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Zu Gast beim Syker Bürgermahl "Einzelner hat durchaus Einfluss" – Wie Nick Lin-Hi Zukunft erforscht

Beim Syker Bürgermahl wird Zukunftsforscher Nick Lin-Hi von der Universität Vechta über Zukünfte sprechen. Im Interview mit dem WESER-KURIER schildert er die Bedeutung des vorausschauenden Denkens.
05.11.2024, 17:00 Uhr
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Von Sarah Essing

Herr Lin-Hi, kann man die Zukunft wirklich vorhersagen?

Nick Lin-Hi: Niemand kann wissen, wie unsere Welt übermorgen aussehen wird. Die Zukunft ist grundlegend offen und es sind verschiedene Szenarien denkbar. Deswegen spreche ich auch lieber von Zukünften als von Zukunft. Unabhängig davon lehnt man sich aber nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass die Welt in 20 Jahren sehr anders aussehen wird. Wir erleben gerade eine nie da gewesene technologische Beschleunigung, die Wirtschaft und Gesellschaft über kurz oder lang auf den Kopf stellen wird.

Wie kommt man darauf, sich der Erforschung der Zukunft zu widmen?

Ich beschäftige mich vor allem mit sogenannten Sprunginnovationen. Das sind bahnbrechende Innovationen, die neue Dinge schaffen beziehungsweise ermöglichen. Ich nehme in meiner sozialökonomisch ausgerichteten Forschung wahr, dass Sprunginnovationen Menschen immer wieder Angst machen, woraus wiederum Abwehrhaltungen resultieren. Das war der Grund, warum ich an der Universität Vechta angefangen habe, mich mit neuen Technologien und potenziellen Zukünften zu beschäftigen.

Für Unternehmen ist vorausschauendes Denken wichtig, da dies entscheidend ist, um langfristig erfolgreich sein zu können.
Nick Lin-Hi

Wieso ist vorausschauendes Denken wichtig?

Es gibt das Konzept der Performativität. Dies bedeutet, dass wir nicht einfach nur über Zukunft nachdenken, sondern diese regelmäßig mit unseren Gedanken mitprägen. Indem wir uns bestimmte Szenarien oder Entwicklungen vorstellen, über diese reden und uns eine Meinung dazu bilden, tragen wir zu deren Eintritt bei – oder wir verhindern sie. Für Unternehmen ist vorausschauendes Denken wichtig, da dies entscheidend ist, um langfristig erfolgreich sein zu können.

Wie funktioniert diese Art des Vorhersagens?

Für mich geht es weniger darum, die Zukunft exakt vorauszusagen, sondern eher darum, verschiedene Szenarien und Trends als mögliche Puzzleteile zusammenzufügen. Manche dieser Puzzleteile erscheinen dabei wahrscheinlicher als andere, basierend auf den Entwicklungen in Technologie, Märkten und Gesellschaft. Indem ich diese Teile zu einem Bild zusammensetze, kann ich besser verstehen, welche neuen Entwicklungen uns morgen begegnen könnten.

Was sind denn die wichtigsten Themen unserer Zukunft?

Das ganz große Thema ist sicherlich Nachhaltigkeit. Wir müssen als Menschheit sicherstellen, dass unsere Kinder und Enkelkinder eine Zukunft auf dieser Erde haben. Als Gesellschaft stehen wir hier vor einer Mammutaufgabe. Das Gute ist: Technologie kann uns unterstützen. Wir bekommen gerade eine Ahnung davon, welches Potenzial Künstliche Intelligenz für die Gesellschaft hat. Ähnliches gilt für die Biotechnologie. Zu meinen Lieblingsthemen gehört kultiviertes Fleisch, welches nicht mehr durch Tiere erzeugt wird, sondern aus tierischen Zellen wächst. Diese Innovation hat das Potenzial, nicht nur einen substanziellen Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels zu leisten, sondern zahlt auch auf die globale Ernährungssicherheit ein.

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Wie viel Einfluss hat denn jeder Einzelne überhaupt auf diese Entwicklungen? Gerade bei digitalen Techniken, wie zum Beispiel KI, fühlen viele sich ja eher überrollt und mitgerissen.

Der Einzelne hat durchaus Einfluss, auch wenn es sich momentan vielleicht so anfühlt, als würden wir von Technologien überrollt. Unser Verhalten und unsere Entscheidungen als Konsumenten, Nutzer oder Wähler prägen die Art und Weise, wie Technologien gestaltet werden. Wenn wir uns informieren, kritisch hinterfragen und klare Erwartungen formulieren, können wir auch Unternehmen und Politik in die Pflicht nehmen, einen positiven Rahmen für neue Technologien zu schaffen. Wir sollten dahin kommen, dass wir Technologie und ihre Implementierung proaktiv angehen und uns nicht erst dann damit beschäftigen, wenn sie plötzlich da ist.

Klimawandel, Kriege, Krisen – viele Menschen haben Angst vor dem, was die Zukunft noch bringen könnte. Ist diese berechtigt?

Die Ängste sind sicherlich nicht unbegründet und wir stehen vor erheblichen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Gleichzeitig sollten wir uns bewusst machen, dass wir auch Handlungsspielraum haben und durch Innovationen, politische Entscheidungen und gesellschaftliches Engagement positive Veränderungen bewirken können. Wir als Menschen haben es in der Hand, unsere Zukunft positiv zu gestalten. Ich denke, es ist sinnvoll, hierfür auch beim Denken neue Wege zu gehen und uns auf die positiven und faszinierenden Möglichkeiten einzulassen, die Sprunginnovationen mit sich bringen können. Ich für mich kann sagen: Ich freue mich auf die Zukunft!

Das Interview führte Sarah Essing.

Zur Person

Professor Dr. Nick Lin-Hi promovierte 2008 an der HHL Leipzig Graduate School of Management und war von 2009 bis 2015 Juniorprofessor für Corporate Social Responsibility (CSR) an der Universität Mannheim. Seit 2015 hat er die Professur für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta inne. Der Betriebswirt, Unternehmensethiker und Strategieforscher erforscht insbesondere die Schnittstellen zwischen Management, Verhaltenspsychologie, Innovationen und Nachhaltigkeit. Beim Syker Bürgermahl wird er zum Thema "Moin Zukünfte – Willkommen im Jahr 2050!" sprechen.

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