, etwa mit Dienstsportangeboten und Gemeinschaftsveranstaltungen, bei denen der Zusammenhalt gefördert wird.

Wie hat die Bevölkerung die Geschehnisse aufgenommen?

Wir haben um die tragischen Geschehnisse in Kusel auch ganz viel Solidarität aus der Bevölkerung erfahren. Menschen haben uns bei Verkehrskontrollen angesprochen. Wir haben teilweise Post bekommen, Leute sind auch auf der Dienststelle erschienen, um sich für unsere Arbeit zu bedanken. Das war eine große Hilfe für uns und hat meinen Kolleginnen und Kollegen sehr viel bedeutet.

Das Interview führte Wolfgang Sembritzki.

Zur Person

Domenico Corbo

leitet seit November 2021 das Weyher Polizeikommissariat an der Alten Poststraße in Leeste. Die Wache mit 70 Bediensteten ist für die Gemeinden Weyhe und Stuhr zuständig und trägt damit Verantwortung für rund 64.500 Bürgerinnen und Bürger.

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