Man könnte ja denken, dass in einer Gemeinde, die den Ganter zu ihrem Wappentier erkoren hat, Angehörige dieser Spezies schon einmal per se ein zumindest emotionaler Schutzstatus zukommt. Und wenn schon kein Schutzstatus, dann zumindest eine wohlwollende Akzeptanz. Am Kamerner See in Rethorn scheint davon jedoch wenig zu spüren zu sein. Anwohnerin Bianca Grobbin jedenfalls berichtet von Jagdszenen und Uferzäunen, mit denen die Menschen den Gänsen das Leben schwer machen würden.
Konkret geht es um am Kamerner See beheimatete Kanadagänse, die bei einigen Anwohnern auch deshalb nicht wohlgelitten sind, weil sie ihre Notdurft mitunter auf den deren Grundstücken verrichten. Grobbin berichtet, sie habe einen Nachbarn etwa dabei beobachtet, wie er mit einer Steinschleuder auf Gänse gezielt habe. Des Weiteren sei vor Kurzem ein bereits flugfähiges Gänsekind verschwunden.
Maschendrahtzäune am Ufer
Außerdem hätten einige Nachbarn Maschendrahtzäune aufgestellt, die insbesondere für die Küken (Gössel) eine große Gefahr darstellen würden. An anderer Stelle wiederum sollen mit Nägeln bewehrte Holzplanken die Vögel am Betreten der Grundstücke hindern. Inzwischen sei es sogar so schlimm, dass die Gänse kaum noch Gelegenheit hätten, überhaupt ans Ufer zu gelangen. Und jene Bereiche, die nicht eingezäunt seien, würden häufig von Spaziergängern mit Hunden frequentiert und kämen deshalb als Gänse-Rastplatz ebenfalls nicht infrage. Lediglich zwei Brutpaaren sei es in diesem Jahr noch gelungen, Nachwuchs zu zeugen. Viele andere hätten dagegen keine Brut durchbekommen. Deshalb nehme sie es auch in Kauf, wenn die Tiere sich an ihrem Rasen gütlich tun.
Seit sieben Jahren beobachtet die Rethornerin nach eigenen Aussagen inzwischen das Dilemma: "Es gibt Phasen, da ist es relativ ruhig, aber im Augenblick ist es wieder ganz schlimm", gibt sie zu Protokoll. Zwar handele es sich bei den kanadischen Wildgänsen um sogenannte Neozoen, also um eine Art, die vom Menschen aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet in einen neuen Lebensraum gebracht worden sei. Bianca Grobbin wünscht sich aber, dass sich auch unter den Anwohnern des Rethorner Sees endlich die Erkenntnis durchsetzen möge, dass es sich bei den Vögeln keinesfalls um eine invasive Art handele. "Sie schaden keinen einheimischen Arten“, hat sie recherchiert. Darin würden sich die Kanadagänse etwa von Tieren wie Bisamratte, Nutria, Waschbär oder auch der Nilgans unterschieden.
Handke: Gänse kein Problem
Auch der Ganderkeseer Landschaftsökologe Klaus Handke sieht in den Kanadagänsen gegenwärtig keine Gefahr für das ökologische Gleichgewicht der Region: "Kanadagänse gelten zwar nicht als schützenswert und dürfen sogar bejagt werden, aber bei uns stellen sie kein Problem dar", kommentiert er. "In den Hamburger Parks sieht man Hunderte." Auch laut Naturschutzbund (Nabu) ist die Kanadagans "eine der wenigen Neozoen, die sich in Deutschland sehr erfolgreich eingebürgert haben". Gleichwohl rät Handke entschieden davon ab, die Vögel zu füttern.
Bianca Grobbin hat sich mit ihrem Problem inzwischen auch an die Kreisverwaltung gewandt. "Grundsätzlich ist es natürlich nicht okay, mit Steinschleudern auf Tiere zu schießen", kommentiert Inka Gelker, Leiterin des Amtes für regionale Entwicklung und Naturschutz. Im konkreten Fall prüfe man gegenwärtig jedoch noch, ob am Kamerner See eine Ordnungswidrigkeit vorliege.