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Interview vor der Bib in Syke Urs Meier: "Entscheidungen schaffen immer Klarheit"

Der ehemalige Fußball-Schiedsrichter Urs Meier kommt zur Eröffnung der Berufsinformationsbörse in Syke. Im Interview mit dem WESER-KURIER spricht er über seinen Berufsweg, Entscheidungen und aktuelle Themen.
13.02.2024, 05:00 Uhr
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Urs Meier:
Von Eike Wienbarg

Herr Meier, als Schiedsrichter waren Sie auf der ganzen Welt unterwegs und mussten viele knifflige Entscheidungen treffen. Wie viel Mut gehört zu dieser Tätigkeit?

Urs Meier: Ich weiß nicht, ob es Mut braucht. Ich habe es nicht als Mut empfunden. Es gehört dazu, dass man die Entscheidungen, die man sieht, auch durchsetzt, dass man überzeugt ist von dem, was man macht. Ich brauchte nicht einen speziellen Mut dafür.

In der letzten Zeit sind die Anfeindungen gegen Schiedsrichter und sogar tätliche Angriffe gerade auch in den in unteren Spielklassen sowohl in der Quantität als auch in der Qualität mehr geworden. Können Sie dem Nachwuchs noch ruhigen Gewissens die Aufgabe als Schiedsrichter empfehlen?

Uneingeschränkt ja. Ich kann ihnen das sicher empfehlen, weil es eine unglaublich tolle Lebensschule ist. Die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft hört nicht außerhalb des Fußballs auf. Das ist etwas, das man angehen muss. Das ist ein Teil unserer Gesellschaft. Da gehört es auch dazu, dass es Menschen gibt, die Entscheidungen treffen, die Regeln anwenden und diese auch durchsetzen. Das ist nicht nur auf dem Fußballfeld so, sondern auch in der Politik und der Gesellschaft. Die Schiedsrichterei ist einfach ein fantastisches Hobby, das ich den jungen Menschen nur empfehlen kann.

Was hat für Sie persönlich den Schiedsrichter-Beruf im Kern ausgemacht?

Durch das Amt wurden die Persönlichkeitswerte besser: eine bessere Ausstrahlung, der Umgang mit Menschen, die bessere Einschätzung von Menschen, auf seinem Weg zu bleiben, dranzubleiben, fair zu bleiben. Das sind viele Eigenschaften, die man als Schiedsrichter lernt, wenn man sie nicht schon hat.

Was müsste sich Ihrer Ansicht nach ändern, damit der gegenseitige Respekt – nicht nur auf dem Fußballplatz – wieder ein bisschen größer wird?

Man muss wieder versuchen, aufeinander zuzugehen, anderen zuzuhören, andere Meinungen zuzulassen und das Fair-Play zu leben. Fair-Play heißt, das Denken vom anderen her: Schade ich mit meinem Handeln und Tun meinem Gegenüber? Wenn diese Frage mit einem Ja beantwortet wird, dann habe ich mich nicht fair oder korrekt verhalten und dann muss ich auch mal bei mir den Ansatzpunkt suchen: Warum ist das so und warum habe ich nicht den nötigen Respekt anderen gegenüber. Wir müssen miteinander besser kommunizieren. In der heutigen Gesellschaft hört man nicht mehr zu.

Sollten Männer bei den Frauen und Frauen bei den Männern pfeifen dürfen?

Schlussendlich geht es um Leistung und nicht um Mann und Frau. Während der Weltmeisterschaft 2022 (der Männer, Anm. d. Red.) habe ich mich bei den Schiedsrichterinnen kritisch geäußert. Am Ende haben sie dann ein Spiel geleitet, Deutschland gegen Costa Rica. Das Problem ist, diese Schiedsrichterin (Stéphanie Frappart, Anm. d. Red.) ist in Frankreich die Nummer fünf oder sechs, in Europa ist sie nicht unter den besten 30. Trotzdem wurde sie eingesetzt. Das finde ich nicht in Ordnung. Wenn die Leistungen da sind, sollten sie unbedingt eingesetzt werden. In der Bundesliga gab es Bibiana Steinhaus-Webb, in der Schweiz hatten wir Nicole Petignat. Die haben ihre Leistung gebracht und die haben es auch verdient. Dass Stéphanie Frappart in Frankreich in der Ligue 1 pfeift, ist in Ordnung. Wenn sie unter den besten 15 in Europa wäre, müsste man sie auf jeden Fall für eine Weltmeisterschaft nominieren. Aber nur, um es unbedingt durchzusetzen, finde ich es nicht in Ordnung.

Wie stehen Sie zum Videobeweis?

Zwiespältig. Der Videobeweis kann uns helfen, wenn es um Schwarz-Weiß-Entscheidungen geht. Zum Beispiel, ob Tor oder kein Tor, ob Abseits oder nicht. Das Problem ist: Wir haben zu viele Entscheidungen im Graubereich und da hat der Videoassistent oft nicht die richtigen Möglichkeiten. Es gibt wichtige Komponenten für eine gute Entscheidung: zum einen, die Absicht zu erkennen. In den Fernsehbildern kann man in der Regel nicht die Absicht erkennen. Dann stimmt die Geschwindigkeit nicht. Trotzdem muss der arme Kerl in Köln Entscheidungen mit diesen Bildern treffen. Das ist nicht gut. Der Schiedsrichter auf dem Feld spürt das besser: Er hat die Atmosphäre, er sieht die Absicht, er sieht die Geschwindigkeit, er kann im Prinzip die besseren Entscheidungen treffen. Wir haben heute viele Entscheidungen, die getroffen werden, damit man sie besser verkaufen kann. Die Wahrheit liegt nicht im TV-Bild, die Wahrheit liegt auf dem Platz. Da sollten wir wieder mehr Schiedsrichter haben, die Spiele leiten und führen und sich nicht auf den Videoassistenten verlassen.

Verfolgen Sie den deutschen Fußball?

Natürlich, ich bin damit aufgewachsen.

Was halten Sie vom möglichen Einstieg eines Investors in die Bundesliga?

Das ist eine riesige Diskussion. Die deutsche Bundesliga ist für mich mindestens die zweitbeste Liga der Welt. Die machen eigentlich sehr, sehr viel gut. Die Frage ist aber: Kann die Bundesliga ohne den Einstieg den internationalen Spitzenplatz behalten oder nicht? In den vergangenen Jahren haben sie eigentlich bewiesen, dass sie es können. Die Bundesliga ist attraktiv. Ich bin daher zwiegespalten. Ob das Geld von ausländischen Investoren eine Qualitätsverbesserung bringt, weiß ich nicht. Ich bin eher ein Fußballnostalgiker. Ich verstehe die Fans, dass sie das nicht wollen.

Apropos Fußballnostalgiker: Was schauen Sie lieber, Amateurfußball oder die Weltmeisterschaft?

Ich bin angefixt vom Spitzenfußball. Daher ist es schon die Weltmeisterschaft. Ich war bei so vielen Weltmeisterschaften als Fan, als Kommentator oder als Schiedsrichter.

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Was halten Sie davon, dass Wettbewerbe an finanzstarke, aber oft auch autokratisch regierte Länder vergeben werden?

Da habe ich Mühe. Ich war früher Fan und da kann ich mir nicht vorstellen, dass ich das Schweizer Pokalfinale in Saudi-Arabien schauen möchte. Da bin ich auch wieder Fußballnostalgiker. Ich habe schon Mühe damit gehabt, dass der spanische Supercup in Saudi-Arabien ausgetragen wurde. Der Fußball ist auch für die Fans. Die leben in diesem Fall in Spanien. Warum sollen sie nach Saudi-Arabien reisen, um ihre Mannschaften zu sehen? Nur, damit es etwas mehr Geld gibt? Nein, da halte ich nicht viel von.

Wer wird in diesem Jahr Deutscher Meister?

Ich bin total begeistert von der Spielweise von Bayer Leverkusen. Ich denke, dass sie ihren Namen als Vize-Kusen endlich loswerden sollten. Ich hoffe, dass es ein spannendes Finale bis zum Schluss gibt. Und wenn Bayer Leverkusen da steht, wo sie momentan stehen, wäre mir das schon recht.

Können Sie sich an ein Spiel im Bremer Weserstadion oder vom SV Werder Bremen erinnern, das Sie gepfiffen haben?

Im Weserstadion habe ich das erste Länderspiel von Michael Ballack gepfiffen. Das war ein Freundschaftsländerspiel zwischen Deutschland und Schottland. Deutschland hat mit 0:1 verloren. Da hatten wir eine lustige Feier mit den schottischen Fans zusammen. Das ging sehr, sehr lange an dem Abend. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt ins Bett gekommen bin. Das war genial. Das Licht war ausgefallen und das ganze Stadion hat gesungen und geschunkelt. Ich habe mit Michael Ballack vor Kurzem erst darüber gesprochen. Er erinnerte sich an die tolle Stimmung. Und genauso war es. Das ist eine wirklich schöne Erinnerung.

Werder feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen. Was glauben Sie, wo Werder in dieser Saison landet?

Wenn es so weiter geht, kann es sein, dass es noch einen europäischen Platz geben könnte. Man darf ja weiter träumen. Sie haben momentan einen guten Lauf. Ich hoffe, dass es so weiter geht, weil Bremen eine dieser Traditionsmannschaften ist, die ich in meiner aktiven Spielzeit geschaut habe. Das ist eine tolle Mannschaft.

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Als Schiedsrichter mussten Sie oft in Sekunden wichtige Entscheidungen treffen. Ist das auch ein guter Rat für das "echte" Leben?

Es gibt verschiedene Entscheidungen. Bei manchen kann man noch mal eine Nacht darüber schlafen. Das sollte man auch tun. Wichtig ist es aber generell, dass man Entscheidungen trifft. Für sich selbst oder als Führungsperson. Entscheidungen schaffen immer Klarheit. Und das ist wichtig, damit man nicht blockiert ist, sondern dass es weiter geht. Das ist in allen Lebenslagen so – egal, ob jung oder alt. Jeder ist davon betroffen. Das möchte ich auch aufzeigen. Bauchentscheidungen sind auch wichtig, dem sollte man mehr vertrauen.

Wenn Sie keine Karriere als Schiedsrichter gemacht hätten: Wie wäre dann ihr beruflicher Lebensweg verlaufen?

Ich habe einen anderen Berufsweg eingeschlagen. Ich war Kaufmann und habe ein eigenes Geschäft im Küchen- und Haushaltsgerätebereich mit 25 Mitarbeitern aufgebaut. Da war ich eigentlich sehr erfolgreich unterwegs. Das musste ich auch als finanzielle Sicherheit haben. Als Schiedsrichter haben wir in meiner Zeit nicht so viel verdient. Ich war kein Profi-Schiedsrichter. Kaufmann und Unternehmer wäre dann mein Weg gewesen.

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Was sollten junge Menschen für ihren Karriereweg beherzigen?

Sie müssen auf ihr Herz hören. Was ist ihre Leidenschaft? Wo möchten sie hin? Wir sprechen sehr viel von Work-Life-Balance. Im Prinzip ist das schon falsch. Wenn ich erst eine Balance herstellen muss, dann ist irgendetwas nicht in Ordnung. Wenn die Arbeit einen nicht belastet, es ein Dürfen und nicht ein Müssen ist, dann hat man den richtigen Beruf gewählt. Das kann alles Mögliche sein. Man sollte nicht so sehr auf monetäre Dinge schauen, sondern auf das, was man gerne macht.

Sie sind aktuell als Experte im Fernsehen unterwegs und sind auch unter die Podcaster gegangen. Gibt es für Sie derzeit noch andere Projekte?

Ich arbeite mit Andreas Buck, einem ehemaligen Fußballprofi vom 1. FC Kaiserslautern und vom VfB Stuttgart, in Berufsgenossenschaftsfällen für Sportler zusammen. Da sind wir die Nummer zwei in Deutschland. Mit den Zverev-Brüdern (die deutschen Tennis-Profis Alexander und Mischa Zverev, Anm. d. Red.) bin ich an einer Firma beteiligt. Da geht es um Neuroathletik mit einer VR-Brille und die Programme. Ich beschäftige mich auch mit dem Thema Wasserstoff.

Welche Botschaft möchten Sie bei Ihrem Vortrag in Syke vermitteln?

Ich möchte den Menschen berichten, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Dass es Persönlichkeitswerte braucht, dass es Entscheidungen braucht, dass das Arbeiten im Team Spaß macht. Es wird ein bunter Blumenstrauß sein. Der Fußball ist eigentlich nur das Transportmittel. Es geht mir um die Menschen.

Das Interview führte Eike Wienbarg.

Zur Person

Urs Meier

ist 1959 geboren. Der Schweizer begann seine Schiedsrichter-Laufbahn 1977 nachdem er erkannte, dass sein "fußballerisches Talent für eine große Karriere als Spieler nicht ausreicht", wie er selbst sagt. Er leitete Spiele bei Welt- und Europameisterschaften oder in der Champions League und im UEFA-Cup. 2002 wurde er zum zweitbesten Schiedsrichter der Welt ernannt. Nach mehr als 883 Spielen beendete er 2004 seine Laufbahn. Während seiner sportlichen Karriere führte Meier ein eigenes Unternehmen im Bereich Küchen und Haushaltsgeräte mit 25 Mitarbeitern. Im Jahr 2010 verkaufte er sein Geschäft. Heute ist er Referent, TV-Experte und Autor. Meier ist verheiratet und hat drei Kinder.

Zur Sache

Eröffnung der Bib

Urs Meier spricht am Mittwoch, 14. Februar, ab 18 Uhr bei der Eröffnung der Berufsinformationsbörse (Bib) der Berufsbildenden Schulen (BBS) Syke im Syker Theater. Den musikalischen Part der Veranstaltungen für geladene Gäste übernimmt die Voice-Of-Germany-Teilnehmerin Naomi Mbiyeya aus Twistringen. Die Bib selbst findet dann vom 15. bis 17. Februar statt. Dazu werden rund 3500 Schülerinnen und Schüler erwartet.

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