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Wenn ein Pfeil vom Himmel schießt Die Faszination Brieftaubensport

Während die Brieftaubenzucht in Deutschland eher Nachwuchssorgen hat, gilt sie in China als exklusives Hobby mit hohen Preisgeldern. Heinz Lüken und Enkelin Malia aus Hatten sind begeisterte Taubensportler.
21.05.2021, 14:41 Uhr
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Die Faszination Brieftaubensport
Von Jochen Brünner

"Opa, was machst du da? Und wo hast du die ganzen Pokale her?" – Am Anfang ihrer Begeisterung für den Brieftaubensport stand für die siebenjährige Malia Lüken kindliche Neugier. Seit dieser Saison nimmt sie mit ihren Tauben als jüngstes Mitglied an den Wettflügen der Brieftaubenreisevereinigung Delmenhorst-Ganderkesee teil.

"Ich füttere sie, mache den Schlag sauber und verbringe ganz viel Zeit mit ihnen, damit sie auch zahm werden", beschreibt Malia ihr Hobby. Jetzt in der Wettkampfsaison steht zudem tägliches Training auf dem Programm. Freitagsabends bringt sie die Tauben dann gemeinsam mit dem Opa zum "Kabi", dem sogenannten Kabinenexpress, der sie über Nacht zum Auflassplatz transportiert. An diesem Wochenende ins hessische Bad Camberg, das sind rund 300 Kilometer Luftlinie. Und am Sonnabend beginnt dann das gespannte Warten, bis die erste Taube wieder zu Hause eintrifft. "Da kommen dann manchmal auch Freunde, um zuzugucken", erzählt Malia.

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"Natürlich hat auch die Corona-Pandemie ihren Teil dazu beigetragen, dass Malia aufgrund der geschlossenen Schulen plötzlich mehr Zeit hatte und anfing, sich für Brieftauben zu interessieren", berichtet der Opa. Der Opa, das ist Heinz Lüken, langjähriger erfolgreicher Züchter, der selbst im Alter von acht Jahren mit dem Taubensport begonnen hat. Die Wettflüge der Reisevereinigung Ganderkesee-Delmenhorst nutzt der 66-Jährige als Trainingsflüge, um seine Tauben auf die wirklich großen Aufgaben vorzubereiten. Die stehen ab Mitte Juni an, wenn der Club der Weitstreckenfreunde Niederelbe in seine Saison startet. Zurzeit begnügt sich Lüken noch mit Tagesweitstrecken, bei denen die Tauben Distanzen zwischen 650 und 750 Kilometer zurücklegen. Höhepunkt ist alljährlich der Saisonabschluss, der in London startet. Knapp sieben Stunden brauchen die Tauben von dort ins heimische Hatterwüsting.

Topfit auf die Strecke

"Bevor sie auf die Langstrecke gehen, sollten die Tauben 1000 Kilometer unter dem Flügel haben", sagt Lüken. 14 Tage vor einem solchen Flug beginnt eine Ruhephase, damit die Vögel ausgeruht und topfit auf die Strecke gehen. Auch die Ernährung spielt eine große Rolle. So hat Lüken für jeden Wochentag eine andere Futtermischung parat: Unter der Woche gibt es vor allem eiweiß- und kohlehydratreiche Kost, kurz vor dem Flugtag erhalten die Tiere dann fettreiche Ernährung. "Und wenn dann plötzlich ein Pfeil vom Himmel schießt, ist das der geilste Moment, auf den man die ganze Woche hingearbeitet hat", beschreibt Lüken die Faszination.

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"Nur eine gesunde, selbstbewusste Taube hat die Chance, Preise zu gewinnen", sagt auch Jürgen Dietrich, Schriftwart der RV Delmenhorst-Ganderkesee. Die Fitness erkennt der Fachmann unter anderem an einer aufgepumpten Brustmuskulatur, an weißem Nasenfleisch und an glänzenden Augen. Ganz wichtig sei zudem, dass die Tauben Vertrauen zum Züchter haben. "Wenn der Züchter ruhig ist, ist es die Taube auch", sagt Dietrich. Eine gute Reisetaube fliege maximal fünf bis sechs Jahre, anschließend könne sie gute Dienste in der Zucht leisten.

Jungtauben werden zunächst mit Vorflügen an die Belastungen gewöhnt. Das beginnt mit Übungen von wenigen hundert Metern, bei denen die Tauben ihren Schlag noch sehen können. Ausgewachsene Tiere trainieren zweimal täglich und legen dabei Strecken von 80 bis 100 Kilometern zurück. Ein großes Problem für die Brieftaubenzüchter sind Raubvögel, die es auf die Tauben abgesehen haben. Heinz Lüken greift mitunter auch schon mal zur Schreckschusswaffe, um die Räuber abzulenken, wenn er beim Training eine Greifvogelattacke beobachtet. "Auf diese Weise habe ich bestimmt schon 100 Tauben das Leben gerettet", sagt er.

Königsdisziplin Barcelona

Auch Lüken träumt davon, einmal am Weitstreckenflug aus Barcelona teilzunehmen – die Königsdisziplin, sozusagen der New-York-Marathon für die Brieftaubenzüchter. Rund 1350 Kilometer sind es aus der katalanischen Metropole bis nach Hatterwüsting. "Da legen die Tauben dann unterwegs eine Übernachtungspause ein", erklärt der Züchter. Die ersten Tauben, die in der Lage seien, eine solche Distanz zu bewältigen, habe er sich bereits angeschafft. Jetzt gelte es, die Nachzucht aufzubauen.

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Wie die Tauben wieder ihren Weg nach Hause finden, ist übrigens bis heute nicht abschließend geklärt. Laut Lüken hätten insbesondere die Sonne sowie das Magnetfeld der Erde entscheidenden Einfluss auf den Orientierungssinn. So darf der Himmel beim Auflass nicht komplett bedeckt sein. Aber ein kleines Loch in der Wolkendecke genüge bereits, damit die Tiere ihren Weg nach Hause finden. Denn gerade bei Weitstreckenflügen, an denen Tauben aus allen Teilen Deutschlands teilnehmen, können die Vögel nicht im Schwarm nach Hause fliegen, sondern müssen sich frühzeitig trennen, um auf die richtigen Routen zu gelangen. Denn die Tauben hätten nur ein Ziel: möglichst schnell nach Hause zu kommen, wo unter anderem der Partner wartet.

Während die hiesigen Züchter den mangelnden Nachwuchs beklagen, hat sich der Brieftaubensport insbesondere in China zu einem exklusiven Hobby entwickelt, das sich dort hauptsächlich Millionäre leisten. "Die haben Zuwächse von 20 Prozent im Jahr, und für die besten Tauben werden inzwischen Millionenbeträge gezahlt", weiß Lüken. Auch die Preisgelder oder Sachpreise, die es bei sogenannten "Tribünenflügen" zu gewinnen gibt, seien entsprechend hoch.

Info

Brieftauben

Die Zeiten, da Brieftauben (mitunter romantische) Botschaften übermittelt haben, sind heute längst vorbei, und auch die als Nachrichtenüberbringerin bekannte Eule Hedwig aus den Harry-Potter-Romanen hat der Brieftaubenzucht keinen wirklichen Aufschwung beschert. Tatsächlich soll die britische Regierung die Nachricht über den Sieg über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo (1815) per Brieftaube erhalten haben. Und auch die Nachrichtenagentur Reuters habe in ihren Anfangsjahren Brieftauben eingesetzt, heißt es. Heute verstehen Brieftaubenzüchter wie Heinz Lüken ihr Hobby als Sport, in dem es vor allem um Geschwindigkeit geht. Bei günstigen Witterungsbedingungen und Rückenwind erreichen die Tauben Geschwindigkeiten von bis zu 120 Kilometer pro Stunde.

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