Angekündigt war ein kostenfreier Auftritt in der Syker Wolfsschlucht. Dort fanden sich gut 50 Besucher ein. Kinder krabbelten aufgeregt an den Hängen auf und nieder, Erwachsene trotzten Mückenstichen und machten es sich auf Decken bequem. Zu sehen war jedoch nur ein Anhänger und eine leere Waldbühne – und das sollte auch so bleiben. Wegen starker Böen und grauer Regenwolken wurde die Aufführung in die Stadtbibliothek verlegt. Was fehlte, war ein klarer Hinweis seitens der Veranstalter.
Dass die Bibliothek als Ausweichort diente, war zwar auf der Website der Stadt Syke vermerkt. Doch da das Wetter trocken und warm war, rechneten die Besucher nicht mit einer Verlegung. Einen deutlichen Hinweis im Internet oder ein Schild an der Wolfsschlucht suchte man vergeblich. „Ach, das lohnt sich jetzt nicht mehr, wir gehen lieber ein Eis essen“, meinte eine Besucherin resigniert, als sie die Wolfsschlucht verließ. Andere eilten mit dem Fahrrad oder Auto in die Bücherei, um das Puppenspiel zumindest noch mit etwas Verspätung zu erleben. Dort waren bereits einige Plätze von Zuschauern besetzt, die den Ausweichort rechtzeitig gefunden hatten.
Rotzprinzessin und Schlabberfrosch
Als die Nachzügler eintrafen, wurden sie schon von lautem Kindergelächter empfangen: Die rotzfreche Prinzessin hatte ihren Auftritt. Sie prahlte mit ihrem goldenen Ball, den sie bis zum Mond werfen wolle – der jedoch prompt im Brunnen landete.
Man spürte schnell: Puppenspieler Mathias Kuchta versteht sein Handwerk. Mit viel Spielfreude und gut getimten Pointen brachte er das altbekannte Märchen auf die Bühne. Dabei verschwand er förmlich hinter seinen markanten Figuren. Die Kinder fieberten mit, sprangen auf, eilten der Prinzessin zu Hilfe, diskutierten mit dem Königshaus, zählten die Zähne der Königin (drei mit Löchern, weil sie nur Süßes isst) oder übernahmen die Geräuschkulisse. Die Puppen agierten auf Augenhöhe mit ihnen und wurden lebendig. Besonders viele Lacher erntete die Prinzessin, als sie den Frosch eine „alte Fretsche“ nannte, mit den Füßen strampelte und nörgelte, weil sie ihr Versprechen nicht einhalten wollte – und den aufdringlichen Frosch kurzerhand an die Wand klatschte.
Ebenso beliebt: der riesige, giftgrüne Frosch, der die Prinzessin von ihrem Versprechen abbrachte, ihr Gefährte zu sein – wenn er ihr den Ball zurückbringt. Er wollte mit ihr auf dem Stuhl sitzen, ihre Süßigkeiten naschen, in ihrem Bett schlafen – und am Ende sogar ein Küsschen. Er fragte das Publikum: „Wie gibt man denn überhaupt ein Küsschen?“ Ein mutiger Junge trat vor und gab der Puppe einen Schmatz. Prompt versuchte der Frosch, seine lange, bewegliche Schlabberzunge an den Zuschauern zu erproben – was für viel Gekicher und lautes Gelächter sorgte.
Mitmachtheater voller Emotionen
Das Kindergelächter hielt an. Im Theater von Mathias Kuchta waren die Kinder die eigentlichen Stars. Immer wieder holte er sie auf die Bühne – etwa die vierjährige Tilda, die der Königin das Dilemma der Prinzessin erklärte, als diese dem Frosch die Tür nicht öffnen wollte. Oder einen Jungen, der testet, ob die Bettdecke der Prinzessin auch lang genug war. Kuchta ging auf die Kommentare der Kinder ein, ließ sie teilhaben, gab ihnen Raum – ein Theater zum Mitmachen und Mitfühlen. Das schuf eine starke emotionale Verbindung.
Natürlich war das Märchen selbst ein wenig angestaubt. Begriffe wie „Gefährte“ oder Szenen mit klischeehaften Eltern – der Vater liest Zeitung, die Mutter bittet: „Gib dem Tantchen mal einen Schmatzer!“ – erinnerten an frühere Zeiten. Kein Wunder: Das Stück wird bereits seit circa 1992 gespielt. Viele der knubbeligen Stoffpuppen sind ebenso alt. Einige wurden von Mathias Kuchta selbst gefertigt, andere stammen von Puppenbauerin Mechtild Nienaber. Nur der Frosch existiert in zweiter Auflage. Das Original kam auf einer Rückreise von Shanghai abhanden.
Applaus, Fotos und ein Sprung ins Wasser
„Das Stück habe ich schon in vielen Ländern gespielt“, erzählte Kuchta nach der Vorstellung, als er Fragen aus dem Publikum beantwortete. „Von Italien bis China – meine Figuren sind viel gereist.“ Zum Abschluss wollten einige Kinder noch ein Foto mit den berühmten, weit gereisten Hauptdarstellern. Sie posierten stolz mit dem Königshaus und beäugten die Requisiten – echte Lollis und Bonbons. Die Stimmung war super.
„Den Schlabberfrosch fand ich am witzigsten! Der war toll!“, strahlte ein junger Theaterbesucher. „Ich möchte nochmal ins Theater!“ Kuchta hat es mit seinem Lille-Kartofler-Theater wieder geschafft, Jung und Alt zu begeistern. Und als die Kinder die etwas stickige Bibliothek verließen, sprangen einige von ihnen direkt in den Syker Stadtbrunnen, um bei gar nicht so schlechtem Wetter die Szene mit dem Frosch und dem Ball im Wasser nachzuspielen.