Auf der Internetseite von Christian Dürr sind die Stationen seines politischen Werdegangs sehr übersichtlich aufgelistet – vom Eintritt bei den Jungen Liberalen 1995 (und ein Jahr später in die FDP) über die Karriere auf Landesebene bis hin zur Wahl als stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion 2017. Seit gestern kann er den zwölf Punkten einen weiteren hinzufügen: Die Bundestagsfraktion wählte den 44-jährigen Ganderkeseer am Nachmittag zum neuen Fraktionsvorsitzenden und damit zum Nachfolger Christian Lindners, der bekanntlich Finanzminister wird.
„Ich freue mich sehr, dass die FDP-Fraktion mir ihr Vertrauen geschenkt und mich zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt hat“, sagte Dürr nach seiner Wahl. Die FDP-Fraktion hatte ihm zuvor 94,44 Prozent der abgegebenen Stimmen gegeben. „In der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass der Bundestag eine ganz besondere Rolle in unserer Demokratie spielt. Daher erfüllt es mich mit Freude und Demut, dass ich als Fraktionsvorsitzender von nun an mehr Verantwortung übernehmen darf.“ Dürr sagte, er wolle die Regierungsarbeit mit sinnvollen Vorschlägen unterstützen: „Wir waren Service-Opposition, indem wir der Großen Koalition Vorschläge gemacht haben, und das werden wir jetzt auch als Regierungsfraktion tun. Mein Ziel ist, dass wir als Fraktion Hand in Hand mit der Bundesregierung zusammenarbeiten und uns für liberale Inhalte einsetzen.“ Dürr war zuvor von Parteichef Christian Lindner der Fraktion vorgeschlagen worden. „Mein Freund und Kollege hat sich in der vergangenen Wahlperiode große Anerkennung als Fachpolitiker und als Teamspieler erworben“, sagte Lindner.
Anstrengende Wochen
Die Wochen nach der Bundestagswahl seien auch für Christian Dürr sehr anstrengend gewesen, berichtet Marion Vosteen, Leiterin des Wahlkreisbüros und Vorsitzende des FDP-Ortsverbandes Ganderkesee. Als Leiter des Arbeitskreises Finanzen habe er den Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung in der ersten Reihe mitgestaltet. Die Gespräche seien zwar sehr langwierig gewesen, aber von einer positiven Arbeitsatmosphäre bestimmt. Es habe ein guter Umgangston untereinander geherrscht, und insbesondere sei zu loben, dass alle Beteiligten über die gefassten Beschlüsse zunächst Stillschweigen gewahrt hätten, berichtet Vosteen. „Aber es gab etliche lange Nächte, bei denen die Beteiligten nicht mehr als zwei oder drei Stunden Schlaf bekommen haben“, weiß sie.
Mit ihren beiden Ämtern schlagen zurzeit zwei Herzen in Marion Vosteens Brust. „In den vergangenen Wochen gab es aus dem Ortsverband mehrere Versuche, mich aufs Glatteis zu führen, was Christian wohl werden könnte. Aber ich habe dichtgehalten“, verrät sie. So sei die Nominierung am vergangenen Donnerstag für den Ortsverband offiziell jedenfalls eher überraschend gewesen.
„Wir freuen uns gewaltig“, kommentiert Vater Udo Dürr und bekennt, „schon ein bisschen stolz“ auf seinen (einzigen) Sohn zu sein. „In seiner Kindheit und Jugend hätte ich eine solche Entwicklung nicht für möglich gehalten, aber in seinem Austauschjahr in den USA ist er erwachsen geworden. Da habe ich schon eine große Veränderung wahrgenommen“, erzählt der 80-Jährige. Und weil die Jungen Liberalen so wenige gewesen seien, sei Christian schnell an Ämter gekommen. „Und spätestens mit der Landtagskandidatur wurde das mit der politischen Karriere dann ja auch ernst“, erinnert sich Udo Dürr.
Auch in der ersten Wahlperiode hat der Vater die Reden seines Sohnes im Bundesparlament immer ganz genau verfolgt. „Das war ja auch schon bedeutsam, obwohl ich ganz froh war, dass er noch nicht ganz so im Rampenlicht stand“, meint Udo Dürr. Trotz der hohen Arbeitsbelastung des Sohnes stehen die beiden in ständigem Kontakt, auch wenn ausführliche Gespräche selten geworden seien. „Ich hole ihn dann vom Bahnhof ab, und wenn wir reden wollen, klingelt oft schon wieder das Handy“, berichtet Udo Dürr.
Und die Entwicklung sei nicht möglich gewesen, wenn nicht auch die Familie voll dahinter stehen würde. „Christian hat eine tolle Frau, die das alles mitträgt, und wenn es darum geht, die Kinder zum Fußball oder zum Tennis zu fahren, dann stehen auch die Großeltern parat“, erklärt Udo Dürr. „Alle gemeinsam kriegen wir das gut in den Griff.“
„Ich bin total stolz und freu‘ mich für ihn, weil er seine Leidenschaft gefunden hat“, sagt Freund, Trauzeuge und langjähriger Weggefährte Norman Ranke. Er war es, der Christian Dürr 1996 einst zur Kandidatur für den Ganderkeseer Gemeinderat überredet hat. Während Ranke als 18-Jähriger und damals jüngster FDP-Ratsherr bundesweit in den Rat einzog, klappte es bei Dürr zunächst nicht. „Mitte der 1990er-Jahre haben wir im Gymnasium Ganderkesee schon gemeinsam im Politik-Leistungskurs gesessen“, erinnert sich Ranke, der lange im Wirtschaftsministerium in Hannover gearbeitet hat und seit zwei Monaten Referatsleiter beim Landesrechnungshof in Hildesheim ist. Von 1998 bis 2004 hatten die beiden dann noch eine gemeinsame Studenten-WG in Hannover.
Die Sache mit dem Rampenlicht wird sich mit dem neuen Amt vermutlich schlagartig ändern, denn auch in Talkshows und anderen politischen Formaten dürfte das Gesicht von Christian Dürr künftig deutlich häufiger auftauchen. Was nicht nur für seine Büros in Berlin und Ganderkesee einen erheblichen Mehraufwand bedeutet. „Wir wissen noch gar nicht so genau, was da jetzt alles auf uns zukommt“, erklärt Marion Vosteen. Norman Ranke sieht seinen Freund für diese Aufgaben auf jeden Fall gewappnet. „Christian Lindner vertraut ihm voll und ganz“, ist er sich sicher. „Und Christian Dürr verkörpert die FDP pur. Insofern ist das die richtige Rolle für ihn.“