Entscheidend ist nicht, wie ein Spruch gemeint ist, sondern wie er aufgenommen wird. Das sogenannte Catcalling, bei dem Männer Frauen Obszönitäten hinterherrufen oder anderweitig verbal oder nonverbal belästigen, macht auch vor den Gemeinden Weyhe und Stuhr nicht Halt. Deshalb wollen die Rathäuser gemeinsam mit dem Weyher Polizeikommissariat, das für beide Gemeinden zuständig ist, gegensteuern. Herausgekommen ist dabei die Kampagne mit dem Titel "Projekt Respekt – gemeinsam gegen Catcalling", die zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am Montag, 25. November, anläuft.
Das Problem ist tiefer im Alltag verankert, als viele glauben, ist Weyhes Gleichstellungsbeauftragte Christina Scheele überzeugt. Belästigungen aller Art müssten Frauen ihr zufolge "nicht nur im dunklen Park" erdulden. Vielmehr sind es die alltäglichen Orte wie der Weg zur Arbeit, die Schule oder Stätten für Sport oder Freizeitaktivitäten: "Das kann massive Auswirkungen auf die Lebensführung bedeuten", weiß Scheele. Frauen mieden gar manche Orte, um sich derlei Belästigungen zu entziehen – im Alltag, etwa bei der Arbeit, ginge das aber schlecht, abgesehen davon, dass das ohnehin "keine begrüßenswerte Strategie" sei. Sie plädiert für einen Bewusstseinswandel, vor allem, was vermeintliche Komplimente angeht: "Wenn quer über die Straße gerufen wird, ist das kein Gespräch auf Augenhöhe." Vielmehr würden Frauen herabgewürdigt – und das mitten im öffentlichen Raum. Mit Respekt hat das nichts zu tun, stellt Scheele klar.
Rechtliche Grauzone
Catcalling steht derzeit noch nicht unter Strafe, der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch sieht den Strafbestand der sexuellen Belästigung gegenwärtig nur erfüllt, wenn der Täter das Opfer auch körperlich berührt. "Das ist die Grauzone, die derzeit existiert", sagt Domenico Corbo, Leiter des Weyher Polizeikommissariats. Allerdings gibt es derzeit eine Gesetzesinitiative des Landes Niedersachsen, auch die verbale sexuelle Belästigung unter Strafe zu stellen, denn: "Überall, wo Männer und Frauen, Jungen und Mädchen im öffentlichen Raum aufeinandertreffen, haben wir diese Vorkommnisse", weiß Corbo.
Bis dahin setzen Polizei und Gemeinden auf die Kampagne zur Aufklärung: Am Freitag, 22. November, werden in Stuhr und Weyhe an sieben Orten Bauzaun-Banner aufgestellt und Plakate aufgehängt. Darauf zu sehen: Sprüche wie "Zeig mir dein Lächeln!", "Für dein junges Alter kannst du dich schon ziemlich gut bewegen!" oder "Hast du einen Freund?". Verbunden werden die Sätze mit der Frage "Was, wenn es deine Tochter wäre?". "Das sind keine ausgedachten Sprüche", stellt Stuhrs Gleichstellungsbeauftragte Nicole Feldmann-Paske klar. Solche Sprüche werden in Stuhr und Weyhe Mädchen, Frauen und queeren Menschen ab der neunten Klasse hinterhergerufen – und Schlimmeres: "Da waren noch viel, viel härtere Sprüche dabei", ergänzt Corbo.
Ein QR-Code ist auf den Bannern und Plakaten zu sehen. Wer ihn scannt, landet auf der Internetseite der Polizeidirektion Oldenburg. Die wiederum hat eine Social-Media-Kampagne mit kurzen Videos aufgelegt, die in Stuhr und Weyhe gedreht wurden. Zu sehen ist eine Frau, zu hören sind die Sprüche, die Frauen tagtäglich hinterhergerufen werden. "Das Problem ist, dass es häufig nicht gemeldet wird", erklärt Domenico Corbo. Vieles werde erst Stunden später beim Abendessen am Tisch thematisiert. Ziel der Kampagne ist es, das Bewusstsein für ein bestehendes Problem zu schaffen, damit sich Belästigte auch entschiedener zur Wehr setzen können: Tätern müsse unmissverständlich klar gemacht werden, dass ein solches Verhalten – sei es ein plumper Anmachspruch, ein Hinterherpfeifen oder eine entsprechende Geste – inakzeptabel ist.
Die Kampagne endet – wie auch die UN-Kampagne zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – am 13. Dezember, dann werden die Bauzaun-Banner wieder abgebaut. Die Plakate bleiben jedoch noch länger hängen, so Feldmann-Paske.