"Alles läuft nach Recht und Gesetz. Aber der Mensch im Pflegeheim bleibt dabei auf der Strecke", sagt Marion Schmidt (Name auf Wunsch geändert) und schlägt einen schweren Aktenordner auf. Er ist prallvoll mit Schriftwechseln, die sie und ihr Vorgänger mit Behörden und dem Pflegeheim geführt haben. Marion Schmidt ist die Betreuerin von Hannelore Vogt (Name ebenfalls geändert). Die 82-Jährige lebt in einem Seniorenheim im Landkreis Oldenburg. Bis vor einigen Monaten hatte die Dame rund 140 Euro im Monat zur Verfügung. Doch seit der Staat Anfang des Jahres den Pflegekostenzuschuss einführte, bleiben Hannelore Vogt lediglich 17 Euro im Monat für Ausgaben wie Zuzahlungen zu Medikamenten, Friseur, Fußpflege oder Kleidung. Dabei liegt der gesetzlich festgeschriebene Selbstbehalt bei 121 Euro. Doch das nützt der Dame nichts.
Mit dem Pflegekostenzuschuss sollen mehr pflegebedürftige Menschen aus der Sozialhilfe geholt werden. Und tatsächlich kann Hannelore Vogt mit diesem Zuschuss und ihrer Rente nun die Heimkosten ohne Hilfe vom Sozialamt stemmen. Klingt gut, ist es aber nicht, so die Erfahrung ihrer Betreuerin: "Das ist ein tolles Gesetz, aber in seinen Konsequenzen nicht zu Ende gedacht." Denn Hannelore Vogt gilt jetzt als Selbstzahlerin – und muss in diesem Status einen höheren Investitionsbetrag zahlen als jemand, dessen Heimkosten ganz oder teilweise vom Sozialamt gezahlt werden.
Antrag ans Sozialamt abgelehnt
Für die Dame bedeutet dies: Stellte das Heim bisher rund 340 Euro in Rechnung, muss Vogt jetzt mit 640 Euro fast den doppelten Betrag zahlen. Dadurch bleiben ihr nun nur noch 17 Euro monatlich. Ein Antrag an das Sozialamt, um von dort zumindest den Selbstbehalt von 121 Euro zu bekommen, wurde abgelehnt. Denn: Für das Sozialamt ist der mit dem Heimbetreiber vereinbarte Investitionskostenbetrag von 340 Euro bindend. Dass Selbstzahlern mehr berechnet wird, ist für die Behörde unerheblich. Das heißt: Weil das Sozialamt nicht den tatsächlich zu zahlenden Betrag in ihren Berechnungen ansetzen darf, hat die Seniorin auf dem Papier 300 Euro mehr zur Verfügung als in Wirklichkeit. Sie könne Klage einreichen, heißt es vonseiten der Behörde. "Aber wogegen sollen wir denn klagen? Das ist ja rechtlich in Ordnung", sagt Marion Schmidt frustriert. Der Pflegekostenzuschuss ist ein gutes Instrumentarium, um Menschen zu ermöglichen, ihren Heimplatz selbst zu finanzieren. Doch der unterschiedliche Beitrag an den Investitionskosten für Selbstzahler und Hilfeempfänger entpuppt sich hier als Stolperstein.
Für das Bundessozialministerium (BMAS) ist dieses Phänomen ein Rätsel. "Menschen in einem Pflegeheim muss ein Geldbetrag zur freien Verfügung verbleiben, der zumindest der Höhe des sogenannten Barbetrags von monatlich 121,23 Euro entspricht. Aus sozialhilferechtlicher Sicht ist es damit nicht erklärbar, weshalb der pflegebedürftigen Frau nur monatlich 17 Euro zur Verfügung stehen", so ein Sprecher des BMAS.
Klärendes Gespräch dringend nötig
Es sei durchaus üblich, dass Selbstzahler höhere Investitionskostenbeträge zahlen, sagen sowohl die Heimaufsicht des Landkreises als auch der Sozialverband VdK und die Kommune. "Grundsätzlich legt jede Pflegeeinrichtung den Betrag für die Investitionskosten selbst fest, mit der Sozialhilfe handelt sie entsprechende Tarife zur Übernahme aus", erklärt Christina Diekmann, Pressesprecherin des VdK Niedersachsen-Bremen. "Eine solch hohe Differenz bei den Investitionskosten zwischen Selbstzahler- und Sozialhilfe-Betrag wie im vorliegenden Fall ist uns bislang aber nicht bekannt. Hier raten wir dringend zu einem klärenden Gespräch mit dem Heim." Dieses klärende Gespräch sucht Marion Schmidt schon seit mehreren Wochen – bisher ohne Erfolg.
Inzwischen hat sich der Aktenordner der Betreuerin weiter gefüllt: Die Krankenkasse von Hannelore Vogt hat die Zuzahlungen zu Medikamenten erhöht – weil die Seniorin ja keine Sozialhilfe mehr bekommt. "In unserem Fall profitiert nur einer von dem Pflegekostenzuschuss: der Heimbetreiber", zieht Marion Schmidt eine ernüchternde Bilanz. Das Bundesgesundheitsministerium, das den Pflegekostenzuschuss verantwortet, hat übrigens bisher nicht auf Nachfragen reagiert.