Verden/Weyhe-Dreye. Die Verdener Schwurgerichtskammer hat dem Angeklagten (55) nicht abgenommen, dass er seiner Tochter am 16. April dieses Jahres in Dreye nur im Auto hinterhergefahren sei, um sie zur Rede zu stellen und zur Rückkehr in den feiernden Familienkreis zu bewegen. Und sie hat der Tochter und deren Freund nicht abgenommen, was sie zum Hergang ausgesagt haben. Ihre Angaben hätten eine „deutliche Entlastungs- und Beschönigungstendenz“ aufgewiesen. Der Vater der 17-Jährigen ist jetzt zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden – wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie tateinheitlich vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
Das Landgericht blieb damit am siebten Prozesstag unter der Strafforderung der Staatsanwaltschaft, die fünf Jahre Haft beantragt hatte, folgte aber „im Wesentlichen“ den Feststellungen zum Tathergang, die der Vertreter der Anklage in seinem Plädoyer getroffen hatte. Einzige Abweichung: Ob auch eine Gefährdung des Lebensgefährten der Jugendlichen bestanden habe, musste nach Meinung der Kammer offenbleiben. Man habe nicht ergründen können, „ob beide nebeneinander gingen und wie weit sie voneinander entfernt waren“. Der heute 18-Jährige war unversehrt geblieben, während seine Freundin „potenziell lebensgefährliche Verletzungen“ erlitten hatte, die eine Operation, Intensivstation und einen mehrwöchigen Klinikaufenthalt erforderten.
Unglaubwürdige Zeugen
Für das eigentliche Unfallgeschehen auf der Dreyer Straße, etwa 300 Meter vom Wohnhaus der Familie entfernt, habe es „keine unabhängigen Zeugen“ gegeben, hieß es in der Urteilsbegründung mit Verweis auf die „entlastenden“ Aussagen der beiden Betroffenen. Diese seien unglaubwürdig. Der Staatsanwalt hatte von „offenkundig verharmlosenden und bagatellisierenden“ Angaben gesprochen. Vor allem durch die Rekonstruktion der Abläufe durch den Verkehrssachverständigen habe sich der Sachverhalt aber weitgehend aufklären lassen. Daraus sei letztlich der Schluss zu ziehen, dass der Mann „in der Absicht handelte, einen Unglücksfall herbeizuführen“. Der Gutachter habe besonders „gezielte, bewusste Lenkbewegungen mit Übergreifen“ angeführt. Mit einem Tempo von ungefähr 50 Stundenkilometern sei das Auto von der Straße auf den etwas erhöhten Bürgersteig gefahren, auf dem sich die Jugendlichen befanden. Mit so einer Geschwindigkeit könne man auch nicht auf einem Bürgersteig anhalten, betonte der Vorsitzende Richter.
Der Angeklagte habe dann die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, und dieses habe die damals 16-Jährige „erfasst“. Es bestehe kein Zweifel, dass der verärgerte Mann „vorhatte, seine Tochter anzufahren und zu verletzen“. Zu seinen Gunsten gehe man davon aus, dass er nicht die Absicht hatte, sie zu töten. Allerdings habe er billigend in Kauf genommen, dass sie zu Tode kommen könnte. Die Einlassung des „teilgeständigen“ 55-Jährigen sei „in Teilen nicht plausibel“. Der Mann hatte beteuert, es sei ihm nur darauf angekommen, das Mädchen und den Freund „zu stoppen“ und nach einem Streit den Familienfrieden wiederherzustellen. Er sei zudem betrunken gewesen.
Wenn es ihm nur darum gegangen sei, so der Vorsitzende Richter, wäre es naheliegend gewesen, dass der Angeklagte sich nach dem Geschehen bei der Tochter entschuldigt und sich „distanziert“ hätte. Er sei jedoch weiterhin aufgebracht und aggressiv gewesen und habe mit einem Kennzeichen-Schild in der Hand „eine bedrohliche Haltung“ eingenommen. So hatte es vor Ort ein Zeuge beobachtet, der den elffachen Vater aus dem Fahrzeug geholt hatte, das sich überschlagen hatte und auf dem Dach liegen geblieben war.
Bei der Strafzumessung wurde eine „alkoholbedingte Enthemmung“ des Angeklagten berücksichtigt. Seine genaue Trinkmenge habe zwar nicht ermittelt werden können, die Alkoholisierung sei aber nicht so erheblich gewesen, dass eine verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen sei. Zulasten des Mannes wurde gewertet, dass er unter anderem wegen Körperverletzung an der Tochter vorbestraft ist. Das Gericht verfügte auch, dass er in frühestens anderthalb Jahren die entzogene Fahrerlaubnis zurückbekommen kann. Er habe das Fahrzeug als Waffe benutzt, was von „tiefgreifendem charakterlichem Mangel“ zeuge.