Landkreis Diepholz/Verden. Um den folgenschweren Frontalzusammenstoß zweier Sattelschlepper, die tödliche Gewalttat an einer Frau, einen Messerangriff im Bahnhofstunnel, Diebstahlstaten eines Drogenabhängigen, den Wurf einer Handvoll Steine und manches mehr ging es im auslaufenden Jahr am Landgericht Verden. Ein Rückblick aus regionaler Perspektive.
Messerattacke im Bahnhofstunnel: Wegen einer Messerattacke auf einen vermeintlichen Nebenbuhler muss ein 33-jähriger Mann aus Weyhe für drei Jahre ins Gefängnis. Das Schwurgericht erkennt nicht auf Totschlag, wie angeklagt, sondern „nur“ auf gefährliche Körperverletzung, begangen im Dezember 2021 im Fußgänger- und Fahrradtunnel des Bahnhofs Kirchweyhe. Das Opfer hatte zwei „potenziell lebensgefährliche“ Verletzungen erlitten. Der weitgehend geständige Angeklagte war nach eigenem Bekunden sicher, dass der 25-Jährige eine Beziehung zu seiner Ehefrau unterhielt und sogar eine Vergewaltigung verübte, die eine Fehlgeburt auslöste. Die Kammer wies dies als „irrige Vorstellung“ zurück. Die Frau und der mutmaßliche Lover hätten zwar regen Chatverkehr geführt, seien sich aber nicht persönlich begegnet. Dass während des Tatgeschehens ein „bedingter Tötungsvorsatz“ bestand, sei nicht auszuschließen. Man gehe aber von einem freiwilligen, strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord aus.
Klassische Beschaffungskriminalität: Der Bremer brauchte mal wieder dringend Geld für Drogen, als er zweimal mit einem Leidensgenossen loszog, um auf illegale Weise gut zu verkaufende Gegenstände zu ergattern. Dumm gelaufen: Bei den Diebestouren in Brinkumer Einkaufsmärkten wurde das Duo von Detektiven erwischt. Für den vielfach vorbestraften 32-Jährigen war das Thema mit der Verurteilung durch das Amtsgericht Syke nicht vom Tisch. Die Staatsanwaltschaft störte sich nachhaltig daran, dass die sieben Monate Haft zur Bewährung ausgesetzt worden waren. Doch auch in der Berufungsverhandlung am Landgericht fruchten die Beteuerungen des Angeklagten, nun „mehr oder weniger drogenfrei“ zu leben und sich einer Therapie zu unterziehen. Beide Diebstahlstaten werden der „klassischen Beschaffungskriminalität“ zugeordnet. Es bleibt bei Bewährung.
Das Opfer gibt sich die Schuld: Eine ursprünglich wegen versuchten Mordes aus Heimtücke angeklagte Frau erhält wegen gefährlicher Körperverletzung eine zweijährige Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Die 41-Jährige hatte ihren angeblich zur endgültigen Trennung entschlossenen Ehemann Ende Februar in einer Holzhütte auf dem Campingplatz am Silbersee in Seckenhausen mit einem Küchenmesser angegriffen. Bei seiner denkwürdigen Vernehmung erklärte der 38-Jährige, er habe “schon Schlimmeres erlebt“, und er selbst trage die Schuld daran, dass es so weit gekommen sei. Die zur Tatzeit stark alkoholisierte Angeklagte habe zwar „objektiv gefährlich“, aber nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt, heißt es in der Urteilsbegründung. Sie habe sich im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit befunden und leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, seit sie vor 17 Jahren „Opfer eines schweren Verbrechens“ wurde.
Zweifel an vorsätzlichem Lastwagen-Crash: Fast zwei Jahre nach dem folgenschweren Frontalzusammenstoß zweier Sattelzüge auf der Bundesstraße 6 bei Bruchhausen-Vilsen wird ein 42-Jähriger aus Sulingen wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Aus Sicht des Schwurgerichts ließ sich nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen, dass der Mann die Kollision auf gerader Strecke im November 2020 in Suizidabsicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Ein niederländischer Berufskollege (63) war im Führerhaus seines Lastwagens eingeklemmt worden und am Unfallort verstorben. Im Prozess hat sich der Angeklagte auf eine komplette Erinnerungslücke berufen und ein Selbstmordvorhaben bestritten. Das Gericht geht aufgrund zahlreicher Nachrichten und Telefonate davon aus, dass er „über Stunden nicht konzentriert“ fuhr. Seinen Führerschein bekommt er noch im Gerichtssaal zurück. Die Staatsanwaltschaft hatte am Tatvorwurf des Totschlags festgehalten und fünfeinhalb Jahre gefordert.
Eine steinige Angelegenheit: Milde Richter findet vor allem im zweiten Prozess auch der Verdener, der im Juni 2020 auf die unselige Idee verfallen war, eine Handvoll Schottersteine von der Brücke über die B 51 in Bassum zu werfen. Der über reichlich Gefängniserfahrung verfügende 44-Jährige logierte zwecks Alkoholentzugs in einer nahe gelegenen Klinik und wollte angeblich nur Frust ablassen. Seine Wurfladung war auf dem Dach eines Autos gelandet, das ein Bassumer steuerte, neben sich seine hochschwangere Schwester. Beide kamen mit dem Schrecken davon. Die 14 Steine, Gesamtgewicht 470 Gramm, waren laut Sachverständigengutachten nicht geeignet, die Windschutzscheibe zu durchschlagen. Das Gericht glaubt dem unter Betreuung stehenden gelernten Bäcker, dass er nicht beabsichtigte, „einen Unglücksfall herbeizuführen“. Das erste Urteil hatte der Bundesgerichtshof kassiert. Eine andere Landgericht-Kammer erkennt nun auf versuchten – und nicht vorsätzlichen – gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung und verhängt 22 Monate auf Bewährung.
Tötungsdelikt im Badezimmer: Mit fünf Messerstichen, von denen einer die Halsschlagader durchtrennte, hat ein 49-Jähriger am 30. März in Leeste seine Ehefrau (43) getötet. Er wird wegen Totschlags zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Tat an der Frau, die längst von ihm getrennt wohnte, soll er im Zustand verminderter Schuldfähigkeit und im Affekt verübt haben. Eine Tochter hatte sich im Nebenraum befunden und plötzlich Schreie der Mutter aus dem Badezimmer gehört. Der Mann verhinderte laut der 22-jährigen Nebenklägerin Hilfeleistungen und sagte: „Ich hab es gut gemacht. Lass sie sterben“. Eheprobleme gab es schon im 2018 verlassenen Heimatland Iran. Der psychisch beeinträchtigte Angeklagte trat wie ein Stalker auf und soll auch Todesdrohungen geäußert haben. Das Amtsgericht Syke hatte eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erlassen, gegen die er verstieß.
Schmerzensgeld für Überfallopfer: Im Prozess um den Raubüberfall auf eine Spielothek im September 2020 in Twistringen haben die beiden Angeklagten, die einer Clan-Familie im Westfälischen angehören sollen, ihre Tatbeiträge weitgehend eingeräumt. Sie entschuldigten sich auch bei der Angestellten, die von dem 32-Jährigen unter Vorhalt eines Messers gefesselt und in einem Sanitärraum eingesperrt worden war. Beide zahlten der Frau zudem am Rande der Verhandlung je 5000 Euro Schmerzensgeld. Ob sich dies im Falle eines Schuldspruchs strafmildernd auswirkt, bleibt abzuwarten. Mit dem Urteil wird für Mitte Januar gerechnet.