Manche Fälle bleiben in Erinnerung. Da gab es etwa das Pony, das von seiner Weide ausgebrochen war, umherlief, in den Straßenverkehr geriet und einen Unfall verursachte. Das Tier durchbrach dabei die Frontscheibe eines Autos, der Fahrer wurde verletzt. So schwer, dass er für den Rest seines Lebens querschnittsgelähmt ist. Herauszufinden, wie es zu einem Unglück wie diesem kommen konnte, das ist die Aufgabe von Barbara Wendelken. Sie ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Pferde.
„Es gibt Fälle“, sagt sie, „da ist man mit dem Herzen dabei.“ Fälle, die nahe gingen. Bei dem Autofahrer sei das so gewesen, aber auch, wenn Kinder involviert seien. Ihre Arbeit dürfe das aber nicht beeinflussen. „Da bin ich wie ein Neutrum.“ Wendelken ist dafür da, die Hintergründe aufzuklären. Hat jemand falsch gehandelt? Hätte man etwas anders machen können? War es Zufall? Die nötige Expertise hat sie dafür: Sie reitet, seitdem sie sechs ist. Erst Dressur- und Springreiten, dann sei sie auf Westernreiten „umgesattelt“. Und in wenigen Fällen ist die Bezeichnung wohl treffender. Bei Wendelken dreht sich alles ums Pferd. Schon wer bei ihr im Büro sitzt, merkt das. Hinter dem Schreibtisch: ein Pferdebild. Neben dem Schreibtisch: noch mehr Pferdebilder. Im großen Bücherregal: Pferdestatuen und Fachliteratur. Die Vierbeiner sind Leidenschaft und Beruf.
„Sie kennen vielleicht die Kollegen im Kfz-Bereich“, sagt die 66-Jährige, wenn sie versucht zu erklären, was sie macht. Genauso wie Kfz-Gutachter schreibt auch Wendelken Berichte – nur dass es nicht um Autos, sondern um Pferde geht. Ihr Fachwissen ist dabei in vielen Bereichen gefragt: bei Versicherungen, bei Banken, bei Privatpersonen. Vor allem aber auch vor Gericht. Das ruft sie zu Hilfe, wenn sich dort zwei Parteien streiten und sich beispielsweise nicht über den Wert eines Pferdes einig sind. Wendelken schreibt dann ein Gutachten.
Doch wie legt man den Wert eines Tieres fest? Die Gutachterin hat verschiedene Kriterien, nach denen sie das Pferd beurteilt. Ganz wichtig sei natürlich die Gesundheit. „Wer ein Pferd hat, der will auch etwas damit machen“, sagt sie. Auch das Alter sei entscheidend, genauso wie die Charaktereigenschaften, die Ausbildung, der Stammbaum und die Art, wie es sich bewegt. Für ihre Gutachten versucht Wendelken auch immer, vergleichbare Pferde zu finden. Und nicht zuletzt entscheide der Markt über den Wert.
Seitdem sie sich 1994 selbstständig gemacht hat, hat Wendelken unzählige Gutachten verfasst, hat in ganz Deutschland gearbeitet, in Frankreich und Spanien. Kein Fall sei dabei wie der andere gewesen. „Jedes Pferd hat eine Seele“, sagt die Gutachterin.
Doch es bleibt nicht bei den Gutachten. Wendelken berät auch Reiter, die sich ein Pferd kaufen wollen oder hilft als Coach. Etwa dann, wenn jemand nach einem Sturz vom Pferd eine Blockade hat und sich nicht zurück in den Sattelt traut. Auch bei der richtigen Unterbringung berät sie.
Seit vergangenem Jahr kümmert sie sich aber nicht nur um Pferde, sondern auch um Vierbeiner, die immer häufiger in Deutschland gehalten werden: Alpakas. Nach eigenen Angaben ist sie für Alpakas als einzige Person weltweit öffentlich bestellt und vereidigt. Denn auch für diese Tiere gebe es mittlerweile Züchter und Schauen in Deutschland. Zudem kämen sie für Therapien zum Einsatz.
Unterstützt wird Wendelken seit diesem Jahr von ihrer Tochter Rieke Wendelken-Barniske. Dass es einmal so sein wird, war aber längst nicht immer klar: Obwohl die Tochter seit ihrer Kindheit pferdebegeistert ist, selbst ritt und ihre Mutter auf Termine begleitet hat, machte sie nach der Schule erst einmal eine Ausbildung im Einzelhandel. Der Wunsch, das zu machen, was auch ihre Mutter macht, blieb dennoch. Die nun 30-Jährige hat daher noch einmal studiert – Tierpsychologie und Tierheilpraktikerin –, um als hippologische Sachverständige mit ihrer Mutter zusammenzuarbeiten. Bald will sie vor der Landwirtschaftskammer Niedersachsen die Prüfung zur öffentlich bestellten Sachverständigen ablegen, um auch als Gutachterin für Gerichte infrage zu kommen.
Dass sie mit ihrer Mutter zusammenarbeitet, die auf rund 30 Jahre Erfahrung zurückblicken kann, gibt ihr dabei ein gutes Gefühl. „Ich weiß, dass ich sie immer fragen kann“, sagt Wendelken-Barniske. Mit ihren 66 Jahren denkt Wendelken auch noch lange nicht an den Ruhestand. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, ganz aufzuhören“, sagt sie. Sie sehe sich eher als „graue Eminenz im Hintergrund“, sagt sie im Scherz. Denn sie weiß, dass ihre Tochter alles mitbringt, was man als gute Gutachterin braucht. Denn wenn man vor Gericht sein Gutachten verteidigen müsse, müsse man vor allem eins sein: „sattelfest“.