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Landgericht Verden Ein Jahr auf Bewährung

Der Prozess um den Lkw-Fahrer, der im November 2020 auf der B6 einen Unfall herbeigeführt hat, bei dem ein Berufskollege starb, ist beendet. Das Landgericht verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe.
07.10.2022, 16:45 Uhr
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Von Angelika Siepmann

Bruchhausen-Vilsen/Verden. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hatte sich nicht von seinem Kurs abbringen lassen, am Vorwurf des Totschlags festgehalten, fünfeinhalb Jahre Freiheitsentzug gefordert und zudem dafür plädiert, dem Angeklagten keine Fahrerlaubnis mehr zu erteilen. Der aber bekam seinen Führerschein nach nur knapp zwei Stunden zurück und wusste beim Empfang des Dokuments auch schon, dass der Staatsanwalt bei der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Verden gründlich auf Granit gebissen hatte. Das Urteil lautete auf fahrlässige Tötung, zu ahnden mit einem Jahr auf Bewährung.

Mit dieser Entscheidung ist der Mitte Mai begonnene, zwischendurch wegen eines Krankheitsfalls ausgesetzte Prozess gegen den 42-Jährigen aus Sulingen nun zu Ende gegangen. Dem Mann war, wie berichtet, zur Last gelegt worden, seinen Sattelschlepper am 10. November 2020 auf der Bundesstraße 6 bei Bruchhausen-Vilsen, Fahrtrichtung Nienburg, in Selbstmordabsicht vorsätzlich auf die linke Spur gesteuert zu haben. Der 63-jährige Fahrer eines entgegenkommenden Lkws aus den Niederlanden hatte nicht mehr ausweichen können, war durch die Wucht des Aufpralls im Führerhaus eingeklemmt worden und vermutlich auf der Stelle verstorben.

Unvermeidbare Kollision

Er hatte nach dem Ergebnis der Unfallrekonstruktion durch Verkehrssachverständige angesichts der drohenden Gefahr „frühzeitig reagiert“, die heftige Kollision aber „trotz sofort eingeleiteter Vollbremsung“ nicht vermeiden können. Der als Unfallverursacher geltende Ex-Mitarbeiter eines Sulinger Transportunternehmens, der sich damals nicht auf seiner vorgesehenen Route befand, hat laut Gutachten unmittelbar vor dem folgenschweren Frontalcrash, gegen 17.15 Uhr, noch Gas gegeben: Er beschleunigte sein „technisch einwandfreies“ Fahrzeug von den erlaubten 60 Kilometern pro Stunde auf 73. Gebremst hat er nicht. Die objektiven Feststellungen, so der Staatsanwalt, sprächen „in jeder Hinsicht gegen Fahrlässigkeit“. Zweifellos habe der Angeklagte den Tod des anderen Fahrers nicht absichtlich herbeiführen wollen. Es sei ihm jedoch gleichgültig gewesen, dass dieser zu Tode kommen könne, hieß es im Schlussvortrag unter anderem.

Die Kammer erkannte aber sehr wohl auf „nur“ fahrlässige Tötung. Sie entsprach damit der Sichtweise des Verdener Verteidigers und gab auch nicht gänzlich Überraschendes preis. Am vorletzten Verhandlungstag hatte sie bereits einen entsprechenden „rechtlichen Hinweis“ erteilt. Er war erfolgt, nachdem der Angeklagte sein Schweigen gebrochen und sich ausführlich geäußert hatte. Kernaussagen: Er habe keinerlei Erinnerung an den Tag des Geschehens und sich nicht das Leben nehmen wollen.

Im Zweifel für den Angeklagten

Besonders mit letzterer Behauptung setzte sich Vorsitzender Richter Volker Stronczyk in der mündlichen Urteilsbegründung auseinander – ohne zu einem völlig schlüssigen Ergebnis zu gelangen. Es spräche einiges dafür, etliches aber auch genauso gut dagegen, dass der Angeklagte „sich suizidieren wollte“, so Stronczyk. Er verwies dabei vor allem auf die umfangreiche Chatkommunikation und viele Telefonate, die der Mann seit dem Vormittag mit seiner Frau geführt hatte. Eheprobleme hätten schon längere Zeit zurückgelegen und seien offenbar ausgeräumt gewesen, Probleme „auf der Arbeit“ könnten bestanden haben.

Der Angeklagte habe sich zwar „mit Fragen des Todes beschäftigt“, aber „keinen Suizid angekündigt“. Ein Motiv für einen so weitreichenden Schritt habe man nicht feststellen können, sagte der Richter weiter. Letztlich sei man „nach dem alten Grundsatz 'In dubio pro reo'“ verfahren. Demnach habe der Mann also nicht mit Vorsatz, sondern fahrlässig gehandelt. Eine Freiheitsstrafe zu verhängen, halte man allerdings für „erforderlich und angemessen“. Der Angeklagte sei während der Fahrt mit seinen Gedanken nicht dort gewesen, „wo er hätte sein sollen“, hieß es. „Er war über Stunden nicht konzentriert bei der Sache.“

Einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, wie ebenfalls angeklagt, habe man aber nicht feststellen können. Erst in der Hauptverhandlung habe sich ergeben, dass die Voraussetzungen für ein endgültiges Entziehen der Fahrerlaubnis nicht vorlägen. Der Vorsitzende sprach in diesem Zusammenhang auch von „umfangreichen Nachermittlungen und neuen Erkenntnissen“. Die Staatsanwaltschaft Verden wird das Urteil dem Vernehmen nach nicht akzeptieren und Revision einlegen.     

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