Die jüngste Sitzung des Ausschusses für Jugend, Senioren und Soziales der Stadt Osterholz-Scharmbeck kam beim stillen Beobachter zunächst harmonisch-routiniert, fast ein wenig verschnarcht rüber. Es wurde ein Filmchen mit tanzenden Heranwachsenden gezeigt, das einen Eindruck vom internationalen Jugendausschuss Deutschland – Marokko - Polen vermittelte. Die Kommunalpolitiker klatschten artig Beifall, ausgenommen Nationaldemokrat Kari Stefan Monsees, der sich stattdessen ausdauernd Notizen machte.
Dann aber gab es ein allgemeines Aufhorchen, als die den Bericht des Präventionsrates gegen Gewalt und Kriminalität verlesende Karin Wilke die Zahl von 30 sogenannten Reichsbürgern nannte, die in Osterholz-Scharmbeck gemeldet sind. Peter Schnaars fiel dazu ein, dass erst im Oktober ein Reichsbürger von einem bayerischen Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Der Mann hatte einen Polizisten ermordet. „Gibt es Hinweise, dass sie Waffenscheine haben?“, fragte Schnaars also nach. Stadtdezernentin Bettina Preißner wollte in der öffentlichen Sitzung keine Auskünfte dazu geben, teilte aber mit, dass die Polizei die ihr bekannten Personen im Visier habe. „Die Behörden gleichen sich ab.“
Auch die Waffenbehörde des Landkreises Osterholz gab die von Schnaars gewünschten Zahlen nicht preis. „Sie hat aber überprüft, welche Waffenbesitzer möglicherweise den sogenannten Reichsbürgern zuzurechnen sind. Im Ergebnis musste eine Person ihre Waffen abgeben“, teilte Jana Lindemann, Sprecherin des Landkreises, mit. Helge Cassens, der bei der Polizeiinspektion Verden-Osterholz für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, ließ wissen, dass es bei den unter Beobachtung stehenden Personen weder Erkenntnisse noch Anzeichen gebe, dass „von ihnen eine konkrete Gefährdung ausgeht". Diese Einschätzung fuße auf unter anderem auf Kontrollen und einem regelmäßigen Austausch zwischen den Behörden
Cassens tat sich ein wenig schwer mit dem Reichsbürger-Begriff. Er definiert diese auffällig gewordenen Personen als Menschen, „die die den Reichsbürgern zugeschriebenen Ansichten teilen oder mit ihnen sympathisieren“. Er kommt damit für den Landkreis Osterholz auf 42 Personen. Ob aus diesem Kreis heraus die vier Straftaten verübt wurden, die in den vergangenen fünf Jahren Reichsbürgern zugeordnet wurden, ist nicht bekannt. Es handelte sich laut Cassens aber jeweils um politisch motivierte Gewaltdelikte.
Reichsbürger werden aber eben gerade dadurch auffällig, weil sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ihnen allen gemein ist, dass sie die Existenz der Bundesrepublik leugnen. Und wer das tut, verneint auch die Legitimität von Grundgesetz, Behörden und Gerichten und akzeptiert deren Bescheide nicht. Auch Steuern und staatliche Abgaben sind aus dieser Sichtweise illegal. Knöllchen werden nicht bezahlt, Behörden und Gerichte mit Schreiben oft höchst skurrilen Inhalts überzogen. Der Empfänger eines Bußgeldbescheides berief sich gegenüber Cassens darauf, dass es die in Rede stehende Ordnungswidrigkeit doch gar nicht gebe.
Dem Polizeisprecher ist das Phänomen seit Jahren bekannt. „Bei Verkehrskontrollen wird dann einfach die Scheibe nicht runtergekurbelt.“ In Verden wurde unlängst ein „preußischer“ Führerschein vorgezeigt. Die Bundesbehörden nennen keine Zahlen, die über die Ausbreitung der von Rechtsaußen, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern („BRD GmbH“) beherrschten Szene Aufschluss geben. Bayerns Regierung geht von einer Größenordnung von über 3000 Personen aus. Am Rande des Fürther Prozesses gegen den Polizistenmörder gab Innenminister Joachim Herrmann bekannt, dass seine Behörden landesweit jüngst über 500 Waffen eingesammelt hätten.
Die meisten Reichsbürger wähnen sich in einem Kaiserreich, das sie in den Grenzen von 1937 verorten. Die Szene stellt sich eigene Pässe aus. In Sachsen-Anhalt setzte sich ein „König von Deutschland“ die Krone auf. Nimmt die Zahl der Gestrigen zu? Nicht sonderlich, so Cassens, obwohl „wer genauer hinschaut, auch mehr sieht!“